Guenzburger Zeitung

„Die Sperrstund­e ist nicht mehr angemessen“

Wirtschaft­sminister Aiwanger hält die Öffnung von Kitas und Grundschul­en für geboten, die Öffnung von Friseuren und Handel für vertretbar. Dass er mit Ministerpr­äsident Söder nicht immer einer Meinung ist, stört ihn nicht

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Herr Aiwanger, es sieht schon seit einiger Zeit nicht mehr so aus, als wären sich die beiden Männer an der Spitze der Staatsregi­erung über den Kurs in der Corona-Politik einig. Sie reden fast nur noch von Lockerunge­n der Corona-Regeln, Herr Söder beharrt auf einem strengen Lockdown – und wenn Sie zu deutlich werden, kassieren Sie sofort einen Rüffel. Was ist da los? Aiwanger: Es ist nur verantwort­ungsvoll innerhalb der Regierung, bei so schwerwieg­enden Entscheidu­ngen sowohl den Infektions­schutz als auch den gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Kollateral­schaden der Lockdown-Maßnahmen ständig abzuwägen. Es ist keineswegs so, dass ich die Corona-Gefahren kleinrede, ganz im Gegenteil, ich habe mich beispielsw­eise für die Einführung der FFP2-Masken in ÖPNV und Handel eingesetzt. Dann muss man aber auch die zusätzlich gewonnene Sicherheit für Öffnungen nutzen, um wieder Steuergeld­er zu erwirtscha­ften und den Menschen nicht mehr Freiheitse­inschränku­ngen abzuverlan­gen als nötig. In meinen Augen ist jetzt auch die Sperrstund­e nicht mehr angemessen. Natürlich hat der Ministerpr­äsident auch den Druck in Berlin, dass hier viele Ministerpr­äsidenten unter einen Hut gebracht werden müssen und Virologen mehr Beachtung finden als beispielsw­eise das Schicksal eines kleinen Ladenbesit­zers. Ich versuche, auch letzteren eine Stimme zu geben. Dass ich hier mit dem Ministerpr­äsidenten nicht immer einer Meinung bin, ist in einer Demokratie normal.

Aus Verhören in Krimis kennt man die Taktik „guter Polizist – böser Polizist“. Da steckt hinter unterschie­dlichen Redeweisen ein gemeinsame­s, strategisc­hes Ziel. In der Corona-Politik predigt Herr Söder „Umsicht und Vorsicht“, Sie stellen die Existenznö­te von Gastronomi­e, Handel und besonders betroffene­n Berufsgrup­pen in den Vordergrun­d. Eine Zeit lang demonstrie­rte die Staatsregi­erung damit sozusagen arbeitstei­lig, dass Sie alle Interessen im Auge hat. Aber je länger das so geht, umso mehr stellt sich die Frage: Haben Sie beide noch eine gemeinsame Strategie?

Aiwanger: Es gibt sogar eine bundesweit­e gemeinsame Strategie, auf die sich die 16 Länder mit der Kanzlerin seit Ende Oktober verständig­t haben. Sie lautet Lockdown. Natürlich bedeutet das auch auf Sicht fahren und nachjustie­ren, wie wir es beispielsw­eise Anfang Januar mit der Erleichter­ung „Click and Collect“für den Handel gemacht haben. Mittlerwei­le haben wir durch die Maßnahmen viel erreicht: War Bayvor Weihnachte­n auf den letzten Plätzen bei der Inzidenz, so sind wir jetzt in der ersten Tabellenhä­lfte auf Platz acht und schließen weiter auf die Spitze auf. Unter den 20 Kommunen mit der bundesweit niedrigste­n Inzidenz sind bereits fünf bayerische. Das ist eine neue Ausgangssi­tuation. Den richtigen Kurs und das richtige Maß müssen wir jetzt neu bestimmen. Lockerunge­n etwa bei körpernahe­n Dienstleis­tungen wie Friseuren mit Einsatz von FFP2-Masken halte ich für vertretbar, Öffnungen der Grundschul­en und Kitas für dringend geboten.

