Guenzburger Zeitung

Ein „Gesetz mit Zähnen“

Große Firmen müssen ab 2023 darauf achten, dass in ihren Produkten keine Kinderarbe­it steckt und Umweltstan­dards eingehalte­n sind

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Lange Zeit hat das geplante Lieferkett­engesetz in der Bundesregi­erung für heftigen Streit gesorgt – jetzt gibt es eine Einigung: Deutsche Firmen müssen künftig bei ihren ausländisc­hen Lieferante­n dafür sorgen, dass Menschenre­chte und Umweltstan­dards eingehalte­n werden. Doch die Regelungen gehen nicht so weit, wie es sich Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) gewünscht haben. In einer Reihe von Punkten konnte sich Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) durchsetze­n – er hatte Wettbewerb­snachteile für deutsche Unternehme­n befürchtet.

Warum er seit fünf Jahren für ein Lieferkett­engesetz kämpft, macht Gerd Müller vor der Presse noch einmal deutlich: „Der Teebeutel, den ich heute beim Frühstück aufgegosse­n habe, kostet einen Cent. Ich habe die Teeplantag­en im indischen Assam besucht, dort erhalten die Arbeiterin­nen einen Euro für einen zwölfstünd­igen Arbeitstag.“Derartige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse entspräche­n einer „Fortschrei­bung der Kolonialze­it“, sagte er. Mit dem Gesetz werde nun ein Zeichen gegen Ausbeutung, Raubbau an der Natur, Menschenre­chtsverlet­zungen und moderne Formen der Sklaverei gesetzt. Müller: „Das Gesetz geht weit über seinen Text hinaus und stößt in Deutschlan­d und Europa eine Debatte über die Zukunft der Globalisie­rung an.“

Der Gesetzentw­urf, auf den sich Müller, Heil und Altmaier nach zähen Verhandlun­gen einigten, sieht eine „abgestufte Verantwort­ung für die Kette vom fertigen Produkt zurück zum Rohstoff“vor. Gelten soll es ab 2023 zunächst für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeite­rn, ab 2024 dann auch für Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeite­rn. Das Gesetz soll nun Mitte März vom Kabinett beschlosse­n und noch vor der Bundestags­wahl im September 2021 vom Bundestag verabschie­det werden.

Heil nannte die Einigung einen „historisch­en Durchbruch“. Weder in Europa noch irgendwo sonst auf der Welt gebe es ein Gesetz, das so ambitionie­rt sei wie das deutsche Lieferkett­engesetz. Es solle Menschenre­chte schützen und Kinderarbe­it und Ausbeutung in Entwicklun­gsländern verringern. Ein Teil der Unternehme­n, so der Arbeitsmin­ister, bekenne sich bereits zu seiner Verantwort­ung, doch in der Vergangenh­eit habe sich auch gezeigt, dass Freiwillig­keit allein nicht ausreiche. Die Behörden bekämen nun ein „robustes Mandat“, um vor Ort Kontrollen vornehmen und mit Bußgeldern Strafen verhängen zu können. Er nennt das Lieferkett­engesetz „ein Gesetz mit Zähnen“.

Der Wirtschaft­sminister hatte sich lange gegen ein Lieferkett­engesetz gestemmt und vor zusätzlich­en Belastunge­n für die Wirtschaft gewarnt. Nun spricht Altmaier von einem „vernünftig­en Kompromiss“. Eine zivile Haftung für Firmen, wovor Wirtschaft­sverbände gewarnt hatten, gebe es nicht. Es sei ihm wichtig, dass die deutsche Wirtschaft am Ende stärker und nicht schwächer dastehe. Die Firmen hätten genug Zeit, sich einzustell­en, für Unternehme­n mit weniger als 1000 Mitarbeite­rn, also die meisten Mittelstän­dler, gelte es gar nicht.

Mehrere Umweltverb­ände sprachen in einer gemeinsame­n Erklärung von einem „Minimalkon­sens“, der für deutsche Firmen nur wenig ändere. Der Gesamtverb­and der Textil- und Modeindust­rie kritisiert­e: „Bemerkensw­ert ist, wie viele Kapazitäte­n die Bundesregi­erung für ein neues Gesetz hat, während unsere Unternehme­n seit Monaten auf Corona-Hilfen warten.“

Müller: Es geht auch um die Zukunft der Globalisie­rung

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