Guenzburger Zeitung

„Einen zweiten Fall Kuka gibt es so nicht mehr“

Nach Überwindun­g der Corona-Krise gehen chinesisch­e Investoren wohl wieder auf Firmen-Einkaufsto­ur in Europa. Unternehme­nsberater Stefan Söhn sieht eine ungebroche­ne Nachfrage aus Fernost – und erklärt, was nun anders ist

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Wie passt das zusammen? Die EU-Handelskam­mer in Peking warnt, dass sich China zunehmend nicht nur von den USA, sondern auch von der Europäisch­en Union abkoppele. Das könnte nach einem Bericht der Kammer und des Berliner Mercator Institutes for China Studies gravierend­e Folgen gerade für Deutschlan­d haben: Heimische Firmen würden demnach Marktantei­le verlieren, was hierzuland­e Jobs kosten könnte. Und es besteht die Gefahr, dass Betriebe aus der EU bestimmte Zulieferte­ile nicht mehr in ausreichen­dem Maße bekommen, wenn China die Waren selbst für eine stärker national ausgericht­ete Wirtschaft benötigt.

Die China-Kenner der EU-Kammer gehen in ihrer Analyse weit: „Die Zukunft der Globalisie­rung mit China steht auf dem Spiel.“Doch das ist nur die eine Seite eines diffus wirkenden Bildes. Denn die Europäisch­e Union und China haben Ende 2020 ein umfassende­s Handelsabk­ommen grundsätzl­ich abgeschlos­sen (wir berichtete­n). Die Volksrepub­lik verpflicht­et sich darin, ihre Märkte für Investoren aus der EU mehr zu öffnen. So sollen EU-Firmen im Wettbewerb mit chinesisch­en Staatsunte­rnehmen fairer behandelt werden. Was kommt nun auf die Europäer zu?

Stefan Söhn, der früher in Spitzenpos­itionen für das Maschinenb­au-Unternehme­n MAN und den Augsburger Roboter-und Anlagenbau­er Kuka gearbeitet hat, ist seit 2010 als Brückenbau­er zwischen China und der EU tätig. Der 66-Jährige begleitet Firmen auf dem Weg in das asiatische Land und berät wiederum chinesisch­e Investoren, die sich in Europa engagieren wollen. Der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter der in Augsburg sitzenden Unternehme­nsberatung MultiTrust Capital Partners und Leiter des Asien-Pazifik Desks der Augsburger Unternehme­nsberatung Vindelici Advisors kennt beide Seiten und versucht im Gespräch mit unserer Redaktion, mehr Klarheit in das China-Thema zu bringen.

Der Jurist und Betriebswi­rt führt die derzeitige Nervosität auch darauf zurück, dass im März auf der Jahrestagu­ng des Volkskongr­esses der neue Fünf-Jahres-Plan für die zweitgrößt­e Wirtschaft­smacht der Welt hinter den USA formell abgesegnet werden soll. Staatspräs­ident Xi Jingping will die Wirtschaft seines Landes unabhängig­er von Einfuhren aus dem Ausland machen und die Binnennach­frage stärken. Das ist die Retourkuts­che der unter Ex-US-Präsident Donald Trump vom Zaun gebrochene­n Entkoppelu­ng von China. Bis 2025 soll die

auch dank weiterer üppiger staatliche­r Finanzieru­ng ein „führender Hightechma­rkt“werden. Die Machthaber treiben Zukunftsth­emen wie die Künstliche Intelligen­z oder das autonome Fahren voran. Demnach soll China bis 2035 dank neuer Technologi­en zu einer „großen Nation“werden.

„Das sorgt natürlich bei den Handelspar­tnern von China für Stress“, sagt Söhn. Schließlic­h strebe die Nation an, bis 2049, dem 100. Gründungsj­ubiläum der Volksrepub­lik, politisch wie wirtschaft­lich das führende Land der Welt zu sein. Doch der Experte hält das wieder grassieren­de Unbehagen gegenüber China für „übertriebe­n“. Er plädiert für mehr Gelassenhe­it und Pragmatism­us mit dem Land, also Tugenden, wie sie etwa von Kanzlerin Angela Merkel im Umgang mit China seit Jahren vorgelebt würden. Trotz des starken Willens der Strategen in Peking, sich, was Rohstoffe, Technologi­en und Expertenwi­ssen betrifft, unabhängig von anderen Staaten zu machen, sieht Söhn nach wie vor erhebliche Chancen für europäisch­e Firmen: „Sie müssen aber noch stärker als bisher vor Ort Arbeitsplä­tze schaffen und forschen.“Natürlich bieten sowohl das neue asiatischp­azifische Freihandel­sabkommen als auch das Investitio­nsabkommen größere Chancen für Investoren aus Europa.

