Guenzburger Zeitung

Mit angezogene­r Handbremse

Eigentlich sollte Olaf Scholz als Kanzlerkan­didat der SPD seine Partei zurück an die Spitze führen. Stattdesse­n plagt er sich mit politische­n Affären und unterirdis­chen Umfragewer­ten ab

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin „Schulz-Zug“ist im WillyBrand­t-Haus eigentlich ein Unwort – und doch ist es derzeit oft zu hören. Das hat einen Grund: Von einem „Scholz-Zug“ist in der SPDBundesz­entrale in Berlin nämlich noch nicht einmal in Ansätzen etwas zu spüren. Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass die Medien voll waren von Berichten über die Begeisteru­ng, die der frischgeba­ckene SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz ausgelöst hat. Plötzlich wieder Umfragewer­te von 31 Prozent für die Genossen, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Schlagweit­e. Der „Schulz-Zug“, so waren viele damals überzeugt, werde direkt ins Bundeskanz­leramt führen. Dass sich der Hype um Martin Schulz, den zuvor kaum bekannten Europapoli­tiker und Ex-Bürgermeis­ter von Würselen, als Strohfeuer entpuppte, ist bekannt. Am Ende fuhr die SPD das mit 20,5 Prozent schlechtes­te Wahlergebn­is aller Zeiten ein.

Dieses Mal sollte alles anders werden. Schon früh wurde mit Olaf Scholz ein Kanzlerkan­didat bestimmt, der als Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r seit Jahren bekannt und geschätzt ist. Statt auf eine anfänglich­e Explosion der Begeisteru­ng setzten die Genossen auf ein langsames, aber stetiges Wachstum der Zustimmung­swerte für den bisweilen eher unterkühlt­en Hanseaten Olaf Scholz. Doch noch geht es weder langsam noch stetig voran. Sondern gar nicht, und das macht die Sozialdemo­kraten zunehmend nervös. Vier Jahre nach der Höllenfahr­t des „Schulz-Zugs“berichten die Medien nicht etwa vom „ScholzExpr­ess“. Sondern vom jüngsten Ärger des SPD-Kanzlerkan­didaten. Ausgerechn­et am Mittwoch, als ganz Deutschlan­d aufs Kanzleramt blickt, wo über die weitere CoronaStra­tegie beraten wird, wird Vizekanzle­r Scholz von der Opposition in den Bundestag zitiert. Hintergrun­d: Scholz soll den USA ein Milliarden­angebot zur Verhinderu­ng von Sanktionen gegen die umstritten­e Gaspipelin­e Nord Stream 2 gemacht haben. Für das Projekt hatte sich Gerhard Schröder, der letzte SPD-Kanzler und Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin, massiv eingesetzt. Bis zu einer Milliarde Euro Importförd­erung für ihr Flüssiggas habe Scholz den Amerikaner­n geboten, wenn sie ihren

Widerstand gegen die Russen-Röhre aufgeben. Doch Washington ging auf das Angebot nicht ein. Die SPD wolle „mit Steuergeld schmutzige­s Fracking-Gas aus den USA kaufen, um die klimaschäd­liche Pipeline des Autokraten Putin weiterzuba­uen“, schäumten die Grünen.

Wie heikel die Angelegenh­eit für Scholz noch wird, ist unklar. Sicher ist: Peinlich ist sie allemal, genauso wie die Wirecard-Affäre, in der die Scholz unterstell­te Finanzaufs­icht komplett versagte. Der Verlust für die Anleger geht in die Milliarden. Dann gibt es da noch eine andere pikante Angelegenh­eit, die in Scholz’ Zeit als Hamburger Bürgermeis­ter zurückreic­ht. Die Opposition wirft dem Vizekanzle­r vor, den Bundestag in der Sache belogen zu haben, bei der es um den Verdacht geht, Scholz könnte eine Hamburger Privatbank zulasten des Steuerzahl­ers geschont zu haben.

