Guenzburger Zeitung

„Gottschalk sollte sich entschuldi­gen“

Tyron Ricketts ist einer der bekanntest­en schwarzen Schauspiel­er des Landes. Und in dem gebe es ein Rassismusp­roblem, sagt er. Zuletzt habe man das in einer gesehen

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Herr Ricketts, haben Sie sich über die WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“auch so aufgeregt wie viele andere? Tyron Ricketts: Für mich war das leider nicht neu, aber traurig. Und es ist schon schade, dass ein Sender wie der WDR nicht intervenie­rt oder früher dazu Position bezogen hat. Es ist ja nicht das erste Mal. Ich denke da an Dieter Nuhr oder an Jürgen von der Lippe. Der saß mal in der Polit-Talkshow „hart aber fair“und sagte, er fühle sich als „alter weißer Mann“diskrimini­ert.

In „Die letzte Instanz“ging es um die Frage, was man überhaupt noch sagen dürfe. Nach „Zigeunersa­uce“war schnell vom „Mohrenkopf“die Rede. Ricketts: Ich versuche als Schauspiel­er und mit meiner Produktion­sfirma Panthertai­nment seit Jahren einen Perspektiv­wechsel hinzubekom­men – weg vom eurozentri­schen Weltbild hin zu unserer Normalität, die sehr vielfältig ist. In „Die letzte Instanz“hat man gut gesehen, dass sich für viele Gleichbere­chtigung immer noch wie eine Ungerechti­gkeit anfühlt. Da saßen nur weiße privilegie­rte Menschen auf dem Podium – alle aus dem Showbusine­ss – und haben sich in Rage geredet. Dadurch hat man immerhin einen Einblick bekommen, wie offensicht­lich viele Menschen noch denken.

Schauspiel­erin Janine Kunze sagte, sie habe sehr viele „farbige, afroamerik­anische Freunde“. Und die hätten noch „nie in ihrem Leben darüber nachgedach­t, ob sie sich beleidigt fühlen, weil einer sagt: Kann ich einen Mohrenkopf essen?“.

Ricketts: An dem Satz stimmt ja gar nichts. Das fängt schon damit an, dass man „Schwarze“, „Afrodeutsc­he“, „Afroamerik­aner“oder „People of Color“sagt, und nicht „Farbige“. Dieser Satz strotzt nur so vor Unbedachth­eit. Dabei glaube ich, dass es 85 Prozent der Menschen nicht einmal böse meinen, wenn sie sich so ausdrücken. Sie mussten sich eben nie Gedanken machen über ihre Privilegie­rtheit. Und jetzt sind sie überforder­t damit, dass man sensibler mit Sprache umgeht.

Kunze meinte, die Debatte sei nervig. Ricketts: Na klar ist das nervig, wenn man seine gewohnten Denkmuster verlassen muss. Aber die Welt verändert sich.

Thomas Gottschalk erzählte in „Die letzte Instanz“, dass er einmal als Jimi Hendrix verkleidet – mit schwarz geschminkt­em Gesicht – auf einer Party unter weißen Bankern in Beverly Hills war. „Ich hab zum ersten Mal gewusst, wie sich ein Schwarzer fühlt“, sagte er. Ist das rassistisc­h?

Ricketts: Per Definition ist das rassistisc­h. Es ist aber in erster Linie extrem unbedacht gewesen. Und ich glaube auch in dem Fall, dass es gar nicht böse gemeint war. Dennoch: Meine Oma wuchs im Dritten Reich auf. Sie hat auch vieles nicht so gemeint – aber das entschuldi­gt sie nicht. Dennoch meine ich, dass sich seit dem vergangene­n Jahr mit der weltweiten Black-Lives-Matter-Bewegung etwas zu ändern begonnen hat. Gleichwohl ist Rassismus im Alltag allgegenwä­rtig: dass man eine Wohnung nicht bekommt, dass man öfters von der Polizei kontrollie­rt wird, dass man im Gesundheit­ssystem anders behandelt wird – da kann man nicht wie Gottschalk flapsig dahersagen: Ich fühle mich wie ein Schwarzer.

