Zwischen TinderDate und heiliger Ehe
Eine aufschlussreiche Begegnung im Ringen um die wahre Liebe heute: Michael Nast mit Lösungen für die „Generation Beziehungsunfähig“und das Vermächtnis des Moraltheologen Eberhard Schockenhoff
Gemeinsam scheint den zwei Männern zunächst nur das: Sie machen sich Gedanken über die besonderen Herausforderungen der Liebe in der Gegenwart. Darüber, wie sie noch gelingen kann, was sie überhaupt ausmacht. In allem anderen aber, der Lebenswelt, dem Ansatz, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Umso aufschlussreicher, dass sie letztlich zusammenkommen.
Da ist zum einen Michael Nast, prominentester Deuter des Beziehungslebens in der Single-Hauptstadt Berlin, wo sich der Zeitgeist zu verdichten scheint. Denn als er einen Blogbeitrag mit dem Titel „Generation Beziehungsunfähig“veröffentlichte, wurde der nicht nur millionenfach in ganz Deutschland geklickt, sondern zur Art Krisenmarke. Nast machte vor fünf Jahren ein Buch daraus, das zum Superseller wurde, in ganz Europa verkauft, bis nach Südkorea übersetzt. Die persönlich unterfütterte Diagnose im Plauderton: ein Scheitern. Immer mehr Menschen zwischen Anfang 20 und Ende 40 verhalten sich im Zeitalter von Dating und Selbstoptimierung bei der Suche nach Liebe wie berauschte und zugleich überforderte Konsumenten. Der Markt unbegrenzt, das eigene Wollen unübersichtlich: So wird die Liebe zur ultimativen Erfüllung verklärt, eine Verheißung, die wirkliche Beziehungen kaum einzulösen vermögen… Inzwischen, so Nast nun im zweiten Teil, sei es noch schlimmer geworden: „Wir reden uns ein, dass es uns um Liebe geht, aber das ist ein großer Selbstbetrug – die Sehnsucht nach der Liebe ist offenbar wichtiger geworden als die Liebe selbst.“Aber so sei immer für Sensation und Drama, für Intensität im eigenen Leben gesorgt, und um nichts anderes drehe sich der Markt des Verliebens. Wem es dagegen wirklich um die Liebe geht, für den präsentiert Nast, selbst 46, nun zur Marke „Generation Beziehungsunfähig“: „Die Lösungen“– und steht auch gleich wieder oben in den Bestsellerlisten…
Da ist zum anderen der Freiburger Eberhard Schockenhoff, als Moraltheologe bis in den Deutschen Ethikrat hinein eine Instanz: Sein Buch „Die Kunst zu lieben“ist ein Vermächtnis – weil der Denker im vergangenen Jahr ums Leben gekommen ist und er darin seine langen, auch synodalen Bemühungen um eine neue Beziehungs- und Sexualethik der Kirche zusammenfasst. Es ist ein wissenschaftlich ausgreifendes Werk, das die fortschreitende Entwicklung der Lebens- und Liebeswirklichkeit gegen die unverrückbar scheinenden Grundsätze der kirchlichen Sexualmoral stellt. Seine fachlich untermauerte Diagnose: ein Scheitern. Die traditionelle Moral, die, institutionalisiert, für Stabilität und Ordnung im Wandel sorgte, diesen auch verlangsamte, sei zusammengebrochen
„wie ein Kartenhaus“. Wenn Beschränkungen der Sexualität auf die
Ehe im Sinne der
Zeugung mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nichts mehr zu tun habe, sie also auch nicht mehr erreiche, in ihrer Rigidität zurückstoße und alleinlasse – und wenn sich die Lust- und Bindungswirklichkeit aber immer weiter ins Willkürliche ausdifferenziert: Dann stellt sich für Schockenhoff die Frage nach dem Wesentlichen in der Moral, das wirken muss. Nach einer Lösung im Sinne der Liebe.
Zusammengelesen ergeben sich zwischen Nast und Schockenhoff interessante Querverbindungen.
Wenn der Single-Blogger etwa beschreibt, welche Beziehungsvermeidungstypen sich herausbilden und gegenseitig befördern, auf Dauer in veritable Störungen hinein, wirkt das, als würde sich die Pubertät auf Jahrzehnte ausdehnen und vom Ausnahmezustand zur Alltagsneurose werden. Beim Moraltheologen liest man, was es für Beziehungen und die Erwartung an sie bedeutet, dass zugleich die unmittelbaren Existenznöte drastisch gesunken und sich die Lebenserwartung drastisch erhöht hat: dass sie ein „epochales Langzeit-Projekt“würden. Das lässt sich gut mit Nast verbinden, aber offenbar nur schwer aushalten.
Entscheidend jedoch ist die Überschneidung im Kern. Was für Schockenhoff nämlich zu bewahren ist, ist die Bedeutung der Ehe als ein tatsächliches, auf Verbindlichkeit und Dauer angelegtes Ja zweier Menschen zueinander, bei aller Unwägbarkeit der Zukunft, bei allem Wandel der Neigungen, bei aller drohenden Überforderung. Er schreibt:
„Die erforderliche Überzeugung, die das Leitbild einer partnerschaftlichen Ehe lebbar macht, drückt sich in der Formel aus, dass die Ehe nicht der Tod, sondern die ‚alltagstaugliche Form‘ der Liebe ist“– sie stelle sich erst ein, wenn die „stürmische Anfangsphase“vorbei sei. Michael Nast sagt im Grunde das Gleiche: „Liebe kann erst entstehen, wenn die Überhöhung nachlässt und der Mensch sichtbar wird. Wenn man beginnt, den ganzen Menschen zu sehen, einschließlich seiner Fehler…“Wenn man zum anderen und dem Wir Ja sagt, sich wirklich einlässt.
Bei allem Wandel, aus den entgegengesetzten Richtungen der Annäherung, ob wahre Liebe oder heilige Ehe genannt: Es bleibt eine Entscheidung, die man treffen und zu der man stehen muss – und die nur Sinn hat mit einem Gegenüber, das auch dazu bereit ist. Sonst, so klären beide Männer auf, bleibt das Spiel der Neigungen, forciert auf einem Markt der Sehnsüchte.
» Michael Nast: Generation Bezie hungsunfähig – Die Lösungen.
Edel Books, 304 S., 16,95 Euro
» Eberhard Schockenhoff: Die Kunst zu lieben. Herder, 488 S., 48 Euro