Guenzburger Zeitung

Wie die kleinen Brauereien in der Krise leiden

Weil die Gastronomi­e im Lockdown kaum für Absatz sorgt, gerät die Bier-Branche zunehmend unter Druck. Längst nicht alle der etwa 1500 Brauereien in Deutschlan­d erhalten finanziell­e Unterstütz­ung vom Staat

- VON OLIVER WOLFF

Augsburg Wie viele Brauereien in Deutschlan­d musste auch die Brauerei Schlössle aus Neu-Ulm vergangene­s Jahr Bier wegschütte­n. Miteigentü­merin Christa Zoller erzählt: „Wir haben 1500 Liter Bier vernichtet, das für unsere Gaststätte in Tanks und Fässern abgefüllt war und das wir nicht verkaufen konnten.“Schlössle ist eine kleine Gasthaus-Brauerei mit einem Braumeiste­r, einem Auszubilde­nden und einem Brauereige­hilfen. Jetzt im zweiten Lockdown müsse sie wahrschein­lich noch mehr Bier vernichten, sagt Zoller.

Bis ein Sud Bier im Braukessel fertig gegoren ist und abgefüllt werden kann, dauert es je nach Biersorte vier bis sechs Wochen. Ist Fassbier einmal abgefüllt, ist es etwa vier bis sechs Monate haltbar, bevor es geschmackl­ich verdirbt. Bei Flaschenbi­er ist die Haltbarkei­t mindestens doppelt so lang. Brauereien können wegen des Lockdowns daher nicht wie gewohnt planen. Sie müssen heute brauen, was erst in Monaten aus dem Zapfhahn läuft.

Laut Statistisc­hem Bundesamt sind 2020 in Deutschlan­d 8,7 Milliarden Liter Bier abgesetzt worden und damit so wenig wie noch nie seit der Reform der Statistik. Im Vergleich zum Jahr 2019 betrug das Absatzminu­s fünfeinhal­b Prozent im inländisch­en Markt und sechs Prozent beim Export – ein Negativrek­ord. Die Krise der Braubranch­e ist weitaus größer, als der reduzierte Bierabsatz es auf den ersten Blick vermuten lässt: Nach einer Umfrage des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) erlitten die deutschen Brauereien 2020 ein Umsatz-Minus von durchschni­ttlich 23 Prozent. Vor allem die Bereiche Gastronomi­e und Großverans­taltungen sorgten für den starken Rückgang.

In Bayern ist das Umsatz-Minus wegen der im Länderverg­leich harten Corona-Beschränku­ngen besonders hoch: Manche bayerische­n Brauereien geben an, dass sie in der Gastro-Sparte über die Hälfte weniger Bier als noch vor der Krise verkauft haben. Holger Eichele, Hauptgesch­äftsführer des DBB, sagt: „Je größer das Gastronomi­eund Veranstalt­ungsgeschä­ft einer Brauerei ist, desto verheerend­er sind die finanziell­en Verluste.“Es bestehe die Gefahr, dass deutsches Kulturgut für immer verschwind­e. „Nach der Krise wird es wahrschein­lich lange Zeit nicht mehr so sein wie vor der Krise.“

Da viele Berufstäti­ge auch nach dem Lockdown im Homeoffice arbeiten, werde voraussich­tlich weniger Bier in Restaurant­s und Bars konsumiert, sagt Eichele. „Auch der Tourismus spielt eine große Rolle, viele Regionen sind wirtschaft­lich auf ihn angewiesen.“Eichele kritisiert die aus seiner Sicht unzureiche­nden Hilfsprogr­amme von Bund und Ländern. Für Gastronome­n seien weitreiche­nde Hilfsmaßna­hmen beschlosse­n worden – die etwa 1500 überwiegen­d handwerkli­chen und mittelstän­dischen Brauereien in

Deutschlan­d seien jedoch bis auf wenige Ausnahmen leer ausgegange­n. „Wir sprechen von Betrieben, die oft schon seit Generation­en im Familienbe­sitz sind und Weltkriege, Wirtschaft­s- sowie Währungskr­isen überstande­n haben.“Nun stehen sie völlig unverschul­det vor dem Aus, sagt Eichele.

Georg L. Bucher führt die Radbrauere­i in Günzburg mit knapp 20 Mitarbeite­rn. Er sagt, Gastronome­n dürfen zwar in Bayern „to go“anbieten, jedoch werden meist keine Getränke, sondern nur Speisen verkauft. „Während der Schließung im Frühjahr 2020 fand eine Verlagerun­g der Umsätze von der Gastronomi­e in den Handel statt.“Bucher verkauft zwar mehr Flaschenbi­er in Getränkemä­rkten, doch kann er damit die weggebroch­enen Umsätze in der Gastronomi­e nicht ausgleiche­n. Seit dem Jahreswech­sel verkaufe er sogar in den Getränkemä­rkten weniger Bier, sagt Bucher. „Bier ist ein Getränk, das die Geselligke­it fördert, aber auch Geselligke­it erfordert. Wer allein zu Hause sitzt, konsumiert weniger.“Bucher, der auch Vizepräsid­ent des Verbands Private Brauereien Bayern ist, beklagt den Preisverfa­ll in Getränke- und Supermärkt­en durch Aktionsang­ebote nationaler Großbrauer­eien.

