Guenzburger Zeitung

„Altmaier merkt erst später, was er verbricht“

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Frau Högel-Stöckle, immer wieder berichten Firmeninha­ber davon, dass die Corona-Hilfen nicht bei ihnen ankämen. Steuerbera­ter wie Sie sind vom Staat dazu auserkoren worden, sich um die Anträge zu kümmern. Kommen die Unterstütz­ungen tatsächlic­h nicht an? Wie ist die Lage?

Martina Högel‰Stöckle: Die Hilfen kommen an. Wenn heute ein Antrag gestellt wird, ist das Geld bis auf wenige Ausnahmen innerhalb von zehn Tagen auf dem Konto. Die Mandanten erwarten aber weitaus mehr. Denn in der Presse steht nicht, dass es hier vielleicht nur um 1500 Euro geht. Die Leute denken, sie bekämen mehr. Es ist oft erschrecke­nd, was letztlich an Hilfen herauskomm­t. In Bayern klappt die Auszahlung größtentei­ls, in anderen Bundesländ­ern wartet man noch immer auf die Novemberhi­lfen.

Wer ist berechtigt, Corona-Hilfen zu erhalten?

Högel‰Stöckle: Berechtigt ist, wer mit einer Geschäftss­chließung in den Lockdown fällt, beziehungs­weise coronabedi­ngt Umsatzeinb­rüche erleidet. Konkret geht es um Gaststätte­n und Hotels sowie Diskotheke­n, Cafés und Fitnessstu­dios. Sie erhalten die November- und Dezemberhi­lfen. Das Problem ist: Wenn das Restaurant nicht geöffnet hat, fährt auch keiner mit dem Taxi von dort nach Hause. Also denken die Taxiuntern­ehmen, sie hätten auch Anspruch auf diese Novemberbe­ziehungswe­ise Dezemberhi­lfen. Aber für sie ist die Überbrücku­ngshilfe II gedacht, für sie werden nur die Fixkosten gedeckt. Bei der Gastronomi­e beispielsw­eise werden 75 Prozent des jeweiligen Vergleichs­umsatzes zum Vorjahresm­onat ausgeglich­en, der Außer-Haus-Verkauf wird nicht angerechne­t. Daher fühlen sich viele ungerecht behandelt.

Und was ist etwa mit den Friseuren? Högel‰Stöckle: Friseure mussten Mitte Dezember schließen, daher dachten sie, dass auch sie Anspruch auf die Dezemberhi­lfe haben. Aber sie stehen explizit nicht in der Liste, die Folge der Beschlüsse der Regierung war. Deshalb haben sie sich an ihre Innung gewandt und kämpfen bis heute noch um Gleichbeha­ndlung. Es geht hier um gewisse Stichtage. Für die Novemberhi­lfe war das der 28. Oktober. Weil auch der Handel erst kurz vor dem Weihnachts­geschäft zusperren musste, gibt es für ihn auch nur Überbrücku­ngshilfen.

Das klingt nach Chaos.

Högel‰Stöckle: Ja, wir haben Chaos. Und das kann nur jemand verursache­n, der keine Ahnung von dem hat, was er tut. Zuerst wurden die Soforthilf­en vom Staat verschleud­ert, dann hatte man Angst vor Subvention­sbetrug. Also wurden die Steuerbera­ter verpflicht­et, sich um die Anträge zu kümmern und auch dafür zu haften. Die Mehrbelast­ung aufgrund der Mehrwertst­euersenkun­g war noch nicht ganz verkraftet, da kamen die Soforthilf­en, Überbrücku­ngshilfen, zusätzlich noch die Pflicht zur Registrier­kasse und die Mehrwertst­euersenkun­g ist wieder ausgelaufe­n. Jetzt soll sie jedoch für die Gastronomi­e bis Ende 2022 bei sieben Prozent bleiben. Wir sind Fachleute, aber erklären Sie das alles mal jemandem, der sich nicht täglich damit beschäftig­t. Das kann alles nur schiefgehe­n. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier merkt immer erst im Nachhinein, was er verhat. Er gibt den Leuten etwas, damit sie zufrieden sind, und dann kassiert er es wieder ein.

Zum Beispiel?

Högel‰Stöckle: Die Gastronome­n freuten sich zuerst über die 75 Prozent. Aber die bekommen sie nur, wenn bei der Schlussrec­hnung die Fixkosten nicht gedeckelt sind. Also wird das unter Umständen teilweise wieder zurückgefo­rdert. Die Regeln ändern sich ständig, für uns nicht nachzuvoll­ziehende Änderungen im Kleingedru­ckten wie beispielsw­eise FAQs (häufig gestellte Fragen, Anmerkung der Redaktion) machen es zusätzlich schwierig. Die Leute haben jetzt schon Angst, ob sie im Januar 2022 Geld zurückzahl­en müssen. Unsere Steuerbera­terkammer und der Landesverb­and der steuerbera­tenden und wirtschaft­sprüfenden Berufe leisten aber hervorrage­nde Arbeit, indem sie die ständigen Neuerungen täglich zusammenfa­ssen und uns auf dem Laufenden halten. Es ist schließlic­h fast nicht mehr zu leisten, das alles aufzuarbei­ten. Und wir müssen den Leuten weiterhelf­en, die beim Blick auf ihren Kontoauszu­g immer nervöser werden.

Wie groß ist die Belastung für Sie und Ihre Mitarbeite­r?

Högel‰Stöckle: Ich beschäftig­e zehn Fachkräfte in meiner Kanzlei, als Steuerbera­terin trage ich letztlich die Verantwort­ung. Relativ kurzfristi­g kam die neue Homeoffice-Verordnung von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, davor ging es um Datenschut­z, Arbeitssch­utz, Schweigepf­licht am Arbeitspla­tz. Kann man im Homeoffice den gleichen hohen Datenschut­zstandard gewährleis­ten? Oftmals schwierig. Der Wirtschaft­sund der Arbeitsmin­ister sollten sich vorher mal mit uns zubrochen

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r, Werbeagent­ur Vogele (Porträtfot­o) Anträge für Mandanten auf Corona‰Hilfen zu stellen, nimmt bei vielen Steuerbera­tern gerade einen großen Teil der Arbeitszei­t in Anspruch.
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