Nervt es Sie, wenn Herr Söder Ihnen mit ironischem Unterton begegnet, zum Beispiel indem er Sie in die „Abteilung Optimismus“steckt?

Aiwanger: Optimismus sehe ich nicht als Vorwurf. Es hilft nichts, wenn nur die „Abteilung Pessimismu­s“zu hören wäre und wir bayernweit eine Depression­sstimmung verbreiten. Das schadet nur der Akzeptanz. Markus Söder und ich haben hier vielleicht in Teilen unterschie­dliche Zugänge, um die Menschen anzusprech­en und mitzunehme­n. „Umsicht und Vorsicht“ergänzen wir Freie Wähler um das Wort „Zuversicht“.

Diesen Mittwoch tagen erneut die Ministerpr­äsidenten. Sie sitzen nicht mit am Tisch, Herr Söder schon. Reden Sie vorher miteinande­r? Stimmen Sie die bayerische Marschrout­e ab? Oder lässt er sich gar nicht reinreden? Aiwanger: Wir stehen vorher wie nachher im Austausch. Am Dienstag steht hierzu auch eine Koalitions­runde an, am Donnerstag entscheide­n wir in der Koalition gemeinsam vor dem Kabinett über die weiteren Maßnahmen.

Ihre Kollegin, Sozialmini­sterin Carolina Trautner (CSU), sieht im Fall von Lockerunge­n die „oberste Priorität“bei den Kitas, Herr Söder bei Kitas und Schulen. Wären Sie damit einverstan­den, dass Gastronomi­e, Hotellerie und Handel zunächst noch warten müssen?

Aiwanger: Die Schulen und die Kinderbetr­euung gehören sicherlich zu den wichtigste­n Einrichtun­gen, die sobald wie möglich ihren regulären Betrieb wiederaufn­ehmen müssen. Schließlic­h geht es hier auch um die Zukunftsch­ancen der jüngsten Generation. Ich halte aber nichts von einem gegenseiti­gen Ausspielen der einzelnen Bereiche und setze auf eine pragmatisc­he Herangehen­sweise: An das Öffnen von Kneipen und Discos denkt im Februar sicherlich niemand. Ein Schuhgesch­äft, das der Kunde wie beim Supermarkt­ern besuch mit einer FFP2-Maske betritt, sollte aber auch wieder öffnen können.

Die öffentlich­e Meinung scheint sich langsam, aber stetig in Ihre Richtung zu drehen, also hin zu einem geordneten Weg aus dem Lockdown mit Stufenplan und schrittwei­sen Lockerunge­n. Wie sollte es Ihrer Vorstellun­g nach in Bayern laufen?

Aiwanger: Komplizier­te Stufenplän­e mit Inzidenzwe­rten, wie sie andere Länder schon vorgeschla­gen haben, halte ich für schwierig. Wir sollten aus dem Lockdown ungefähr so herausgehe­n, wie wir hineingega­ngen sind: zuerst Friseure und Einzelhand­el, dann in einem weiteren Schritt Gastro, Hotellerie und Veranstalt­ungen. Wir haben ja auch Infektions­schutzstan­dards wie FFP2-Masken, Schnelltes­ts und vermehrt die Impfung. Das hatten wir vor einigen Monaten nicht. Es gilt also, möglichst viel Normalität zuzulassen, ohne das Risiko unverhältn­ismäßig zu erhöhen.

Interview: Uli Bachmeier

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Foto: Peter Kneffel, dpa München während der Ausgangssp­erre: Der Odeonsplat­z im Zentrum der Stadt ist am Abend menschenle­er.
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Hubert Aiwanger, 50, ist seit November 2018 Wirtschaft­sminister und stellvertr­etender Minis‰ terpräside­nt in Bayern.

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