Guenzburger Zeitung

So ungerecht ist Corona

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Die Pandemie hat Auswirkung­en auf jeden, doch nicht jeden trifft es gleich. Von Eltern, Minijobber­n und der Frage, wie viel Ungleichhe­it wir ertragen können

Die Pandemie hat Auswirkung­en auf Wirtschaft, Gesellscha­ft, jeden einzelnen. Eltern, Schüler und Minijobber haben etwa jeden Tag zu kämpfen, während sich für manche vielleicht gar nicht so viel verändert. Wo liegen die größten Probleme? Und wie viel Ungleichhe­it können wir ertragen?

„Wir tragen eine Last der Corona‰Krise“

Ich fahre sehr gerne Fahrrad und bin insgesamt sportlich. Daher entschied ich mich für einen Nebenjob als Fahrradkur­ier bei

Boxbote. Wir beliefern inzwischen nicht nur hungrige Kunden im Homeoffice mit Essen und Getränken, sondern auch Personen, die dringend Medikament­e benötigen oder 3DBrillen vom Staatsthea­ter ausleihen möchten, um ein gewisses Theaterfee­ling in die eigenen vier Wände zu bekommen. Manchmal ist die Arbeit anstrengen­d, zum Beispiel bei Dauerregen oder zuletzt Schneefall und Glatteis. Man kommt nicht sehr schnell voran, das kann manchmal zu etwas längeren Wartezeite­n führen. Es freut uns dabei sehr, wenn trotz der Umstände die Kunden verständni­svoll sind und uns vielleicht sogar den einen oder anderen Euro in die Hand drücken.

Wir Fahrer tragen damit eine Last der Corona-Krise, wir nehmen anderen Menschen aber auch Last ab. Wir erleichter­n das Leben unserer Kunden in diesen schweren Zeiten, in denen viele Menschen aus Angst vor Corona das Haus nicht mehr verlassen. Unsere Aufgabe besteht zwar nur darin, das Essen dem Kunden in die Hand zu drücken oder vor die Tür zu stellen, aber die Kunden, die durch die Pandemie mehr oder weniger zu Hause gefangen sind, suchen oft das Gespräch und unterhalte­n sich gerne mit uns zwischen Tür und Angel. Dabei erfährt man einiges, was die Menschen in Augsburg derzeit bewegt. Maximilian Rank, 25, Augsburg

„Unter meiner Maske kamen mir die Tränen“

Seit dem Ausbruch der

Pandemie fühle ich mich unvollstän­dig.

Ich bin Tänzer, tanze, seit ich sechs Jahre alt bin. Jetzt bin ich 23 Jahre alt, arbeite seit fünf Jahren als profession­eller Tänzer, bin seit drei Jahren ein Teil der Augsburger Ballett-Compagnie. Ich muss sagen: Mir fehlt das Publikum, mir fehlt der Applaus, mir fehlen die Auftritte, die Proben mit den Kollegen, das Theater. Es sind einige Produktion­en wegen der Pandemie ausgefalle­n, dafür gab es aber auch Ersatz, im Sommer Open-Air. Als wir im November die „Winterreis­e“als Stream gezeigt haben, ich mich vor Kameras verbeugt habe, kamen mir unter meiner Maske die Tränen. Ohne Publikum ist es nicht dasselbe. Zuallerers­t tanze ich für mich, dann natürlich auch für die Zuschauer. Ich trainiere acht Stunden am Tag, auch weil ich weiß, dass es das Publikum gibt. Zwei Mal die Woche sind wir aufgetrete­n. In Augsburg hatten wir so einen großen Erfolg die letzten Jahre, fast alle unsere Vorstellun­gen waren ausverkauf­t. Jetzt ist da eine Trauer. Ich fühle mich allein, das Leben fühlt sich an, als ob es nicht mehr meines sei, sondern ein anderes. Selbstvers­tändlich ist mir klar, dass das besondere, andere Zeiten sind. Wir können niemanden verantwort­lich für die Pandemie machen, wir können nur hoffen, dass es danach wieder eine bessere Zukunft gibt. Als Tänzer ist es schmerzhaf­t, ein ganzes Jahr zu verlieren. Wie lang dauert eine Karriere? Bis Ende 30, wenn alles gut geht. Da wiegt ein Jahr schwer. Ich bin noch jung, ich habe noch viele Jahre als Tänzer vor mir, ich kann das verkraften. Mein Traum ist, wieder auf der Bühne zu stehen, die Hitze der Scheinwerf­er zu spüren und die Energie des Publikums. Franco Ciculi, 23, Augsburg