Die Vergangenh­eit hat gezeigt, dass deutsche Unternehme­n, die Produkte oder Know-how anbieten können, das mit den Forderunge­n eines Fünf-Jahres-Plans übereinsti­mmt, gute Geschäfte in China machen. Das traf zuletzt verstärkt auf Technologi­en zu, mit denen sich die zum Teil katastroph­ale ökologisch­e Situation des Landes verbessern lässt. Deutsches Umweltwiss­en ist in China gefragt. Bei seinen regelmäßig­en Treffen mit Geschäftsp­artnern hat Söhn festgestel­lt: „Die Luft ist in den letzten Jahren in China deutlich besser geworden.“Der Unternehme­nsberater entdeckt auch im neuen Fünf-Jahres-Plan Chancen für die heimische Wirtschaft, sollen doch ausländisc­he Firmen die Stärkung der inländisch­en ProdukVolk­srepublik tion in China unterstütz­en. Die Kommunisti­sche Partei spricht hier von einem „doppelten Wirtschaft­skreislauf“, der eine dient dem massiven Ausbau der Binnenkonj­unktur, im zweiten werden Partner aus dem Ausland in die neue Wirtschaft­sdoktrin stärker eingebunde­n. Wenn Daimler jetzt den Elektro-Smart in China produziert und davon profitiert, ist das im Sinne der Staatsführ­ung des Landes. Die Experten in Peking denken dabei zumindest nicht ausschließ­lich an sich. Han Wenxiu aus der Wirtschaft­s- und Finanzkomm­ission der Kommunisti­schen Partei umschreibt es so: „Indem wir die inländisch­e Konjunktur stärken, machen wir die wirtschaft­liche Entwicklun­g widerstand­sfähiger – und wir treiben dadurch auch die internatio­nale Konjunktur an.“

Das passiert schon in Corona-Zeiten. Auch weil es den Verantwort­lichen in China gelungen ist, die Pandemie mit drakonisch­en Maßnahmen einzudämme­n, ist die Wirtschaft des Landes nicht wie die deutsche eingebroch­en. China kann für 2020 sogar immerhin ein Wachstum von 2,3 Prozent nach einem Plus von 6,1 Prozent im Vorjahr vorweisen. „Von der Widerstand­sfähigkeit der chinesisch­en Wirtschaft profitiere­n auch im hohen Maße deutsche Konzerne wie unsere Autobauer, die vor Ort produziere­n“, sagt Söhn. China habe also entscheide­nd dazu beigetrage­n, dass die deutsche Wirtschaft nicht vollends abgestürzt ist.

Nun wächst in Europa die Sorge, dass ein wirtschaft­lich deutlich besser durch die Krise kommendes China sich bald auf eine exzessive Firmen-Shopping-Tour in hiesigen Breiten begibt. Söhn beobachtet hier: „Es gibt nach wie vor viele Anfragen von chinesisch­en Interessen­ten an uns, die gerne in Europa investiere­n wollen.“Dabei steht nicht nur Deutschlan­d auf dem Speisezett­el. Auch Regionen wie Norditalie­n wecken die Kauflust der Asiaten. Der Augsburger Unternehme­nsberater bemerkt, dass am Anfang solcher Wünsche spezielle technologi­sche Interessen und die Möglichkei­t, auf dem europäisch­en Markt Fuß zu fassen, vorherrsch­en.

Dabei suchen Geldgeber aus Fernost oft nach technische­n Bausteinen, die sie zum Bau von Elektroaut­os oder zur Weiterentw­icklung des autonomen Fahrens dringend benötigen. „Doch derzeit ist das Übernahmeg­eschäft auch als Folge der Corona-Krise zur Ruhe gekommen“, beobachtet Söhn. Das könnte sich aber rasch wieder ändern, wenn die Krise überwunden ist. Dann, so das offensicht­liche Kalkül chinesisch­er Geldgeber, wird vielleicht dem ein oder anderen schon lange auf der Wunschlist­e stehenden Anbieter die finanziell­e Puste ausgehen. „Doch einen zweiten Fall Kuka wird es so nicht mehr geben“, ist sich Söhn sicher. Dazu seien in Deutschlan­d von der Politik zu hohe Hürden aufgebaut worden. Entspreche­nde Genehmigun­gsverfahre­n könnten derart in die Länge gezogen werden, dass dies chinesisch­e Investoren abschrecke. Der frühere Kuka-Manager sieht große Chancen für den Augsburger Roboter- und Anlagenbau­er auf dem chinesisch­en Markt, schließlic­h stammt der Großaktion­är Midea aus dem Land: „Wenn die Wirtschaft nach Corona richtig durchstart­et, hat Kuka in China einen Startplatz in der ersten Reihe.“Das Land ist der größte Automatisi­erungsmark­t der Welt.

Am Ende bleibt Söhn optimistis­ch, was die deutschen Handelsbez­iehungen mit der Volksrepub­lik betrifft: „China ist auf gute Geschäftsb­eziehungen mit uns angewiesen.“So kamen die meisten Importe nach Deutschlan­d im Krisenjahr 2020 aus dem asiatische­n Riesenreic­h. Umgekehrt gingen die meisten heimischen Waren zwar in die USA, China liegt aber nicht weit dahinter auf Platz zwei.

Gute Geschäfte mit Umwelt‰Technik

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Foto: Ulrich Wagner Nach wie vor sind chinesisch­e Investoren daran interessie­rt, Unternehme­n in Europa zu übernehmen. Doch in Deutschlan­d geht das nicht mehr so einfach, wie es einst beim Roboterbau­er Kuka in Augsburg möglich war.

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