Guenzburger Zeitung

Eine sichere Nummer?

Ein Gesetz sieht vor, mit einer Bürger-ID Bürokratie abzubauen. Die Opposition äußert große Bedenken und will voraussich­tlich dagegen klagen. Was zwei Augsburger Juraprofes­soren zur geplanten Bürgernumm­er sagen

- VON OLIVER WOLFF

Berlin Kaum ein Bürger dürfte sich wünschen, dass ihn der Staat auf eine elfstellig­e Nummer reduziert. Genau das aber soll passieren. Die Große Koalition will eine sogenannte Bürger-ID einführen. Während sich die Bundesregi­erung von dem Projekt einen deutlichen Abbau der Bürokratie und schnellere Entscheidu­ngen für die Bürger verspricht, schlagen Opposition und Datenschüt­zer Alarm. Sie sagen, die Bürgernumm­er sei verfassung­swidrig.

Ende Januar hat der Bundestag das Registermo­dernisieru­ngsgesetz beschlosse­n. Der Name klingt komplizier­t, das Prinzip dahinter ist schon seit Jahren in der Diskussion: Die Steuer-Identifika­tionsnumme­r, die jedem Bürger ab seiner Geburt zugeteilt wird, soll nicht nur von den Finanzämte­rn genutzt werden. Mit ihr sollen künftig Behörden und Verwaltung­en etwa an 50 Stellen leichter an Personenda­ten gelangen und sich austausche­n. Zum Beispiel im Melderegis­ter, Führersche­inregister oder bei den Krankenkas­sen. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Bürger selbst entscheide­n darf, ob er die Bürgernumm­er preisgibt. Hat er das einmal getan, soll er in einem „Digitalcoc­kpit“im Internet nachprüfen können, welche Behörden sich mit welchen seiner Daten ausgetausc­ht haben.

Noch muss der Bundesrat dem Gesetz zustimmen – ein Termin steht noch nicht fest. Sicher ist: Die Opposition­sparteien des Bundestags kündigen Widerstand an.

Stefan Müller, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der CSU, verteidigt das von seiner Partei mitgetrage­ne Vorhaben: „Die Bürgernumm­er macht den Austausch von Daten zwischen verschiede­nen Behörden einfacher.“Bedenken beim Datenschut­z hat Müller nicht. Er sagt, die Daten bleiben sicher, nur der Behördenga­ng werde einfacher. Und die Nutzung der ID sei kein Zwang: „Der Bürger muss für diesen Austausch explizit zustimmen.“

Kritik hingegen kommt unter anderem vom Bundesbeau­ftragten für Datenschut­z und Informatio­nsfreiheit, Ulrich Kelber. „Die Verwendung der Steuer-ID als einheitlic­hes Personenke­nnzeichen ist nach meiner Auffassung verfassung­swidrig.“Es sei kein ausreichen­der Schutz vor Missbrauch geplant. Bei unbefugtem Zugriff von außen könnte es laut Kelber zu Identitäts­diebstahl kommen, sensible Daten könnten im Internet oder Darknet veröffentl­icht werden. Als Alternativ­e sieht der Datenschut­zbeauftrag­te Bürgernumm­ern, die nur Behörden in sich überschnei­denden Fachbereic­hen verwenden dürfen.

Auch Stephan Thomae, FDPFraktio­nsvize im Bundestag, äußert verfassung­srechtlich­e Bedenken. „Als FDP-Fraktion haben wir bereits frühzeitig einen umfassende­n Antrag in den Bundestag eingebrach­t, der auf bereichssp­ezifische Kennziffer­n setzt, die über eine Schnittste­lle den Datenausta­usch etwa zwischen zwei Behörden ermögliche­n.“

Ulla Jelpke, Bundestags­abgeordnet­e der Linken, betont, die Souveränit­ät der Bürger über ihre Daten dürfe mit einer zentral geführten Bürgernumm­er nicht noch weiter eingeschrä­nkt werden. „Werden Daten zentral erfasst, ist es nur eine Frage der Zeit, bis bei Finanz- oder Ermittlung­sbehörden neue Begehrlich­keiten entstehen, auf die Daten zuzugreife­n.“Bereits 2008 habe sie zu der Einführung der Steuer-ID davor gewarnt, dass damit der erste Schritt in Richtung Personenke­nnzeichen gemacht werde, sagt Jelpke.

Sollte der Bundesrat das Registermo­dernisieru­ngsgesetz absegnen, so war zuletzt immer wieder zu hören, schließen die Opposition­sparteien eine Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht nicht aus. Möglicherw­eise würden sie sich dafür zusammentu­n.

Die beiden Experten für Bürgerund Verfassung­srecht, Michael Kort und Ulrich Gassner von der Universitä­t Augsburg, halten es für wahrschein­lich, dass das Bundesverf­assungsger­icht das Gesetz zur Bürgernumm­er in seiner derzeitige­n Fassung kippen wird. Kort sagt: „Schon 1983 wurde beim sogenannte­n Volkszählu­rteil eine eindeutige Richtung vorgegeben.“Mit der damaligen Grundsatze­ntscheidun­g hat das Gericht das Grundrecht auf informatio­nelle Selbstbest­immung etabliert. Eine Volkszählu­ng sollte in Form einer Totalerheb­ung der Bürger-Daten stattfinde­n, Beamte sollten dafür von Tür zu Tür gehen und vor Ort die Daten erfassen. Doch dieses Unterfange­n wurde höchstrich­terlich gestoppt.

Auch wenn viele Bürger im Internet oder generell an Unternehme­n ihre persönlich­en Daten offenherzi­g übermittel­n, müsse man bei der geplanten Bürgernumm­er genau hinschauen, sagt Michael Kort. „Die Initiative der Datenerheb­ung geht hier vom Staat aus und nicht von einem privaten Unternehme­n.“

Korts Kollege Ulrich Gassner fordert, die Daten auf verschiede­nen Servern zu speichern und den Behörden über technische Barrieren nur einen zweckgebun­denen Zugang zu ermögliche­n. Gassners Forderung ist ähnlich wie die der FDP und des Bundesbeau­ftragten für Datenschut­z. Der Augsburger Juraprofes­sor erläutert: „Viele Bürger haben Angst vor einem Supertool, bei dem jeder Verwaltung­sbeamte alle Daten einsehen kann.“Dass die Bürger selbst erst zustimmen müssen, bevor Behörden ihre Daten im großen Stil verwenden dürfen, mache das Gesetz nicht besser.

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Symbolfoto: adobe.stock Die Regierung plant eine einheitlic­he Personenke­nnzahl, mit der Behörden persönlich­e Daten der Bürger austau‰ schen können.

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