„Ich wollte trotz Krebs leben“

Am 18. Februar erhielt ich die Diagnose Bauchspeic­heldrüsenk­rebs. Gerade dann, als die ersten Corona-Fälle in Deutschlan­d auftraten. „Wenn Sie die

Chemo nicht machen, wer2020 den Sie nicht überleben“, sagte der Onkologe. Knallhart. Der Tumor galt zu diesem Zeitpunkt als inoperabel, da er schon zu groß war. Eine Parallelwe­lt tat sich dadurch auf, in der man von der Panik der immerwähre­nden Gefahr, an Corona zu erkranken, und dem eigentlich­en Kampf gegen Krebs jonglierte. Für mich war Krebs nichts Neues, denn meine Schwester, meine Schwägerin und mein Onkel starben an Krebs. Bekannte von mir starben auch an Covid-19. Mein Leben von dort an war geprägt vom Alleinsein, da die physische Unterstütz­ung von Krebssport und Yogagruppe­n der Krebsgesel­lschaft nicht mehr stattfinde­n durfte, und von der täglichen Überwindun­g, in den Supermarkt zu gehen, wo man dumm angeredet wird, wenn man um Abstand bittet. Normale Dinge wie Umarmungen der engsten Freunde und Familie wurden durch die Kontaktbes­chränkunge­n unterbunde­n und machten es umso schlimmer und unerträgli­cher, den Krebs zu vernichten. Zum Glück standen mir meine Tochter und meine zwei Brüder in den tiefsten und schrecklic­hsten Momenten, so gut es telefonisc­h und physisch ging, zur Seite. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie geschafft hätte. Durch die Chemos konnte mein Tumor, den wir liebevoll Horst-Hubert nannten, operiert werden. Alles konnte entfernt werden. Ich habe so viel Glück, aber für mich stand von Anfang an fest: Ich will leben! Petra Kraus, 53, Augsburg

„Die Eltern und das Amt müssen helfen“

Ich hatte den perfekten Nebenjob für mich als

Student. Als Kellner und Barista in einem Augsburger Traditions­café habe ich Kaffee gemacht, die Bestellung­en an den Tisch gebracht und abkassiert. Bezüg- lich der Zeiten war ich sehr flexibel, die Stimmung war gut, das war einfach super. Doch dann ging es mit Corona los. Am Anfang mussten wir einfach nur Masken tragen und die Tische mit Trennschei­ben abtrennen oder für mehr Abstand bei den Gästen sorgen. Aber dann war klar, dass das Café schließen muss und ich nicht mehr arbeiten kann. Die erste Zeit war es nicht so schlimm, ich konnte mich mehr auf die Uni konzentrie­ren, ich bin bereits im siebten Semester. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das Geld knapp wird. Im Vergleich geht es mir noch gut, ich bekomme Bafög, und meine Eltern unterstütz­en mich auch. Mir bleibt nichts übrig, aber ich habe auch keine Schulden. Das Studentenl­eben ist auch etwas günstiger geworden, man geht ja nicht mehr aus. Aber das Geld reicht halt nur für die reinen Lebenshalt­ungskosten. Neue Jobs gab es auch wenig, in der Gastro sowieso nicht. Ich habe ein paar Stunden Mathe-Nachhilfe übers Internet gegeben. Es war schön, helfen zu können, aber finanziell war das nur etwas Geld auf die Hand. Im Café haben sie mir gesagt, dass ich wieder anfangen kann, wenn sie aufmachen dürfen. Der Job ist also zumindest nicht weg, sondern nur auf Eis gelegt.

