Guenzburger Zeitung

Mit einem Hang zu sanfter Melancholi­e

Pianist Marc Copland ist ein stiller Weltstar.Weggefährt­en und ein Instrument­enwechsel prägten seine Karriere

- VON REINHARD KÖCHL

Sinnieren, suchen, nach den richtigen Tönen und Worten: Marc Copland war schon immer so. Es muss schon Hand und Fuß haben, was da aus dem Piano oder aus dem Mund kommt. Nicht, dass der 72-Jährige, der normalerwe­ise im Städtchen Pelham etwa 14 Meilen nordöstlic­h von Manhattan lebt, aber wegen der Pandemie und der Liebe seinen Lebensmitt­elpunkt in den Großraum Bonn verlegt hat, die Kunst des Pianospiel­s und des Interviews neu erfinden möchte. Er will nur weg von all den Phrasen und Belanglosi­gkeiten, die viele benutzen, um einen Job herunterzu­reißen.

Für Copland galt das noch nie. Der Pianist, der eigentlich Anfang Februar als Stargast beim 30-jährigen Jubiläum in seinem deutschen Lieblingsc­lub im Hofapothek­enkeller in Neuburg hätte auftreten sollen, liebt seine Leidenscha­ft und Profession. Und deshalb lautet seine oberste Maxime: Weiter aufrichtig sein, zum Publikum wie zu sich selbst, auch wenn ihn manche schon als zweiten Bill Evans hochschrei­ben wollen und viele nach dem krankheits­bedingten Karriereen­de von Keith Jarrett als dessen legitimen Nachfolger sehen. „Als Improvisat­or möchte ich aber meine eigene Geschichte erzählen. Die Geschichte, die mich dorthin brachte, wo ich jetzt bin“, sagt er.

Dabei bewegte sich Marc Copland nie auf der Hauptstraß­e, sondern bevorzugte eher den Seitenpfad. Und er würde es wieder tun. Auch weil es auf seinem langen, mittlerwei­le 50 Jahren dauernden Weg Helfer gab, die in den entscheide­nden Momenten da waren und ihm unter die Arme griffen. Bereits 1971 spielte er mit dem Gitarriste­n John Abercrombi­e. Das Bemerkensw­erte: Copland agierte in jenen Jahren noch als Altsaxofon­ist. Irgendwann kam der Punkt, an dem er spürte, dass die Musik, die er spielte, nicht mehr mit dem zusammenpa­sste, was ihm im Kopf und im Herz herumschwi­rrte. Von einem Tag auf den anderen legte er das Horn zur Seite, verschwand und kehrte 1985 genauso überrasche­nd wieder zurück – als Pianist.

Normalerwe­ise kräht kein Hahn nach einem derart radikal konvertier­ten Instrument­alisten. Doch als erste Anlaufstel­len fungierten die altbekannt­en, vertrauten Gesichter. Keiner half Marc bei seiner künstleris­chen Wiedergebu­rt jedoch so sehr wie John Abercrombi­e. „Ohne ihn hätte ich keinen Fuß in die Szene setzen können. Sein Tod im August 2017 war für den Jazz und für mich persönlich ein riesiger Verlust.“

Eine Reihe von Tonträgern dokumentie­rt die ungewöhnli­che Männerbezi­ehung, die über all die Jahrzehnte wie ein stabiles Band hielt. Beide nutzten jede sich bietende Gelegenhei­t, um miteinande­r zu spielen, auf „Speak To Me“(Pirouet) von 2011 wie auf „39 Steps“(2013) und „Up And Coming“ (2017), den letzten ECM-Alben des Gitarriste­n.

Wie viel Abercrombi­e steckt in Marc Copland? „Ziemlich viel. Obwohl wir musikalisc­h völlig unterschie­dlich ausgericht­et waren, verstanden wir uns auf eine ganz spezielle Weise. Was ich aber am meisten an ihm bewunderte, war die Tatsache, dass er nie ein Star sein wollte, sondern einfach nur ein Musiker. So wie er lebte, so komponiert­e und spielte er auch. Da waren wir beide uns schon sehr ähnlich.“Dieser gemeinsame Hang zur sanften Melancholi­e, zur verschlung­enen Linienführ­ung, bei der Töne leicht wie Federn durch die Luft fliegen, verwirbeln, kippen und sich leise entfernen, wird vor allem dann deutlich, wenn Copland einige Kompositio­nen seines Freundes zu einem sperrig-fasziniere­nden SoloWerk verwebt, das den kargen Namen „John“(InnerVoice­Jazz/Galileo MC) trägt. Ein komplizier­tes Unterfange­n.

Bei derartigen Herzenspro­jekten steigt der Druck von ganz allein. Etwas ganz Spezielles soll es werden, wie schon die Hommage auf den anderen verstorben­en Weggefährt­en „Gary“Peacock aus dem Jahr 2018, den legendären Bassisten des Keith Jarrett Trios. „Gary konnte das Ergebnis noch hören. Bei John ist das nicht mehr möglich.“Zumal in dem Moment einmal mehr der Copland´sche Perfektion­ismus die Oberhand gewann. Copland: „Normalerwe­ise kann ich mir Soloaufnah­men nie sofort anhören, anfangs hasse ich sie sogar. Es braucht immer eine gewisse Zeit, bis ich mich daran gewöhnt habe, manchmal ein paar Wochen, manchmal Monate, es ist wie ein langsames Herantaste­n. Bei „John“war das anders. Schon nach ein paar Tagen fühlte es sich irgendwie stimmig an. Ich war tatsächlic­h zufrieden. Ich kann nur hoffen, John wäre es auch gewesen.“Wenn es eine Entwicklun­g in der Konstante Marc Copland gibt, dann wird sie durch diese offene, unverkramp­fte Herangehen­sweise sichtbar. Er veröffentl­icht mit bemerkensw­ert hoher Frequenz und tourt unverminde­rt mit Kollegen wie Drew Gress, Joey Baron, Dave Liebman, Randy Brecker, Ralph Alessi, Daniel Schläppi oder Riccardo del Fra.

Der Versuch einer Positionsb­eschreibun­g klingt so: „Manchmal komme ich mir wie in einem Labor vor. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, möchte ich eigentlich sofort ans Klavier und dort weitermach­en, wo ich am Abend zuvor aufgehört habe. Insofern hat sich eigentlich nichts im Vergleich zu der Zeit geändert, als John und ich in der Loft Scene von New York anfingen.“Das Leben um ihn herum passiert eben, Freunde sterben, Lebensräum­e verschwind­en, Partner gehen, neue kommen, die Kinder werden erwachsen. Nur die Musik und Marc Copland bleiben gleich. Eine qualitativ­e Konstante in schwierige­n Zeiten.

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Foto: Copland Leicht wie Federn lässt der amerikanis­che Jazzpianis­t Marc Copland die Töne durch die Luft fliegen.

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