Ungewöhnlicher Nebenjob: So wird man Corona-Tester
Viele Jobs wie kellnern oder Klamotten verkaufen fallen durch Corona weg. Aber die Pandemie sorgt auch für neue Berufe. Im Augsburger Testzentrum ist die Kälte ein größeres Problem als die Angst vor dem Virus
Augsburg Jil Schnabel verwandelt sich für die Arbeit in ein „Marsmännchen“, wie sie es nennt. Bevor sie mit irgendwem in Kontakt kommt, zieht sie einen blauen Kittel über ihre Klamotten und ein Haarnetz über den Kopf. FFP2-Maske trägt sie bereits. Ihre langen Zöpfe verstaut sie unter ihrer Fließjacke. Haarnetz und Kittel muss sie wegschmeißen, sobald sie ihren Platz verlässt, denn sie sind dann „kontaminiert“. Schnabels Bewegungen sind routiniert. Dabei hat sie noch nie im medizinischen Bereich gearbeitet, bevor sie im Augsburger Corona-Testzentrum angefangen hat.
Im Schnitt 50000 Menschen lassen sich allein in Bayern jeden Tag testen. Dafür braucht es jede Menge Personal. Aber wer sind die Beschäftigten, die Daten abgleichen, Teststäbchen zuordnen und Rachen abstreichen?
Schnabel hat im Herbst ihr Lehramtsstudium beendet und wartet aktuell auf den Beginn ihres Referendariats. Bis zur Corona-Krise hatte sie sich mit Jobs in der Gastronomie finanziert. „Das letzte Jahr war deswegen schwer und kompliziert“, sagt die 31-Jährige. Die Studentenkneipe, in der sie zuletzt gekellnert hat, musste im Frühjahr wegen des Lockdowns schließen. „Ich habe im ersten Lockdown von meinen Ersparnissen gelebt, die waren dann aber aufgebraucht“, erzählt Schnabel. Sie erhielt nach langem Warten staatliche Studentenhilfe, aber die reichte nicht zum Leben. Seit November arbeitet sie im Testzentrum. „Das hat mein finanzielles Überleben gesichert und schlaflose Nächte wieder wettgemacht“, fasst sie zusammen.
Während für Schnabel um 13.30 Uhr ihre Schicht in der Augsburger Messe beginnt, hat die Frühschicht schon fast Feierabend. Von 7.30 bis 14 Uhr war auch Melissa Rohrer da. Die Sportwissenschaftlerin hat Nachhilfe gegeben, das geht wegen Corona nicht so gut. Die Schichtleiterin der Frühschicht, Selina Camagna, ist Physiotherapeutin. Sie hatte ihren Job gekündigt, um auf Weltreise zu gehen, als Corona kam. Seitdem wartet sie im Testzentrum auf das Ende der Pandemie.
Bäuerle Ambulanz betreibt das Augsburger Testzentrum, eines in Aichach und eines in Möttingen im Donau-Ries. Insgesamt 75 Menschen sind dafür beschäftigt und können täglich bis zu 1600 Tests durchführen. Laut dem bayerischen Innenministerium gibt es rund 100 Testzentren im Freistaat. Wie viele Menschen dort arbeiten, kann das Ministerium nicht sagen. Nimmt man Augsburg aber als Modell, käme man hochgerechnet auf rund 2500 neue Arbeitsplätze allein in den bayerischen Testzentren.
Der Assistent der Geschäftsleitung, Tobias Hock, ist für die Mitarbeiter bei Bäuerle zuständig. Im nicht medizinischen Bereich hätten viele in Gastronomie oder Einzelhandel gearbeitet und durch Corona ihre Arbeit verloren. Den medizinischen Part, also das Abstreichen, übernehmen laut Hock Menschen mit medizinischem Hintergrund, wie Krankenschwestern. Auch Physiotherapeutin Camagna ist „Abstreicherin“. Hock sagt, er sei überrascht gewesen, wie schnell er Personal gefunden habe. „Es spricht sich rum und es melden sich viele, die sich freuen, einen Job zu finden.“
Schnabel hat über Freunde von der Arbeit erfahren und sich sofort beworben. Die 31-Jährige registriert die Menschen, die zum Testen kommen. Dafür gleicht sie die Angaben in der Anmeldung mit denen der Krankenkasse ab. „Können Sie mir Ihre Telefonnummer sagen?“, fragt sie eine Frau, die mit ihrem Auto in die Messehalle gefahren ist. Während Schnabel die Informationen überprüft, händigt ein Kollege der Frau ein Infoblatt aus. „Wissen Sie, wie Sie an Ihr Testergebnis kommen?“, fragt er.
