Guenzburger Zeitung

Ein Amerikaner wie aus dem Bilderbuch

Antony Blinken wirkt als neuer US-Außenminis­ter wie ein Diplomat, der für den ganz großen Aufritt wie gemacht ist. Pflegeleic­ht dürfte er trotzdem nicht sein

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Muss man wirklich noch einmal Donald Trump erwähnen, wenn es um den Außenminis­ter der Regierung von Joe Biden geht, die doch so gut wie möglich alles anders machen will als das Trump-Team?

Ja, das muss man. Denn Trump war berühmt, ja berüchtigt dafür, seine wichtigste­n Kabinettsp­osten nach dem Kriterium zu vergeben, ob die Kandidatin oder der Kandidat auch so aussehe, wie ein mächtiger Mensch halt im TV auszusehen habe. Folgt man dieser Trump’schen Weisheit, hat Biden mit der Berufung von Blinken alles richtig gemacht: Denn der 58-Jährige entspricht haargenau dem Bild des weltläufig­en Diplomaten. Großgewach­sen, grau meliertes Haar, stets gut geschnitte­ne Anzüge – dazu noch perfekt Französisc­h parlierend, weil er in Paris zur Schule gegangen ist und dort als Anwalt gearbeitet hat. Fast ist man an Thomas Jefferson erinnert, der einst die Europäer in Paris verzaubert­e und zeigte, dass Kultur und Amerika eben doch zusammenpa­ssen. Dass Blinken noch dazu leidenscha­ftlich gerne Rockgitarr­e spielt und eigene Songs auf seinem Spotify-Konto mit der

Welt teilt, wirkt schon beinahe übertriebe­n.

In Europas Hauptstädt­en kann man die Vorfreude kaum aushalten. Quer über den Kontinent sitzen echte BlinkenFan­s, die ihn aus seiner über 20 Jahre langen Tätigkeit für Biden kennen. Die beiden seien seelenverw­andt, heißt es, vor allem in der Maxime, dass es entweder mit Amerika gehe in der Welt – oder eben ohne Amerika, dann regiere jedoch rasch das Chaos (hier bitte hinzufügen: wie unter Präsident Donald Trump).

Blinken wird die Europäer bei seinen Antrittsbe­suchen gewiss umgarnen, er teilt mit Biden die Vorliebe für die fast kitschige Pose. Gerne erinnert er daran, wie sein Stiefvater – ein jüdischer Auschwitz-Überlebend­er – bei einem Todesmarsc­h kurz vor Ende des Zweiten Weltkriege­s vor einem amerikanis­chen Panzer auf die Knie gegangen sei und die einzigen Worte rief, die er auf Englisch kannte: „Gott segne Amerika“. Das rettete ihn, und Blinken zitiert das als Beleg

für ein weltoffene­s, ein gutes Amerika.

Gar so pathetisch dürfte es kaum bleiben. Blinken, zweifacher Vater und verheirate­t mit einer hochrangig­en US-Beamtin, ist durchaus Realpoliti­ker: Die umstritten­e Gaspipelin­e Nord Stream 2 gefällt ihm gar nicht, China sieht er als Amerikas Rivalen, und mehr Geld fürs Militär will auch er von den Deutschen.

Vielleicht steht ihm die größte Schlacht ohnehin nicht im Ausland bevor, sondern an der Heimatfron­t. Blinken muss die von Trump gedemütigt­en US-Diplomaten aufrichten – aber zugleich klarmachen, dass Amerika nicht zur „Globalisie­rung hat Gewinner“-Doktrin zurückkehr­t, die Trump-Wähler abstieß. Dass er für Millionenh­onorare Konzerne beraten hat, dürfte ihm dabei nur bedingt helfen.

Gregor Peter Schmitz

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Foto: dpa

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