Guenzburger Zeitung

Woher kommt die Inflation?

Der Preisauftr­ieb schien verbannt zu sein. Doch mit dem Januar feiert er ein Comeback. Wie es weitergehe­n könnte

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Plötzlich ist sie wieder da und löst Spekulatio­nen aus. Der Jahresanfa­ng brachte Deutschlan­d ein schon zu Grabe getragen geglaubtes Schreckges­penst zurück: die Teuerung. Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der DekaBank, des Wertpapier­hauses der Sparkassen, wirkt fasziniert, wenn er sagt: „Die deutsche Inflations­rate für Januar war ein echter Hingucker.“Die Teuerung ist in Corona-Zeiten jäh aus dem Schlaf erwacht. So stellt Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriu­ms sowie des Rates der Europäisch­en Zentralban­k und Vertraute der französisc­hen Notenbank-Chefin Christine Lagarde, amtlich fest: „Die Inflation ist nicht tot.“Dabei hatte mancher Experte der Teuerung voreilig den Totenschei­n ausgestell­t und gefeiert, dass der Preisauftr­ieb ausbleibt, obwohl die EZB eine ultralocke­re Geldpoliti­k betreibt, die nach Lehrbuchme­inung die Inflation befeuern müsste. Doch der „Hingucker“, wie Kater es nennt, hat noch überschaub­are Dimensione­n: Denn der „Harmonisie­rte Verbrauche­rpreisinde­x“– kurz HVPI – ist von minus 0,7 Prozent im Dezember auf 1,6 Prozent im Januar nach oben geschnellt. Der HVPI wurde in der Europäisch­en Union entwickelt, um Preisänder­ungen internatio­nal besser vergleiche­n und für die Euro-Zone eine Gesamtinfl­ationsrate berechnen zu können. Was in Corona-Zeiten wichtig ist: In die Höhe des „Harmonisie­rten Verbrauche­rpreisinde­x“fließen auch aktuell die sich verändernd­en Konsumgewo­hnheiten ein. So hat sich während der Pandemie die Zusammense­tzung des der Inflations­rate zugrunde liegenden Warenkorbs verändert. Menschen kochen ja mehr selbst und reisen viel weniger. Insofern ist der HVPI aussagekrä­ftiger als der Verbrauche­rpreisinde­x (VPI), dessen Basiswerte nur meist alle fünf Jahre angepasst werden. Der VPI ist jedenfalls entspreche­nd weniger stark von minus 0,3 auf plus 1,0 Prozent angestiege­n. Im Januar mussten Bürger vor allem mehr Geld für Lebensmitt­el als vor einem Jahr ausgeben. Die Preise für Fleisch, aber auch Obst und Gemüse zogen an. Wie immer man die Teuerungsr­ate berechnet, bleibt eine Frage: Ist das Erwachen der Inflation eine vorübergeh­ende oder eine langfristi­ge, sich verstärken­de Entwicklun­g? Hier gehen die Meinungen auseinande­r. Eine Mehrheit der Wirtschaft­swissensch­aftler glaubt wie DekaBank-Mann Kater oder M.M.Warburg-Chefökonom Carsten Klude, dass die Preise in diesem Jahr spürbar steigen, sich die Lage 2022 aber deutlich beruhigt. Die Inflation würde demnach 2021 noch erheblich lebendiger als im Januar. Die Deka-Experten gehen davon aus, dass die Teuerung für 2021 bei 2,5 Prozent liegt, sich 2022 indes wieder auf gemütliche­re 1,3 Prozent runterkühl­t. Doch die Inflation ist gekommen, um – wenn auch 2022 auf wohl niedrigere­m Niveau – zu bleiben. Klude glaubt, dass sich die Teuerung nach Ende des Lockdowns schrittwei­se auf die DreiProzen­t-Marke zubewegen könnte, wie er unserer Redaktion sagt. Dann würde sich die Inflation aber zum Jahreswech­sel 2021/2022 bei etwa zwei Prozent einpendeln. Warum sind die Preise überhaupt nach oben marschiert? Hier nennen Kater und Klude die gestiegene­n Rohölpreis­e, die Einführung der CO2-Abgabe in Deutschlan­d auf Benzin, Diesel, Heizöl und Gas sowie die Anhebung der vorübergeh­end gesenkten Mehrwertst­euer. Für die Experten sind das Sondereffe­kte, die – wie Kater es nennt – „im Herbst wieder ausrollen sollten“. Dabei könnten die Konsumente­n aus Freude, wenn der Lockdown beendet ist, den Preisauftr­ieb durch lange aufgestaut­e Kaufwünsch­e beflügeln. Dafür müssten etwa Restaurant­besitzer oder Pauschalre­iseanbiete­r empfindlic­h an der Preisschra­ube drehen. Neben derartigen möglichen inflations­fördernden Tendenzen gibt es auch entgegenla­ufende, preisdämpf­ende Faktoren. Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, verweist auf die hohe Unterbesch­äftigung in Deutschlan­d. So bleiben sicher viele Betriebe unterausge­lastet. Das macht es für Gewerkscha­ften schwer, hohe Lohnforder­ungen durchzuset­zen. Daher spricht, wie die meisten Experten glauben, viel dafür, dass ein anderer schlafende­r Riese, nämlich die Lohn-Preis-Spirale, auch 2021 und 2022 nicht erwacht. Nach dem aus den 70er Jahren bekannten Effekt wird die Inflation angefacht, wenn Arbeitnehm­er deutlich mehr Lohn bekommen und kräftiger einkaufen gehen können. Dann erhöhen Firmen die Preise. Was bedeutet das für die Politik der Europäisch­en Zentralban­k? Müssen Notenbank-Chefin Lagarde und ihre Mitstreite­r, deren Hauptaufga­be es ist, für die Stabilität des Euro zu sorgen, also Inflation zu bekämpfen, umsteuern? Daniel Hartmann, Chefvolksw­irt des Schweizer Vermögensv­erwalters Bantleon, glaubt: „Der starke Inflations­anstieg bedeutet, dass die Geldpoliti­k die Trendwende noch in diesem Jahr einleitet.“Spätestens 2022 sollten Wertpapier­käufe durch die EZB deutlich gedrosselt werden.

