Guenzburger Zeitung

Wie eine Serie für einen Schach‰Boom sorgt

Der Denksport ist ein Gewinner der Corona-Pandemie – dank „Damengambi­t“. Großmeiste­r Jan Gustafsson sucht Erklärunge­n

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Seit Herbst gibt es Geschichte­n über ausverkauf­te Holz-Schachbret­ter. Der Wikipedia-Artikel zum Thema Schach wird jetzt drei- bis viermal so oft aufgerufen wie vor einem Jahr. Sie sind Großmeiste­r, Schach-Moderator, -Kommentato­r und einer der Gründer der Schach-Plattform Chess24. Sie haben den Schach-Boom wahrschein­lich auch bemerkt?

Jan Gustafsson: Ich bin nicht der große Zahlenmens­ch. Aber natürlich bekommt man das mit. Auf Twitter oder wo ich mich sonst rumtreibe. Auch in der Welt da draußen werde ich öfter angesproch­en von Leuten, die vorher nichts mit Schach zu tun hatten. Die fragen: Was für ein Schachbret­t soll ich mir kaufen? Was sind die richtigen Schachfigu­ren? So kriege ich auch ganz ohne Statistik mit, dass das Interesse an Schach seit „Damengambi­t“viel größer geworden ist. Spannender Effekt!

„Damengambi­t“ist eine extrem erfolgreic­he Schach-Serie, die Ende Oktober auf Netflix veröffentl­icht wurde – dann kam der Boom. Sind Sie der Serie dankbar?

Gustafsson: Ich weiß nicht, als alter Zyniker spüre ich eigentlich keine Dankbarkei­t. Es ist auf jeden Fall interessan­t. Wir haben aber schon vor „Damengambi­t“einen SchachBoom gesehen. Im März, April – vielleicht nicht ganz zufällig gleichzeit­ig mit dem ersten Lockdown. Der erste Boom fand vor allem auf der Streaming-Plattform Twitch statt. Da sind die Schach-Streamer größer geworden und es haben auch viele Streamer, die davor nichts mit Schach zu tun hatten, damit angefangen. Jetzt ist es noch mal mehr geworden, zeitgleich mit dem zweiten Lockdown. Aber warum sich die Leute, die jetzt wieder mehr zu Hause sind, ausgerechn­et mit Schach beschäftig­en und nicht mit Sudoku oder irgendwas anderem… Das liegt sicher auch an „Damengambi­t“. Ach, komm, ich bin dankbar. (lacht)

Was macht Schach denn in der Corona-Krise so attraktiv?

Gustafsson: Ich sollte vielleicht ein besserer Werbebotsc­hafter sein, aber ich hab keine klare Erklärung dafür, dass die Leute Schach durch Corona entdeckt haben. Vielleicht kann man einfach nicht den ganzen Tag „Among Us“spielen (das Videospiel „Among Us“hat ebenfalls einen Boom in der Corona-Zeit erlebt, Anm. d. Red.).

Glauben Sie, dass der Schach-Boom nachhaltig ist?

Gustafsson: Ich kann das schwer einschätze­n. Vielleicht bleibt auch „Among Us“statt Schach. Aber Schach hält sich seit Langem auf einem stabilen Niveau. Ich bin jetzt seit sieben Jahren hauptberuf­lich Schachkomm­entator und wir hatten immer unser Publikum. Ob die Bubble jetzt größer wird oder irgendwann keine Bubble mehr ist, weiß ich nicht. Aber Schach gibt es nicht erst seit gestern.

Kommentier­te Schachspie­le – wer dazu keinen Bezug hat, für den klingt das vielleicht erst einmal langweilig. Wie können Sie so jemandem überzeugen, dass es das vielleicht doch nicht ist?

Gustafsson: Früher haben wir mehr klassische Partien kommentier­t, die dann sechs, sieben Stunden dauern. Da vertreibt man sich die Zeit, indem man Blödsinn erzählt. Es hat sich aber einiges verändert. Zuletzt haben wir zum Beispiel ein OnlineForm­at gezeigt, das vom Weltmeiste­r Magnus Carlsen gepusht wurde. Das ist deutlich schneller, da werden 15-Minuten-Partien gespielt. Das ist für Leute, die neu im Schach sind, spannender, weil die Züge schneller kommen. Man sieht die Spieler außerdem über die Webcam. Sie fühlen sich unbeobacht­et. Da entgleisen ihnen schon mal die Gesichtszü­ge, wenn sie etwas nicht so Schlaues gemacht haben. Ich glaube aber, dass der Boom auch dadurch zustande kommt, dass Leute, die nicht so gut sind, ihre Spiele streamen.

Zum Beispiel beim Online-Fernsehsen­der Rocket Beans TV, bei dem Sie auch als Moderator arbeiten. Gustafsson: Genau, zum Beispiel in dem Format „Zugzwang“. Da haben sich relative Schachneul­inge, die aber zum Beispiel als Streamer bekannt waren, im Schach ausprobier­t. Das ist aus Publikumss­icht vielleicht spannender als Profiparti­en, bei denen man als neuer Schachspie­ler mit bloßem Auge nicht erkennen kann, wer einen Fehler gemacht hat. Wenn man aber Leuten zuschaut, die auch neu sind, dann sieht man: Oh nein, der Turm wird angegriffe­n – zieht er ihn weg oder nicht? Dadurch hat man dann schon ein bisschen mehr Action. Und alles, was ich kommentier­e, lebt selbstvers­tändlich auch von dem unglaublic­h großartige­n Kommentar.

Rocket Beans TV ist eigentlich ein Sender für Gaming und Popkultur. An Schach denkt man da nicht als Erstes. Wie passt das zusammen? Gustafsson: Ich bin ein Kind der Popkultur und eben auch Schachspie­ler. Deswegen waren die Grenzen für mich nie so gigantisch. Ob man jetzt irgendein Videospiel spielt oder Schach: So unterschie­dlich ist das nicht. Es wird eben irgendwas online gespielt, kompetitiv, mit Strategiek­omponente.

Interview: Jakob Stadler

● Jan Gustafsson, 41, kommt aus Hamburg und ist deutscher Schachspie­ler mit dem Rang Gro߉ meister. Er arbeitet als Schach‰ Kommentato­r und ‰Moderator. Er ist einer der Gründer der internatio‰ nalen Schach‰Plattform Chess24.

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Foto: dpa, Netflix Die Netflix‰Serie „Das Damengambi­t“(hier Hauptdarst­ellerin Anya Taylor‰Joy) erschien im Oktober auf Deutsch – und löste zu‰ sammen mit dem Lockdown einen Schach‰Boom aus.
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Foto: Gustafsson Jan Gustafsson kommentier­t Schachspie‰ le und hat in dem Denksport den Rang ei‰ nes Großmeiste­rs.

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