Eine sichere Nummer?
Ein Gesetz sieht vor, mit einer Bürger-ID Bürokratie abzubauen. Die Opposition äußert große Bedenken und will voraussichtlich dagegen klagen. Was zwei Augsburger Juraprofessoren zur geplanten Bürgernummer sagen
Berlin Kaum ein Bürger dürfte sich wünschen, dass ihn der Staat auf eine elfstellige Nummer reduziert. Genau das aber soll passieren. Die Große Koalition will eine sogenannte Bürger-ID einführen. Während sich die Bundesregierung von dem Projekt einen deutlichen Abbau der Bürokratie und schnellere Entscheidungen für die Bürger verspricht, schlagen Opposition und Datenschützer Alarm. Sie sagen, die Bürgernummer sei verfassungswidrig.
Ende Januar hat der Bundestag das Registermodernisierungsgesetz beschlossen. Der Name klingt kompliziert, das Prinzip dahinter ist schon seit Jahren in der Diskussion: Die Steuer-Identifikationsnummer, die jedem Bürger ab seiner Geburt zugeteilt wird, soll nicht nur von den Finanzämtern genutzt werden. Mit ihr sollen künftig Behörden und Verwaltungen etwa an 50 Stellen leichter an Personendaten gelangen und sich austauschen. Zum Beispiel im Melderegister, Führerscheinregister oder bei den Krankenkassen. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Bürger selbst entscheiden darf, ob er die Bürgernummer preisgibt. Hat er das einmal getan, soll er in einem „Digitalcockpit“im Internet nachprüfen können, welche Behörden sich mit welchen seiner Daten ausgetauscht haben.
Noch muss der Bundesrat dem Gesetz zustimmen – ein Termin steht noch nicht fest. Sicher ist: Die Oppositionsparteien des Bundestags kündigen Widerstand an.
Stefan Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU, verteidigt das von seiner Partei mitgetragene Vorhaben: „Die Bürgernummer macht den Austausch von Daten zwischen verschiedenen Behörden einfacher.“Bedenken beim Datenschutz hat Müller nicht. Er sagt, die Daten bleiben sicher, nur der Behördengang werde einfacher. Und die Nutzung der ID sei kein Zwang: „Der Bürger muss für diesen Austausch explizit zustimmen.“
Kritik hingegen kommt unter anderem vom Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Ulrich Kelber. „Die Verwendung der Steuer-ID als einheitliches Personenkennzeichen ist nach meiner Auffassung verfassungswidrig.“Es sei kein ausreichender Schutz vor Missbrauch geplant. Bei unbefugtem Zugriff von außen könnte es laut Kelber zu Identitätsdiebstahl kommen, sensible Daten könnten im Internet oder Darknet veröffentlicht werden. Als Alternative sieht der Datenschutzbeauftragte Bürgernummern, die nur Behörden in sich überschneidenden Fachbereichen verwenden dürfen.
Auch Stephan Thomae, FDPFraktionsvize im Bundestag, äußert verfassungsrechtliche Bedenken. „Als FDP-Fraktion haben wir bereits frühzeitig einen umfassenden Antrag in den Bundestag eingebracht, der auf bereichsspezifische Kennziffern setzt, die über eine Schnittstelle den Datenaustausch etwa zwischen zwei Behörden ermöglichen.“
Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken, betont, die Souveränität der Bürger über ihre Daten dürfe mit einer zentral geführten Bürgernummer nicht noch weiter eingeschränkt werden. „Werden Daten zentral erfasst, ist es nur eine Frage der Zeit, bis bei Finanz- oder Ermittlungsbehörden neue Begehrlichkeiten entstehen, auf die Daten zuzugreifen.“Bereits 2008 habe sie zu der Einführung der Steuer-ID davor gewarnt, dass damit der erste Schritt in Richtung Personenkennzeichen gemacht werde, sagt Jelpke.
Sollte der Bundesrat das Registermodernisierungsgesetz absegnen, so war zuletzt immer wieder zu hören, schließen die Oppositionsparteien eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nicht aus. Möglicherweise würden sie sich dafür zusammentun.
Die beiden Experten für Bürgerund Verfassungsrecht, Michael Kort und Ulrich Gassner von der Universität Augsburg, halten es für wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Bürgernummer in seiner derzeitigen Fassung kippen wird. Kort sagt: „Schon 1983 wurde beim sogenannten Volkszählurteil eine eindeutige Richtung vorgegeben.“Mit der damaligen Grundsatzentscheidung hat das Gericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung etabliert. Eine Volkszählung sollte in Form einer Totalerhebung der Bürger-Daten stattfinden, Beamte sollten dafür von Tür zu Tür gehen und vor Ort die Daten erfassen. Doch dieses Unterfangen wurde höchstrichterlich gestoppt.
Auch wenn viele Bürger im Internet oder generell an Unternehmen ihre persönlichen Daten offenherzig übermitteln, müsse man bei der geplanten Bürgernummer genau hinschauen, sagt Michael Kort. „Die Initiative der Datenerhebung geht hier vom Staat aus und nicht von einem privaten Unternehmen.“
Korts Kollege Ulrich Gassner fordert, die Daten auf verschiedenen Servern zu speichern und den Behörden über technische Barrieren nur einen zweckgebundenen Zugang zu ermöglichen. Gassners Forderung ist ähnlich wie die der FDP und des Bundesbeauftragten für Datenschutz. Der Augsburger Juraprofessor erläutert: „Viele Bürger haben Angst vor einem Supertool, bei dem jeder Verwaltungsbeamte alle Daten einsehen kann.“Dass die Bürger selbst erst zustimmen müssen, bevor Behörden ihre Daten im großen Stil verwenden dürfen, mache das Gesetz nicht besser.