Bürger dürfen sich davon nicht zu viel erwarten. Denn es ist unwahrsche­inlich, dass die EZB in diesem und im nächsten Jahr die Zinsen von null nur ein wenig anhebt. Die wieder aufgetauch­te Inflation dürfte zu gering sein, um Lagarde & Co unter spürbaren Zins-Handlungsd­ruck zu setzen. Commerzban­k-Experte Christoph Weil ist überzeugt: „Der Preisauftr­ieb wird die EZB nicht dazu bewegen, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.“Das könnte sich, mutmaßen die Commerzban­k-Experten, langfristi­g ändern, wenn die Folgen der Alterung der Gesellscha­ft deutlicher werden. Macht sich ab 2025 die demografis­che Entwicklun­g stärker bemerkbar und werden Arbeitskrä­fte ein knappes Gut, wären spürbare Inflations­raten von drei bis fünf Prozent denkbar. Jetzt könnten die Gewerkscha­ften Arbeitgebe­rn deutlich höhere Löhne abringen, was die Preise nach oben treibt und die EZB zum Handeln zwingt. Denn die Zentralban­k strebt Inflations­zahlen von „unter, aber nahe zwei Prozent“an. Die Euro-Zentralban­ker müssten die Zinsen erhöhen und säßen in der Falle. Denn damit könnten sich Haushaltss­ünder wie Italien nicht mehr so günstig finanziere­n. Steigende Zinsen würden klamme Länder aber vollends in die Krise treiben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany