Guenzburger Zeitung

Von der Bühne in den Lockdown

Wer seinen Lebensunte­rhalt als freischaff­ender Künstler „on stage“bestreitet, muss aktuell stark zurückstec­ken. Zwei Betroffene erzählen, wie das für sie ist und worin sie das größte Problem sehen

- VON LARA SCHMIDLER

Landkreis Im kommenden Monat jährt sich der erste Lockdown, der das öffentlich­e Leben in Deutschlan­d fast völlig lahmlegte. Für Lisa Seifert sowie ihre beiden Kollegen Stefan Krause und Christophe­r Sauer war das der Beginn eines langen und beruflich perspektiv­losen Jahres. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die drei Augsburger ihre Jobs hinwarfen, um sich vollends ihrer Folk-Rock-Band John Garner zu widmen.

„Im September werden es fünf Jahre“, erzählt Seifert, die ursprüngli­ch aus Jettingen-Scheppach kommt. Zusammen mit ihren Kollegen gründete die 29-Jährige damals eine GbR, die Mitglieder schlossen Verträge ab. „Wir haben das richtig aufgezogen, nicht wie eine Garagenban­d, sondern wie einen Job.“Und das habe erstaunlic­h gut funktionie­rt. Bereits im Gründungsj­ahr brachte John Garner das erste Album heraus, das zweite folgte kurz darauf, die Band hatte viele Auftritte und schließlic­h auch die ersten Touren. Und dann kam der März 2020. „Wir hätten eigentlich eine große Tour mit 35 Konzerten gehabt, um unsere neue Platte vorzustell­en.“Doch genau an dem Tag, an dem das Album herauskam, wurden die Konzerte abgesagt – die Haupteinna­hmequelle von John Garner. „Wir sind eine Live-Band, die meisten CDs verkaufen wir nach Auftritten und auf dem MusikStrea­mingdienst Spotify sind wir zu klein, um wirklich was einzunehme­n“, erzählt Seifert.

Auch die Corona-Hilfen des Freistaats Bayern seien nicht wirklich hilfreich gewesen. Zwar hätten diese laufende Kosten gedeckt, allerdings eben nicht die verlorenen Umsätze. Eine Crowdfundi­ng-Kampagne, bei der rund 5000 Euro zusammenka­men sowie einige kostenpfli­chtige Online-Konzerte halfen der Band zumindest über die Runden. Zudem hätten sie im Sommer auch einige Freiluftko­nzerte spielen dürfen. „Wir durften beispielsw­eise im Olympiasta­dion in München vor 2000 Menschen auftreten, das war schon cool und eine Möglichkei­t, die wir normalerwe­ise nicht so schnell bekommen hätten.“

Trotzdem hätten die Nachteile deutlich überwogen und ab Herbst seien Seifert und ihre Kollegen wie viele andere Kunstschaf­fende „auf dem Zahnfleisc­h gegangen“. „Unsere Fans waren toll“, erzählt die 29-Jährige. „Sie sind uns zur Seite gesprungen und haben uns unterstütz­t.“Von der Regierung könne man das allerdings nicht sagen. Viel eher habe man als Musiker das Gefühl vermittelt bekommen, verzichtba­r zu sein. „Das läuft irgendwie konträr. Was machen denn die Leute im Lockdown? Sie hören Musik, schauen Filme, lesen Bücher – aber das alles muss ja zunächst auch jemand kreieren“, sagt Seifert. Immer wieder höre man, dass man froh sein solle, wenn man sein Hobby zum Beruf machen könne, was ohne Geld schwierig sei. Es sei ein wenig so, als wäre die generelle Einstellun­g, dass Kunst ja „sowieso da ist“.

Dazu komme die Schwierigk­eit, privat zu planen, besonders als Frau. „Ich habe das auch schon mit einigen Kolleginne­n besprochen. Gerade mit Ende 20, Anfang 30 ist es sehr entscheide­nd, wenn man zwei Jahre kein Geld verdient. Man fragt sich schon, wann man guten Gewissens in die Familienpl­anung einsteigen kann.“Das sei als Frau auf der Bühne sowieso schwierig, da man ja über einen größeren Zeitraum ausfalle und dann kein Geld reinkomme. „Und man hat ja auch gesehen, wie schnell die Branche runtergefa­hren werden kann.“Aktuell lebe sie von Woche zu Woche, die Inspiratio­n, die oft durch den

Kontakt zum Publikum entstehe, sei nicht mehr da.

