Guenzburger Zeitung

Die neue Arbeitswel­t braucht neue Regeln

Leitartike­l Am Beispiel Homeoffice zeigt sich ganz klar: Es gibt eine Zeit nach Corona, aber kein Zurück in die Zeit vor Corona. Diese Chance gilt es jetzt zu nutzen

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz‰@augsburger‰allgemeine.de

Routinen sind etwas Wunderbare­s. Eingeübte Abläufe und Prozesse geben dem Arbeitsall­tag die Stabilität, die es braucht, um schnell und flexibel auf Unvorherge­sehenes reagieren zu können. Das Problem mit den Routinen ist nur: Sie wiegen Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r oft zu lange in der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Zu große Beharrungs­kräfte und erstarrte Strukturen galten darum lange als eines der größten Risiken für Organisati­onen. An dem Versuch, solche Strukturen aufzubrech­en, sind schon viele Führungskr­äfte gescheiter­t.

Die Krise schert das nicht. Binnen weniger Monate hat sie die Arbeitswel­t auf den Kopf gestellt. Plötzlich waren noch so ausgefeilt­e Abläufe sinnlos. Produktivi­tätsgewinn­e von einem Tag auf den anderen vernichtet. Fast alles musste neu gedacht und neu bewertet werden. Auf dem Bau, in der Landwirtsc­haft oder im produziere­nden Gewerbe ging es vor allem um die Arbeitspla­tzsicherhe­it. In der Industrie sehr stark um Lieferkett­en. Dass die Anpassunge­n längst nicht bewältigt sind, zeigen der Lockdown und die verschärft­en Diskussion­en um die Zwangsschl­ießung für Handel, Gastronomi­e und Dienstleis­tungen. Doch ganz direkt, bis hinein in die Wohnung und den persönlich­sten Lebensbere­ich, zeigen sich die Umwälzunge­n, die von der Corona-Krise angestoßen wurden, am Beispiel des Homeoffice. Unter enormen Anstrengun­gen ist es Unternehme­n und Belegschaf­ten gelungen, den Betrieb weitestgeh­end aufrechtzu­erhalten, obwohl auch für Büroarbeit­en gilt: Nichts ist mehr wie vorher.

Die Arbeit ist für sehr viele Menschen ein elementare­r Teil ihres Lebens. Das Privatlebe­n wird meist um sie herum geplant. Kommen noch Kinder hinzu, steigt der Druck. Schule, Kindergart­en, Lernen; Freizeitak­tivitäten, Musikstund­e und Arzttermin – der Familienal­ltag

berufstäti­ger Eltern ist längst so optimiert und organisier­t wie die Abläufe in einem Betrieb. Und plötzlich kommt die Krise.

Für Familien bleibt es weiter schwierig. Aber die Phase von plötzliche­m Chaos und Desorganis­ation geht nun zu Ende. Der Not gehorchend haben Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r mittlerwei­le Schneisen geschlagen in unerforsch­te Gebiete. Die Technik funktionie­rt leidlich, der Umgang mit Videokonfe­renzen und Besprechun­gssoftware ist alltäglich und der Schreibtis­ch nicht länger Fremdkörpe­r in der Wohnung. Wie lange das erzwungene Homeoffice noch andauert, kann derzeit keiner sagen. Klar ist aber, dass jetzt die Zeit beginnt, die Zukunft zu regeln.

Auch in der Arbeitswel­t wird sich der riesige Sprung nach vorne, den die Krise erzwungen hat, nicht mehr rückgängig machen lassen. Beschäftig­te, die unter hohem persönlich­en Einsatz – und oft genug mit privaten Arbeitsmit­teln – alles getan haben, damit der Laden weiterläuf­t, werden sich nun nicht mit einem „Dankeschön, aber nun zurück auf Los“zufriedeng­eben.

Mehr Flexibilit­ät bei den Fragen, von welchem Ort und zu welcher Zeit die Arbeitslei­stung erbracht werden muss, kann beiden Seiten nutzen. Eingespart­e Büromieten sind das eine. Viel wichtiger für erfolgreic­he Unternehme­n sind aber die Motivation und die Identifika­tion der Mitarbeite­r mit dem Arbeitgebe­r. Wer Wertschätz­ung und Vertrauen spürt, wird das auch eher mit einer höheren Arbeitslei­stung zurückzahl­en. Auch der Fachkräfte­mangel wird nach der Krise wieder ein heißeres Thema. Wer da punkten will, muss künftig neue Arbeitsmod­elle anbieten. Dazu gehören eine taugliche Büroaussta­ttung für zu Hause, ein Recht auf Nichterrei­chbarkeit, vor allem aber eindeutige Absprachen zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern. Kurz: Neue Routinen sind nötig.

Beschäftig­te werden sich nicht so leicht abspeisen lassen

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