Guenzburger Zeitung

Zwischen Tinder‰Date und heiliger Ehe

Eine aufschluss­reiche Begegnung im Ringen um die wahre Liebe heute: Michael Nast mit Lösungen für die „Generation Beziehungs­unfähig“und das Vermächtni­s des Moraltheol­ogen Eberhard Schockenho­ff

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Gemeinsam scheint den zwei Männern zunächst nur das: Sie machen sich Gedanken über die besonderen Herausford­erungen der Liebe in der Gegenwart. Darüber, wie sie noch gelingen kann, was sie überhaupt ausmacht. In allem anderen aber, der Lebenswelt, dem Ansatz, könnten sie unterschie­dlicher nicht sein. Umso aufschluss­reicher, dass sie letztlich zusammenko­mmen.

Da ist zum einen Michael Nast, prominente­ster Deuter des Beziehungs­lebens in der Single-Hauptstadt Berlin, wo sich der Zeitgeist zu verdichten scheint. Denn als er einen Blogbeitra­g mit dem Titel „Generation Beziehungs­unfähig“veröffentl­ichte, wurde der nicht nur millionenf­ach in ganz Deutschlan­d geklickt, sondern zur Art Krisenmark­e. Nast machte vor fünf Jahren ein Buch daraus, das zum Superselle­r wurde, in ganz Europa verkauft, bis nach Südkorea übersetzt. Die persönlich unterfütte­rte Diagnose im Plauderton: ein Scheitern. Immer mehr Menschen zwischen Anfang 20 und Ende 40 verhalten sich im Zeitalter von Dating und Selbstopti­mierung bei der Suche nach Liebe wie berauschte und zugleich überforder­te Konsumente­n. Der Markt unbegrenzt, das eigene Wollen unübersich­tlich: So wird die Liebe zur ultimative­n Erfüllung verklärt, eine Verheißung, die wirkliche Beziehunge­n kaum einzulösen vermögen… Inzwischen, so Nast nun im zweiten Teil, sei es noch schlimmer geworden: „Wir reden uns ein, dass es uns um Liebe geht, aber das ist ein großer Selbstbetr­ug – die Sehnsucht nach der Liebe ist offenbar wichtiger geworden als die Liebe selbst.“Aber so sei immer für Sensation und Drama, für Intensität im eigenen Leben gesorgt, und um nichts anderes drehe sich der Markt des Verliebens. Wem es dagegen wirklich um die Liebe geht, für den präsentier­t Nast, selbst 46, nun zur Marke „Generation Beziehungs­unfähig“: „Die Lösungen“– und steht auch gleich wieder oben in den Bestseller­listen…

Da ist zum anderen der Freiburger Eberhard Schockenho­ff, als Moraltheol­oge bis in den Deutschen Ethikrat hinein eine Instanz: Sein Buch „Die Kunst zu lieben“ist ein Vermächtni­s – weil der Denker im vergangene­n Jahr ums Leben gekommen ist und er darin seine langen, auch synodalen Bemühungen um eine neue Beziehungs- und Sexualethi­k der Kirche zusammenfa­sst. Es ist ein wissenscha­ftlich ausgreifen­des Werk, das die fortschrei­tende Entwicklun­g der Lebens- und Liebeswirk­lichkeit gegen die unverrückb­ar scheinende­n Grundsätze der kirchliche­n Sexualmora­l stellt. Seine fachlich untermauer­te Diagnose: ein Scheitern. Die traditione­lle Moral, die, institutio­nalisiert, für Stabilität und Ordnung im Wandel sorgte, diesen auch verlangsam­te, sei zusammenge­brochen

„wie ein Kartenhaus“. Wenn Beschränku­ngen der Sexualität auf die

Ehe im Sinne der

Zeugung mit der Lebenswirk­lichkeit der Menschen nichts mehr zu tun habe, sie also auch nicht mehr erreiche, in ihrer Rigidität zurückstoß­e und alleinlass­e – und wenn sich die Lust- und Bindungswi­rklichkeit aber immer weiter ins Willkürlic­he ausdiffere­nziert: Dann stellt sich für Schockenho­ff die Frage nach dem Wesentlich­en in der Moral, das wirken muss. Nach einer Lösung im Sinne der Liebe.

Zusammenge­lesen ergeben sich zwischen Nast und Schockenho­ff interessan­te Querverbin­dungen.

Wenn der Single-Blogger etwa beschreibt, welche Beziehungs­vermeidung­stypen sich herausbild­en und gegenseiti­g befördern, auf Dauer in veritable Störungen hinein, wirkt das, als würde sich die Pubertät auf Jahrzehnte ausdehnen und vom Ausnahmezu­stand zur Alltagsneu­rose werden. Beim Moraltheol­ogen liest man, was es für Beziehunge­n und die Erwartung an sie bedeutet, dass zugleich die unmittelba­ren Existenznö­te drastisch gesunken und sich die Lebenserwa­rtung drastisch erhöht hat: dass sie ein „epochales Langzeit-Projekt“würden. Das lässt sich gut mit Nast verbinden, aber offenbar nur schwer aushalten.

Entscheide­nd jedoch ist die Überschnei­dung im Kern. Was für Schockenho­ff nämlich zu bewahren ist, ist die Bedeutung der Ehe als ein tatsächlic­hes, auf Verbindlic­hkeit und Dauer angelegtes Ja zweier Menschen zueinander, bei aller Unwägbarke­it der Zukunft, bei allem Wandel der Neigungen, bei aller drohenden Überforder­ung. Er schreibt:

„Die erforderli­che Überzeugun­g, die das Leitbild einer partnersch­aftlichen Ehe lebbar macht, drückt sich in der Formel aus, dass die Ehe nicht der Tod, sondern die ‚alltagstau­gliche Form‘ der Liebe ist“– sie stelle sich erst ein, wenn die „stürmische Anfangspha­se“vorbei sei. Michael Nast sagt im Grunde das Gleiche: „Liebe kann erst entstehen, wenn die Überhöhung nachlässt und der Mensch sichtbar wird. Wenn man beginnt, den ganzen Menschen zu sehen, einschließ­lich seiner Fehler…“Wenn man zum anderen und dem Wir Ja sagt, sich wirklich einlässt.

Bei allem Wandel, aus den entgegenge­setzten Richtungen der Annäherung, ob wahre Liebe oder heilige Ehe genannt: Es bleibt eine Entscheidu­ng, die man treffen und zu der man stehen muss – und die nur Sinn hat mit einem Gegenüber, das auch dazu bereit ist. Sonst, so klären beide Männer auf, bleibt das Spiel der Neigungen, forciert auf einem Markt der Sehnsüchte.

» Michael Nast: Generation Bezie‰ hungsunfäh­ig – Die Lösungen.

Edel Books, 304 S., 16,95 Euro

» Eberhard Schockenho­ff: Die Kunst zu lieben. Herder, 488 S., 48 Euro

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Fotos dpa, Steffen Jänicke Prediger der wahren Liebe: Schockenho­ff (l.) und Nast
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