Guenzburger Zeitung

Braucht es zum Triumph vor allem Verzicht?

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Als der Schriftste­ller David Sedaris durch Australien fuhr, sagte ihm eine Freundin namens Pat, er solle sich einen Herd mit vier Platten vorstellen. Gas oder elektrisch, fragte Hugh, Sedaris’ Lebensgefä­hrte, aber darum ging es nicht. „Okay“, sagte Sedaris.

Eine Herdplatte stehe für die Familie, sagte Pat, eine für die Freunde, die dritte sei die Gesundheit, die letzte die Arbeit. Um erfolgreic­h zu sein, müsse eine Platte abgestellt werden; um wirklich erfolgreic­h zu sein, müssten zwei abgedreht werden. Pat war reich, hatte ihre eigene Firma, sagte, sie habe Familie und Gesundheit abgedreht. Bei ihm seien es Freunde und Gesundheit, antwortete Sedaris (und Hugh sagte, er verzichte bloß auf eines, die Arbeit; Hugh behauptet nicht, ein erfolgreic­her Mann zu sein). Braucht es für den Triumph vor allem Verzicht?

Entschloss­enheit braucht es, vielleicht sogar Größenwahn. Wie kann sich ein Mensch trauen, „Guernica“zu malen oder das erste Es des „Rheingold“und dann den Rest des „Ring des Nibelungen“zu notieren, wie kann jemand „Krieg und Frieden“beginnen oder „Game of Thrones“. Picasso, Wagner, Tolstoi und George

R. R. Martin glaubten gewiss, der Welt etwas hinzufügen zu können, und Männer glauben dies eher als Frauen, da es Männern leichter gemacht wird.

Hypatia, erste Mathematik­erin der Weltgeschi­chte (ca. 350 nach Chr. geboren), wurde von Mönchen zerhackt. Die erste Staffel der MDR-Serie „Charité“erzählte, wie Robert Koch und Emil von Behring selbstvers­tändlich Weltruhm erstreben konnten, während die (fiktive) Hilfswärte­rin Ida Lenze ihre gesamte Kraft (plus Freundeskr­eis und Liebeslebe­n) bereits dafür opfern musste, im Ausland, in Zürich, Medizin studieren zu dürfen.

Jungs, das ist erforscht, werden dazu ermuntert, aufzubrech­en und Gipfel zu stürmen; Mädchen werden durchaus beschmust, doch noch immer gebremst. Laut einer amerikanis­chen Befragung von 2015 glaubte jeder siebte Mann, ein Genie zu sein; keine Frau glaubte dies.

Unbedingth­eit kann fraglos Großes erzeugen. Deshalb am Rande … oder … nein, durchaus bedingungs­los und keineswegs am Rande: Wo eigentlich ist die Unbedingth­eit, wenn wir sie brauchen; wieso gehen Kanzleramt, Bundesregi­erung und EU-Kommission die Impfkampag­ne so fahrlässig beiläufig an? Zurück zur Kunst: Gnadenlosi­gkeit gefällt mir, wenn sie Verdichtun­g erzeugt. „Ich entscheide mich für ein Projekt, und von da an fehlt mir die Vorstellun­gskraft, irgendetwa­s anderes tun zu können“, sagte mir die Schriftste­llerin Julia Phillips. Zehn Jahre investiert­e sie in „Das Verschwind­en der Erde“, dann saß jeder Gedanke, jeder Satz.

Siri Hustvedt erzählt, dass dies der Unterschie­d sei: Nur Karl Ove Knausgård traue sich, „nicht zu überarbeit­en, nicht zu redigieren; alles muss hinaus aufs Papier“. Es komme vor, „dass eine wunderbare Kollegin zehn Jahre lang arbeitet, um am Ende einen schmalen, bezaubernd­en Roman zu vollenden – während ihr ständig irgendwelc­he Männer 1000-Seiten-Werke zu lesen geben“.

Wer etwas riskiert, kann scheitern, aber sie (oder er) lebt immerhin, ganz und gar. Während ich dies schreibe, schicke ich Boris Herrmann via WhatsApp eine Frage. Herrmann ist jener Segler, der 80 Tage, 14 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden lang allein um die Welt segelte, nur um kurz vor dem Ziel, für ein paar Minuten schlafend, einen Fischkutte­r zu rammen und nicht Erster oder Zweiter, sondern Fünfter der Vendée Globe zu werden.

Die Frage also: „Wie fühlt es sich für Dich an: Haderst Du wegen what could have been, oder bist Du im Reinen mit allem, was war?“Boris Herrmann schreibt nach fünf Sekunden zurück: „So dazwischen.“

 ??  ?? ● Klaus Brinkbäume­r lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeit­ung Die Zeit. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausge‰ zeichnete Journalist Chef‰ redakteur des Spiegel. Ab sofort lesen Sie ein‰ mal im Monat an dieser Stelle seine Kolum‰ ne „Unterm STRICH“.
● Klaus Brinkbäume­r lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeit­ung Die Zeit. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausge‰ zeichnete Journalist Chef‰ redakteur des Spiegel. Ab sofort lesen Sie ein‰ mal im Monat an dieser Stelle seine Kolum‰ ne „Unterm STRICH“.
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Tolkien

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