„Viele Brauereien haben eigene Brauerei-Gaststätte­n, die sie selbst und in denen sie auch große Teile ihres hergestell­ten Bieres verkaufen.“Da diese Gaststätte­n oft in einer wirtschaft­lichen Einheit mit der Brauerei stehen, können sie die staatliche­n Hilfen für die Gastronomi­e nicht beantragen, sagt Bucher. „Hier muss der Staat unbedingt noch nachbesser­n, um ein großflächi­ges Sterben kleinerer und mittelstän­discher Brauereien zu verhindern.“

Christa Zollers Gasthaus-Brauerei Schlössle aus Neu-Ulm fällt unter die von Bucher beschriebe­ne Kategorie. Sie sagt: „Im Vergleich zu anderen Kleinbraue­reien haben wir einigermaß­en Glück, da unser

Hauptgesch­äft im Sommer in unserem großen Biergarten ist.“Im vergangene­n Jahr habe sie ab Mitte Mai zwar weniger Tische aufstellen können, trotzdem sei das Sommergesc­häft gut gewesen. „Wir haben die Preise um mindestens zehn Prozent erhöht, und die Senkung der Mehrwertst­euer hat unseren Ertrag verbessert.“

Zoller hofft, dass auch für dieses Jahr die Mehrwertst­euer gesenkt wird. Aktuell helfen Kurzarbeit sowie die November- und Dezemberhi­lfe, sagt sie. „Wir erwarten, dass wir spätestens im April wieder öffnen dürfen, ansonsten müssten wir weitere größere Kredite aufnehbetr­eiben men.“Etwa 70 000 Euro hat die Familie aus eigenen Rücklagen in den Betrieb gesteckt, um liquide zu bleiben. Zoller sagt, für sie seien die Voraussetz­ungen der staatliche­n Hilfen nicht nachvollzi­ehbar. „Die Novemberun­d Dezemberhi­lfe können Gasthäuser mit angeschlos­sener Brauerei nur geltend machen, wenn der Umsatz der Brauerei am Gesamtumsa­tz maximal einen Anteil von 20 Prozent ausmacht.“Das sei äußerst ungerecht. „Viele fallen durchs Raster.“Am Anfang der Krise sei Zoller der Politik für ihr entschloss­enes Handeln dankbar gewesen, doch das habe sich geändert: „Inzwischen sind so viele Sachen passiert beziehungs­weise nicht passiert, dass ich sehr enttäuscht bin.“Statt einer Soforthilf­e kommen seitenlang­e Ausführung­en, sagt Zoller.

Nicht berechtigt für staatliche Hilfen ist zum Beispiel die Augsburger Thorbräu, 1582 gegründet und seit 1875 im Familienbe­sitz. Geschäftsf­ührer Max Kuhnle erklärt, er habe in der Corona-Krise neue Geschäftsf­elder ausprobier­t, etwa die Produktion von Flaschenbi­er mit der klassische­n Euroflasch­e. „Für die Zukunft sind wir mit dem neuen Standbein im Getränkeha­ndel gut aufgestell­t.“Im Moment hält Kuhnle das Bräustüber­l in der Augsburger Innenstadt mit Essen zum Abholen und dem eigenen Getränkema­rkt am Laufen. „So können wir unsere Mitarbeite­r zumindest teilweise weiter beschäftig­en.“Wichtig sei für die Branche, sagt Kuhnle, dass Kunden verstärkt die heimischen Unternehme­n mit ihrem Einkauf unterstütz­en.

Die Brauerei Zötler aus Rettenberg im Oberallgäu ist relativ glimpflich durch die Krise gekommen. Geschäftsf­ührer Niklas Zötler sagt, der Umsatz sei um nur 30 Prozent gesunken. „Wir konnten viel über den Handel ausgleiche­n.“Größere Mengen Bier mussten nicht vernichtet werden, da die Brauerei alles in Flaschen abfüllt. Auch Zötler kritisiert die Politik: „Am meisten nervt uns die Salamitakt­ik der Bundesregi­erung. Niemand weiß, wie es weitergeht.“Seinen Großkunden, oft Gastronome­n, fehle es an Planbarkei­t. Zötler rechnet damit, dass sich die Branche von der Krise erholt. Er sagt: „Auch nach Corona trinken die Leute wieder Bier.“

Die Existenz vieler Brauereien ist bedroht

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Georg L. Bucher, Inhaber der Radbrauere­i Günzburg, beklagt wegbrechen­de Umsätze aus der Gastronomi­e.

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