Schnabel erzählt, die Menschen hätten oft Angst, dass der Test wehtut. Schmerzen verursacht ein Rachenabstrich nicht, allerdings hallt manchmal ein lautes Würggeräusch durch das Testzentrum. „Wir müssen versuchen, sie zu beruhigen und Fragen beantworten“, sagt sie. Schnabel und ihre Kollegen tanzen manchmal, um Kindern die Angst vor ihnen zu nehmen. „Wir sehen ja für die aus wie Marsmännchen.“
Schnabel mag ihren Job. Er sei abwechslungsreich, weil die vielen Menschen ihre eigenen Geschichten brächten. Manche „Stammkunden“, die beispielsweise wegen ihrer Arbeit im Seniorenheim wöchentlich zum Test kommen, bringen den Mitarbeitern sogar Schokolade. Außerdem sei die Stimmung im Team toll. Einen Nachteil hat der Job laut Schnabel allerdings: die Kälte. Es gibt zwar Heizstrahler an jeder Station und einen kleinen Bauwagen zum Aufwärmen, aber nach sieben Stunden in der Messehalle werde es irgendwann trotzdem kalt.
Eine Zeit lang kommen nur wenige zum Testen, plötzlich entsteht eine Schlange von acht Autos. Eine Registriererin läuft sofort hin, ordLandkreis net sie in einzelne Reihen. Kollegen, die bisher gewartet hatten, eröffnen neue Registrier-Stationen. „Machen Sie den Motor aus!“, schreit eine Frau über den Lärm in der Halle hinweg. Obwohl überall Schilder darauf hinweisen, den Motor auszumachen, lassen viele ihn lieber laufen, erklärt Schnabel mit einem Augenrollen. „Das riecht man dann sogar durch die FFP2-Maske.“
Schnabels Kollegin Michelle Mahurin entschied sich für die Arbeit im Testzentrum erst nach einem Probetag. „Da habe ich verstanden, dass man sicherer ist als beim Einkaufen“, sagt sie. Im Supermarkt achte nicht jeder auf den Sicherheitsabstand oder trage die Maske richtig. Die 24-Jährige wartet wie Schnabel auf den Beginn ihres Referendariats. Sie hat vor der CoronaKrise in einem Jeans-Laden gearbeitet, der inzwischen schließen musste. Mahurin erzählt, wenn gerade wenige Menschen zum Test kommen, sei Warten angesagt. „Man sollte ein Buch, Karten oder Sudoku dabei haben“, empfiehlt sie. Raphael Zöschinger, der mit Schnabel die Spätschicht macht, liest auch in Pausen, er arbeitet sich nach und nach durch die Bibliothek seiner Eltern. Zöschinger wollte nach seinem Bachelor in Kommunikationsdesign bis zum Beginn des Masters in einer Designagentur arbeiten. Aber wegen Corona sei die Joblage schlecht. So kam er ans Testzentrum.
Schnabel lächelt während der Arbeit, das ist sogar unter der Maske zu sehen. Die triste Umgebung macht ihr dabei wenig aus. „Alles ist grau in grau, aber es ist halt eine Halle“, sagt sie und lacht. Mit Glitzerstiefeln und rotgoldenem Nagellack versucht sie einen farblichen Akzent zu setzen. Der Spaß im Team mache die Arbeit besonders. Aber es gibt noch etwas, das Schnabel an dem Job gefällt: „Es gibt einem einfach ein gutes Gefühl, in der Pandemie gebraucht zu werden.“