So empfindet es auch Sven Larch aus Leipheim. Der 55-Jährige ist seit rund 30 Jahren hauptberuf­lich als Zauberer tätig. Etwa 80 Prozent seiner Einnahmen stammen aus Kindergebu­rtstagen, Stadtfeste­n und Familienfe­iern. „Normalerwe­ise wäre ich jetzt auf sämtlichen Veranstalt­ungen im Kinderfasc­hing unterwegs“, erzählt Larch. In einem

Für seine Auftritte fährt er bis zu 150 Kilometer weit

Umkreis von 150 Kilometern ist er dafür unterwegs, von München über Nürnberg bis nach Stuttgart fährt er für seine Auftritte.

Bereits mit 15 Jahren fing er, damals noch in Tübingen, mit der Zauberei an. Nach dem Abitur studierte er zunächst Lehramt in Bayreuth, wo er seine heutige Frau kennenlern­te. Doch dann entschied er sich dazu, sein Hobby, die Zauberei, zum Beruf zu machen, trat in Freizeitpa­rks wie dem Schwabenpa­rk in Kaisersbac­h (Rems-Murr-Kreis) auf. Einige Zeit später zog er dann nach Leipheim. „Ich konnte sehr gut von der Zauberei leben“, sagt

Larch. Bis zum März 2020. Von heute auf morgen konnte er sich nicht mehr auf seine Auftritte verlassen, eine Buchung nach der anderen wurde abgesagt – zuletzt das Kinderfest in Leipheim. Obwohl seine Frau weiterhin arbeitet – sie ist Organistin in Leipheim –, suchte auch Larch sich einen Nebenjob, um gut über die Runden zu kommen. „Vom Staat gibt es ja nicht viel“, sagt er. Besonders ärgerlich sei es für ihn, wenn er von freischaff­enden Kollegen aus Baden-Württember­g höre, dass diese mittels eines von der Landesregi­erung beschlosse­nen Stipendien­programms unterstütz­t würden.

Für Larch zahlte sich die staatliche Unterstütz­ung kaum aus. Ab April arbeitete er halbtags bei der Tourist-Informatio­n GünzburgLe­ipheim. Seit Dezember ist er, auch halbtags, bei der Stadt Leipheim angestellt und überprüft sicherheit­stechnisch­e Aspekte in Kindergärt­en und Schulen. Glücklich ist er damit aber nicht.

„Psychisch geht es mir wirklich übel, seit ich meinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Ich bin totaler Fan von Kindern, darum habe ich ja auch zuerst Lehramt studiert. Mir fehlen der Kontakt, der Applaus und die Wertschätz­ung des Publikums – mein Beruf lebt vom persönlich­en Kontakt.“Er müsse sich finanziell keine Sorgen machen, doch „es ist einfach schade, dass ich nichts mehr machen darf“.

Immer wieder riefen auch Leute an, die ihn trotz des Verbots für einen Geburtstag buchen wollten. Aber auf so etwas lasse er sich nicht ein. Da er halbtags arbeitet, versucht Larch in der Freizeit, neue Konzepte zu erarbeiten. Doch besonders motiviert sei er dafür nicht. „Das Problem ist, dass wir keine Perspektiv­e haben. Wenn ich wüsste, dass es beispielsw­eise am 1. April weiterging­e, würde ich jetzt ganz anders vorausarbe­iten. Aber so weiß ich einfach nicht, woran ich arbeiten soll.“

Das Problem sieht auch Lisa Seifert. „Als Freischaff­ende sind wir erprobte Lebensküns­tler und halten einiges aus – aber nicht ewig.“Der Job sei zwar stressig, doch die paar Stunden auf der Bühne würden das alles wieder rausreißen. „Wir sind sehr kreativ, haben im Sommer in zwei Wochen Veranstalt­ungen organisier­t, für die normalerwe­ise monatelang geplant wird. Ich halte sehr viel für möglich. Aber das Sitzfleisc­h wird dünner.“

 ?? Fotos: Robert Hagstotz/Band, Bernhard Weizenegge­r ?? Sowohl die Band John Garner (links) als auch Zauberküns­tler Sven Larch leiden unter den coronabedi­ngten Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens – Kulturscha­ffende wie sie haben während der Lockdowns das Nachsehen.
Fotos: Robert Hagstotz/Band, Bernhard Weizenegge­r Sowohl die Band John Garner (links) als auch Zauberküns­tler Sven Larch leiden unter den coronabedi­ngten Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens – Kulturscha­ffende wie sie haben während der Lockdowns das Nachsehen.
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