Woelki sollte seinen Stuhl räumen
Der Kölner Kardinal gab zuletzt Fehler zu und stellte einen Rücktritt in Aussicht. Was davon zu halten ist? Nichts
Vor ein paar Jahren noch sah mancher Bischof eine „Medienkampagne“gegen die heilige katholische Kirche am Werk und sich als Opfer einer „Hetzjagd“. Es war der erbärmliche Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr. Denn es ging um Missbrauchsfälle, die jahrzehntelang von Kirchenmännern begangen und vertuscht wurden – und die in Deutschland seit 2010 an die Öffentlichkeit drangen. Weil Opfer all ihren Mut zusammennahmen – und weil Journalisten nicht nachließen zu recherchieren.
Interesse an echter Aufarbeitung hatten jene Kirchenmänner nicht. Viele von ihnen machten Missbrauchs-Betroffene stattdessen ein zweites Mal zu Opfern: indem sie ihnen die Glaubwürdigkeit absprachen und sie unter Druck setzten. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der seit Monaten ein unabhängiges Missbrauchsgutachten unter Verschluss hält und dazu Opfer für seine Zwecke instrumentalisierte, verteidigt sich nicht mehr mit den Methoden von 2010 – aber er agiert nicht minder perfide. Es wäre fatal, kämen er, sein Anwaltsheer und seine erzkonservative Anhängerschar damit durch.
Dass Woelki zuletzt einen Rücktritt nicht mehr ausschloss, ist allenfalls bei oberflächlicher Betrachtung ein Zeichen für Einsicht. Er machte dies nämlich von einem zweiten Gutachten abhängig, das am 18. März veröffentlicht werden soll – nachdem er dem ersten einer Münchner Kanzlei „methodische Mängel“und Rechtswidrigkeit attestiert hatte. Ohne es zu kennen, wie er behauptet.
Vom zweiten Gutachten aber hat Woelki, der selbst unter Vertuschungsverdacht steht, kaum etwas zu befürchten, und das weiß er. Warum? Weil es die Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln offenkundig lediglich einer Rechtmäßigkeitskontrolle unterzieht. Und damit eben nicht – wie die Münchner Gutachter – Wertungen vornimmt, die auch auf kirchlichen Moralvorstellungen basieren.
Man muss an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Woelki ist nach allem, was bisher bekannt ist, strafrechtlich nichts anzulasten. Und treffen Medienberichte zu, sieht der Vatikan kirchenrechtlich ebenfalls kein Fehlverhalten. Es geht hierbei um die Frage, ob er 2015 einen Missbrauchsverdacht nach Rom hätte melden und eine kirchenrechtliche Voruntersuchung hätte einleiten lassen müssen.
Doch Schuld ist bei Weitem nicht nur eine Frage des Straf- oder Kirchenrechts. Wenn der Missbrauchsskandal darauf reduziert würde, gäbe es – polemisch formuliert – gar keinen Skandal von diesem Ausmaß: Strafrechtlich sind die allermeisten Taten längst verjährt. Und kirchenrechtlich war vieles nicht als problematisch oder sanktionierbar erkannt und eingestuft.
Klerikale Missbrauchstäter in andere Pfarreien zu versetzen, Akten (nach gewissen Fristen) zu vernichten, Opfer mehr oder minder subtil unter Druck zu setzen – alles kein Fall fürs Straf- oder Kirchenrecht. Und genau darauf stellt Woelki ab, was seine Äußerungen über eigene Fehler als billige Ausflüchte entlarvt. So sieht er es als Fehler an, mit Westpfahl Spilker Wastl der falschen Kanzlei einen Auftrag gegeben oder „nicht gut kommuniziert“zu haben. Gipfel der Perfidie war sein Satz vom letzten Donnerstag: „Ich tue das für die Betroffenen, damit sie ein Stück Gerechtigkeit erfahren.“Welch Hohn!
Die katholische Kirche hat bei Missbrauchsaufarbeitung und -prävention seit 2010 große Schritte gemacht. Woelki ist sie kaum mitgegangen. Er hat nichts gelernt und nichts verstanden. Seine Schuld – wenn sie sich schon nicht in den Kategorien des Straf- oder Kirchenrechts bemessen lassen sollte – liegt in jenem Bereich, in dem er seine Stärken haben sollte: der Seelsorge. Mit seinem Verhalten wird er weder Opfern gerecht noch den hohen moralischen Ansprüchen der Kirche. Höchste Zeit, dass er den Weg freimacht für einen Nachfolger.