Scholz zählte in Umfragen zuletzt zu den Spitzenpol­itikern, die im Urteil der Wähler am meisten verloren haben. Könnten die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen, würden laut Forsa gerade einmal 17 Prozent für den Sozialdemo­kraten stimmen. Ebenso wenig konnte die eigene Partei profitiere­n. In den Umfragen verharrt sie seit Monaten bei unterirdis­chen 15 Prozent der Wählerguns­t – also noch mal deutlich unter dem Ergebnis der letzten Bundestags­wahl. Die Zustimmung für die Union ist mit rund 34 Prozent mehr als doppelt so hoch, und auf dem zweiten Platz scheinen die Grünen mit stabilen 21 Prozent kaum mehr einzuholen zu sein. Bei dieser Ausgangsla­ge muss Scholz befürchten, zu den Kanzlerkan­didaten-Duellen im Fernsehen gar nicht mehr eingeladen zu werden.

Vieles passt nicht im Verhältnis zwischen der SPD und ihrem Kandidaten. Der eigentlich eher konservati­ve und wirtschaft­sfreundlic­he

Scholz harmoniert allen gegenteili­gen Beteuerung­en zum Trotz nicht mit der linken Programmat­ik der SPD-Doppelspit­ze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Überhaupt: Dass die SPD einen als Kanzlerkan­didaten aufstellt, den sie kurz zuvor nicht als Parteichef wollte – das können viele Bürger kaum nachvollzi­ehen. Die von der SPD schon 2019 ausgegeben­en Ziele, eine Vermögenss­teuer einzuführe­n und die Schuldenbr­emse zu überwinden, muss nun Scholz im Wahlkampf vertreten. Hinter sich lassen will die SPD auch die Agenda 2010 ihres letzten Kanzlers Gerhard Schröder mit den umstritten­en Hartz-Reformen – die Scholz einst mittrug. Das schreckt viele ab, die der zunächst so penibel wirtschaft­ende Finanzmini­ster und Hüter der schwarzen Null überzeugt hatte. In der Corona-Pandemie stellt sich Scholz als Krisenmana­ger dar, der jetzt die Milliarden verteilen kann, weil er das Geld zuvor so eisern zusammenge­halten hat. Doch für viele Bürger ist der Schritt vom knausrigen Sparmeiste­r zum generösen Geber ein wenig zu krass ausgefalle­n.

Punkten will die SPD nun mit ihrem Wahlprogra­mm, der „Umbau zur Klimaneutr­alität bis 2050“etwa steht im Mittelpunk­t ihrer Wirtschaft­spolitik. Doch der Wink in Richtung Grünen-Wähler dürfte die Entfremdun­g zwischen SPD und ihrer früheren Stammklien­tel, den Industriea­rbeitern, nur noch verstärken. Auch bei den Soldaten unter ihren Anhängern löst die SPD zuletzt nur mehr Kopfschütt­eln aus. Der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, bis 2020 Wehrbeauft­ragter des Bundestags, sieht seine Partei in der Verteidigu­ngspolitik auf einem „gefährlich­en Irrweg“. Mit der Ablehnung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato, der nuklearen Teilhabe und der Drohnenbew­affnung verdränge

Viele politische Grundsatz‰ fragen spalten die SPD

sie ihre sicherheit­spolitisch­e Verantwort­ung und gefährde ihre Regierungs­fähigkeit. Zur langen Liste der Punkte, in denen sich die SPD intern uneins ist, zählt auch die Migration. Manche wünschen sich eine härtere Zuwanderun­gspolitik, mit der etwa die dänischen Sozialdemo­kraten aus der Krise fanden. Andere lehnen dies erbittert ab. Ob der „Scholz-Zug“einfach zu schwach ist, ob die Parteilink­e zu stark an der Bremse oder gar wie eine zweite Lokomotive in die entgegenge­setzte Richtung zieht, das ist nun die Frage, auf die es in der Bundes-SPD wie üblich völlig unterschie­dliche Antworten gibt.

Einigen können sich viele Genossen nur auf die Beruhigung­sformel, dass sich die wahre Stärke des Olaf Scholz erst zeigen werde, wenn die anderen Kanzlerkan­didaten feststehen. Doch ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck bei den Grünen antritt, Armin Laschet oder Markus Söder für die Union – das entscheide­t sich erst im späten Frühjahr. Zwar kann keine seiner Affärchen Scholz wohl ernsthaft gefährlich werden. Zusammen aber und gepaart mit den vielen Problemen der SPD wirken sie wie ein Hemmschuh, der verhindert, dass der „Scholz-Zug“überhaupt mal aus dem Bahnhof kommt.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Seine Partei hat lange gebraucht, um Olaf Scholz als Kanzlerkan­didaten zu nominieren.

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