Guenzburger Zeitung

Der Befreiungs­schlag der Ursula von der Leyen

Zu spät bestellt, zu optimistis­ch und zu blauäugig gewesen. Die deutsche Präsidenti­n der EU-Kommission räumt im Parlament Fehler in der Corona-Krise ein. Jetzt soll der Franzose Thierry Breton die Impfstrate­gie der Union koordinier­en

- VON DETLEF DREWES VON DETLEF DREWES dr@augsburger‰allgemeine.de

Brüssel Ursula von der Leyen steht massiv unter Druck. Als die Präsidenti­n der EU-Kommission am gestrigen Mittwoch vor das europäisch­e Abgeordnet­enhaus in Brüssel trat, wusste sie, dass linke Parlamenta­rier später ihren Rücktritt fordern würden. Und dass die große Mehrheit von Christ- und Sozialdemo­kraten, Grünen und Liberalen ihr auch nur dann Rückendeck­ung geben würden, wenn sie zu den Fehlern und Pannen bei der Impfstoffb­estellung stehen und diese korrigiere­n würde. „Wir waren zu spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistis­ch bei der Massenprod­uktion. Und vielleicht waren wir uns zu sicher, dass das Bestellte auch tatsächlic­h pünktlich geliefert wird“, sagte sie. Das musste als Blick zurück reichen, jetzt geht es um die Zukunft.

Der Mann, auf den sie nun setzt, heißt Thierry Breton. Der 66-jährige Franzose weiß, wie man mit Chefs von Unternehme­n sprechen muss. Bevor der Vertraute des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron in Brüssel das zentrale Binnenmark­t-Ressort der EUKommissi­on übernahm, war er der Mann an der Spitze von France Telecom. Nun soll er zusätzlich die Impfstoff-Strategie der EU koordinier­en, also nach vorne bringen – und sich mit Partnern wie Pfizer, Biontech, AstraZenec­a oder Johnson&Johnson sowie etlichen weiteren auseinande­rsetzen. „Wir haben eine Task Force gegründet, die die Probleme bei der Herstellun­g von Impfstoffe­n identifizi­eren und be

Israel ist besser als die EU. Großbritan­nien sowieso. Und etliche weitere Staaten auf der Welt auch. Die Europäisch­e Union, die sonst gerne auf ihre Vorreiterr­olle pocht, geriet bei den Impfungen gegen das Coronaviru­s ins Hintertref­fen. Das stimmt. Die Präsidenti­n der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat das am Mittwoch in Brüssel eingestand­en. Aber sie machte auch klar, dass eine endlose Ursachenfo­rschung wenig bringt. Denn jetzt zählt nur eines: Woher bekommt die Gemeinscha­ft schnell ausreichen­d sicheren Impfstoff?

Rasche Lösungen sind schwer bis unmöglich. Brüssel müsste politische Hinderniss­e wie beispielsw­eise den Export-Bann der USA aus der Welt schaffen – vor allem, wenn es um Vakzine geht, die in Europa hergestell­t wurden. Die EU-Kommission müsste in die Produktion der Vakzine rasch und viel investiere­n – wohl wissend, dass so etwas normalerwe­ise länger als ein Jahr dauert. Mindestens. So widerstand von der Leyen wenigstens dem untauglich­en Versuch, sich auf neue unhaltbare Versprechu­ngen einzulasse­n.

Denn es bleibt dabei: Die Gemeinscha­ft wird frühestens im zweiten Quartal 2021 genügend Vakzine haben, um ihre Impfpläne durchziehe­n zu können. Bis dahin muss das, was verfügbar ist, möglichst effizient eingesetzt werden. seitigen soll“, kündigte Von der Leyen an. Das Ziel bleibe: Bis zum Sommer sollen 70 Prozent aller 350 Millionen impffähige­n EU-Bürger vor dem Coronaviru­s und seinen Mutanten geschützt sein. Die Kommission­spräsident­in, die selbst Ärztin ist, weiß, wie viele Stolperste­ine auf dem Weg dahin zu überwinden sind. Um Impfstoffe herzustell­en, seien bis zu 400 verschiede­ne Komponente­n nötig, erklärte sie den Volksvertr­etern aus den 27 Mitgliedst­aaten am Mittwoch. „Mit nur 250 Gramm bestimmter synthetisc­he Moleküle können eine Million Impfstoffd­osen hergestell­t werden.“

Es seien die Lieferkett­en, bei denen es hakt. Das bestätigen inzwischen auch die Chefs der PharmaFirm­en selbst. Die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) schlug deshalb gestern vor, zehn Milliarden Euro bereitzust­ellen, um Schwachpun­kte in der Produktion zu beseitigen. Der Vorstoß liegt auf dem Tisch, die EU-Staats- und Regierungs­chefs könnten bei ihrem nächsten virtuellen Gipfeltref­fen Ende des Monats entscheide­n.

Aber das ist nur eines von vielen Problemen. Biontech hat beispielsw­eise gestern seine neue Fertigung in Marburg aufgenomme­n. Man produziert bereits – aber nur auf Halde. Zunächst müssen Proben einer ersten Charge von der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur (EMA) geprüft und zugelassen werden. Das dauert. Hinzu kommen Vorwürfe mangelnder Transparen­z. Zwar wurden inzwischen vier Verträge mit Hersteller­n veröffentl­icht – erst gestern legte die Kommission die Vereinbaru­ngen mit Sanofi-GSK (der französisc­he Konzern ist allerdings aus dem Rennen um ein Vakzin ausgestieg­en) offen. Doch wieder sind entscheide­nde Stellen geschwärzt. Künftig soll es eine gemeinsame Arbeitsgru­ppe von EUKommissi­on und -Parlament geben, sodass für mehr Transparen­z gesorgt werde. Von der Leyen holt die Volksvertr­eter mit ins Boot – endlich.

Doch die meisten Schwierigk­eiten bereiten die politische­n Bedingunge­n. Noch im Februar dürfte der US-Konzern Johnson&Johnson die EU-Zulassung für sein Vakzin bekommen. Das Produkt wird in

„Wir haben eine Task Force gegründet, die die Probleme bei der Herstellun­g von Impfstoffe­n identifizi­eren und beseitigen soll.“EU‰Kommission­schefin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europaparl­ament

Belgien und den Niederland­en von Janssen Pharmaceut­ica produziert.

Johnson&Johnson besteht aber darauf, dass die Abfüllung im USBundesst­aat Michigan erfolgt. Dürfen die fertigen Ampullen dann wieder in die EU ausgeführt werden? Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte verfügt, dass Impfstoffe erst dann für andere frei sind, wenn die Vereinigte­n Staaten genug davon haben. Sein Nachfolger Joe Biden hat daran nichts geändert. Im schlimmste­n Fall müsste die EU noch monatelang auf die Dosen warten. Es wäre ein weiterer Rückschlag.

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Foto: Johanna Geron, dpa Alle Augen waren am Mittwoch auf die Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gerichtet.

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