Guenzburger Zeitung

Gericht schickt Mann in geschlosse­ne Psychiatri­e

28-jähriger Angreifer leidet an Verfolgung­swahn. Er hat schrecklic­he Szenen im Günzburger BKH in einem Video festgehalt­en

- VON WOLFGANG KAHLER

Günzburg/Memmingen Der Prozess um eine schrecklic­he Bluttat im Günzburger Bezirkskra­nkenhaus (BKH) ist jetzt vor dem Memminger Landgerich­t mit einem überrasche­nden Ergebnis zu Ende gegangen.

Der 28-jährige Angeklagte ist wegen seiner paranoiden Schizophre­nie schuldunfä­hig und muss auf unbestimmt­e Zeit in eine geschlosse­ne Psychiatri­e. Statt des versuchten Totschlags durch einen Messerstic­h in den Hals einer anderen Patientin stellte die Strafkamme­r nur eine gefährlich­e Körperverl­etzung fest, weil der Mann vom Opfer abgelassen hatte.

Purem Zufall ist es zu verdanken, dass es am 10. April vergangene­n Jahres im Günzburger BKH nicht zu tödlichen Folgen des Angriffs gekommen ist, wie Schwurgeri­chtsVorsit­zender Christian Liebhart ausführte.

An diesem Tag hatte der Angeklagte, wie bereits berichtet, eine Mitpatient­in in der geschlosse­nen Abteilung zuerst mit einem Faustschla­g niedergest­reckt und dem Opfer dann mit einem Klappmesse­r in den Hals gestochen.

Die Schlagader wurde durch die mehrere Zentimeter tief eindringen­de Klinge glückliche­rweise nicht verletzt.

Danach taumelte der Täter zurück, fiel zu Boden und versetzte sich selbst mehrere Stiche in die Brust, durch die er lebensgefä­hrliche Verletzung­en erlitt. Diesen Suizidvers­uch hielt der 28-Jährige mit seinem Smartphone im Video fest, das während der Gerichtsve­rhandlung vorgeführt worden war.

Die Tat erklärte der Angeklagte damit, dass „er es habe tun müssen, weil er sonst gefoltert oder getötet werde“, sagte Richter Liebhart. Den Ablauf des schrecklic­hen Geschehens im BKH betrachtet die Strafkamme­r durch die Aussagen mehrerer Zeugen und das Handyvideo als gesichert.

Im Gegensatz zur Staatsanwa­ltschaft sah das Schwurgeri­cht jedoch keinen versuchten Totschlag. Das Gericht folgte damit der Argumentat­ion von Verteidige­r Werner Hamm (Memmingen), der sich auf ein Urteil des Bundesgeri­chtshofes berief. Er könne bei seinem Mandanten keinen konkreten Tötungsvor­satz erkennen. „Der Angeklagte hat lediglich einen Schlag und einen Stich geführt und dann aufgehört.“Anschließe­nd habe er mehrfach auf sich selbst eingestoch­en. Aus Sicht des Anwalts handele es sich um einen Rücktritt von der Tat, denn der Angeklagte hätte ja die Gelegenhei­t gehabt, das Opfer weiter zu attackiere­n.

Laut psychiatri­schem Gutachten mehrerer Fachärzte leidet der aus Baden-Württember­g stammende Angeklagte unter einer paranoiden Schizophre­nie, die sich vor allem in Verfolgung­swahn äußert. Er glaubte unter anderem, dass ihm eine Motorradga­ng nach dem Leben trachte. Wegen der Krankheit hatte der 28-Jährige die Fachobersc­hule abgebroche­n und befand sich unter anderem in der Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik in Heidenheim in Behandlung. Dort vermutete er jedoch eine Verschwöru­ng und wies sich kurz darauf selbst ins Günzburger BKH ein, wo es schon einen Tag später zu dem verhängnis­vollen Messerangr­iff kam. Die Behandlung hatte in den vergangene­n Monaten zu einer leichten Besserung des Gesundheit­szustandes geführt.

Doch der Sachverstä­ndige hielt vergleichb­are Taten für möglich, wenn die verordnete­n Medikament­e nicht genommen werden.

Aus diesem Grund beantragte der Staatsanwa­lt eine weitere Unterbring­ung, da vom Angeklagte­n nach wie vor eine große Gefahr ausgehe. Diese ordnete auch das Schwurgeri­cht an, der Angeklagte wurde nach der Verhandlun­g wieder in Handschell­en abgeführt. „Es tut mir leid“, hatte der 28-Jährige in seinem Schlusswor­t gesagt.

Wie lange er im Maßregelvo­llzug in einer geschlosse­nen Anstalt bleibt, hänge vom Ergebnis der jährlichen Untersuchu­ng ab, wie der Vorsitzend­e Richter Liebhart auf Nachfrage erläuterte. Ob gegen das Urteil von Staatsanwa­ltschaft oder Verteidigu­ng noch Rechtsmitt­el eingelegt werden, blieb vorläufig offen. Wegen eines möglichen Corona-Kontakts des Sachverstä­ndigen hatte der Prozess im November unterbroch­en werden müssen und dadurch fast drei Monate gedauert.

 ?? Archivfoto: Kurt Kraus ?? Das Memminger Landgerich­t beschäftig­te sich mit einer Messeratta­cke im Günzburger Bezirkskra­nkenhaus. Da der Angreifer an einer paranoiden Schizophre­nie leidet, ist er nicht schuldfähi­g.
Archivfoto: Kurt Kraus Das Memminger Landgerich­t beschäftig­te sich mit einer Messeratta­cke im Günzburger Bezirkskra­nkenhaus. Da der Angreifer an einer paranoiden Schizophre­nie leidet, ist er nicht schuldfähi­g.

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