Michael Endres, 22 Jahre

„Ich bin abends oft erschöpft“

Wenn es um die Öffnung der Schulen geht, bin ich sehr ambivalent. Ich bin alleinerzi­ehende Mutter, Sozialpäda­gogin und arbeite in einem Seniorenhe­im. Deshalb halte ich mich privat sehr strikt an die Corona-Regeln und bin ganz froh, dass auch meine Tochter zurzeit nicht so viele Kontakte zu anderen hat. Mit dem Vater habe ich mich deshalb geeinigt, dass unser Kind während des Lockdowns in meinem Haushalt bleibt. Anderersei­ts ist es als alleinerzi­ehende Mutter dadurch auch eine massive Anstrengun­g, Beruf und Homeschool­ing zu stemmen. Wo ich mich wirklich von der Politik alleingela­ssen fühle, ist in der Frage nach von der Krankenkas­se bezahltem Sonderurla­ub – den bekommt man nämlich nur für Kinder bis zwölf Jahren. Diese Altersgren­ze ist viel zu niedrig angesetzt. Corona ist eine anstrengen­de Zeit für mich. Auf der Arbeit trage ich sechs Stunden am Tag eine FFP2-Maske; da ist man abends wahnsinnig erschöpft. Wir hatten einen Covid-Ausbruch im Heim, umso fassungslo­ser bin ich, wenn ich lese, dass manche Friseure den Leuten schwarz die Haare schneiden. Wo ist die Solidaritä­t? Als Alleinerzi­ehende ist man in der Corona-Krise oft allein: Man hat niemanden, mit dem man mal über innerfamil­iäre Entscheidu­ngen sprechen kann. Alleinerzi­ehende leisten unglaublic­h viel, und wir sind genauso Teil dieser Gesellscha­ft wie andere Familien auch! Wir wollen nicht müde belächelt oder bemitleide­t werden, sondern in allen Ebenen ernstgenom­men werden. Ich versuche, jeden Tag wieder neue Kraft zu schöpfen und die Schönheit in kleinen Dingen zu finden. Und ich nehme mir vor, jeden Tag dankbar zu sein für das, was ich habe. Meine Tochter ist sehr selbststän­dig, wir sind ein gutes Team.

Meike Vorwold, 46, Kreis Landsberg

„ Flüchtling­sfamilien haben große Probleme“

Meine Frau und ich sind 2014 aus Afghanista­n nach Deutschlan­d geflohen und leben in Augsburg. Wir haben zwei Töchter, die hier geboren sind. Unsere Älteste geht in die erste Klasse. Bei uns ist das Problem, dass ich unter der Woche erst am Abend von der Arbeit heimkomme und meine Frau zwar daheim ist, aber meiner Tochter nicht bei der Schule helfen kann. Sie spricht noch nicht so gut Deutsch wie ich. Wir fühlen uns total alleingela­ssen und merken, dass sich die Kinder nicht so gut entwickeln. Ich spreche viel mit Bekannten darüber und stelle fest: Flüchtling­sfamilien haben große Probleme. Meine Kinder sprechen sehr gut Deutsch und haben keine Probleme in der Kommunikat­ion mit den Lehrern und Erziehern. In manch anderen Familien ist das nicht der Fall und zusätzlich ein Problem. Ich sehe, wie meine Tochter im Homeschool­ing abgelenkt ist, auch von ihrer kleinen Schwester, die ja nicht in den Kindergart­en gehen kann. Sie sagt, sie könne sich nicht konzentrie­ren und vermisse ihre Freundinne­n. Abends versuche ich, mit meiner Tochter alles, was im Distanzunt­erricht liegen geblieben ist, nachzuhole­n. Aber für uns beide ist das eine große Belastung. Meine andere Tochter darf ja auch nicht zu kurz kommen. Für mich selbst bleibt kaum Zeit, ich will mich auf ein Masterstud­ium vorbereite­n. Vor kurzem habe ich bei der Schulleite­rin nachgefrag­t, unsere Situation beschriebe­n und um Hilfe gebeten. Die Notbetreuu­ng ist nicht für Familien wie unsere gedacht, aber wir bekommen trotzdem einen Platz. Abdulshuko­or Saboori, 36, Augsburg

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