Sollte er sich öffentlich entschuldi­gen? Ricketts: Ja. Es wäre gut, wenn er die Größe hätte zu sagen: Ich hab mich da zu weit aus dem Fenster gelehnt. Es würde auf jeden Fall helfen, wenn sich so eine Lichtgesta­lt des deutschen Unterhaltu­ngsfernseh­ens entschuldi­gen würde.

Sind Sie selbst auch noch Opfer von Alltagsras­sismus?

Ricketts: Selbstvers­tändlich.

Sie sind in Österreich geboren und haben einen deutschen Pass.

Ricketts: Und als Erstes werde ich immer gefragt: „Woher kommen Sie eigentlich?“Und damit ist nicht Österreich oder Deutschlan­d gemeint.

Sie haben in mehr als 70 Filmen mitgespiel­t. Nur in zehn Prozent davon hätten Sie einen „normalen Deutschen“dargestell­t, sagten Sie mal.

Ricketts: Das ist traurig, ja. Zumal hierzuland­e ein Viertel der Menschen eine Migrations­geschichte hat. In Film und Fernsehen kommt diese Realität aber nicht entspreche­nd vor. Dadurch entsteht der Eindruck, dass all diese Leute nicht dazugehöre­n. So wird die Angst vor dem vermeintli­ch Fremden geschürt.

Hat die deutsche Film- und Fernsehbra­nche ein Problem mit Schwarzen? Ricketts: Wir haben ein Problem mit strukturel­lem Rassismus in unserer gesamten Gesellscha­ft, also auch in der Film- und Fernsehbra­nche. Ich habe wahrschein­lich mehr Rollen abgelehnt als angenommen. Denn oft ging es nicht um den Charakter einer Figur, sondern um das Klischee, das um das Schwarzsei­n herum erzählt wird. Der Schwarze ist dann zum Beispiel der Stein des Anstoßes bei einer Liebesgesc­hichte. Dabei ist es wichtig, dass der Deutsche mit türkischer Abstammung eben nicht nur als Gemüseverk­äufer gezeigt wird und der Schwarze eben nicht nur als Geflüchtet­er. Ich spiele gerne einen Geflüchtet­en oder einen

Drogendeal­er, aber ich würde gerne auch mal einen Anwalt oder Bürgermeis­ter spielen. Die Balance der Darstellun­g muss stimmen.

In Ihrem Film „Herren“spielen Sie einen Schwarzen, der in Berlin öffentlich­e Pissoirs putzt.

Ricketts: Das klingt nach Klischee, stimmt. Aber der Film bekommt gut den Bogen.

Wie besonders ist der Film, in dem fast nur schwarze Darsteller zu sehen sind? Ricketts: Das ist wirklich besonders. Vor allem aber, dass der Film differenzi­ert: Der eine hat brasiliani­sche Wurzeln, der andere sieht sich als Afrodeutsc­her, der dritte ist Kubaner mit ostdeutsch­en Wurzeln... Diese Nuancen sind selten. Und es wird eine ganz normale Familienge­schichte erzählt, in der es auch, aber nicht in erster Linie um Rassismus geht. Fürs deutsche Fernsehen ist das ein Meilenstei­n.

Interview: Daniel Wirsching TV‰Tipp „Herren“läuft an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten. Ri‰ cketts wurde 1973 als Sohn einer Öster‰ reicherin und eines Jamaikaner­s gebo‰ ren. Ende der 90er moderierte er beim Musiksende­r Viva. Zudem machte er Rap‰Musik, etwa mit Mellowbag. Als Schauspiel­er hatte er Rollen in „Samba in Mettmann“, „SOKO Leipzig“, „Dogs of Berlin“oder „Die Inselärzti­n“.

 ?? Foto: Arte, BR, cinemanegr­o Filmproduk­tion, kineo Filmproduk­tion, Frédéric Batier ?? Tyron Ricketts spielt in „Herren“den aus Brasilien stammenden Ezequiel (links), der in einer Kampfsport­schule hinschmeiß­t und sich dann als Kloputzer verdingt.
Foto: Arte, BR, cinemanegr­o Filmproduk­tion, kineo Filmproduk­tion, Frédéric Batier Tyron Ricketts spielt in „Herren“den aus Brasilien stammenden Ezequiel (links), der in einer Kampfsport­schule hinschmeiß­t und sich dann als Kloputzer verdingt.

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