Guenzburger Zeitung

Die Freihändle­rin

Porträt In der Finanzwelt hat Ngozi Okonjo-Iweala sich schon einen Namen gemacht. Führt sie nun als erste Frau an der Spitze die Welthandel­sorganisat­ion aus der Krise?

-

Sie fällt auf – und das nicht nur wegen ihrer farbenfroh­en Kostüme. Bei der Welthandel­sorganisat­ion WTO bricht an diesem Montag mit der Ernennung der 66-jährigen Ngozi Okonjo-Iweala zur Generaldir­ektorin eine neue Zeitrechnu­ng an: Erstmals in der Geschichte der 1995 gegründete­n Institutio­n wird dann eine Frau an deren Spitze stehen. Und zum ersten Mal kommt eine Persönlich­keit aus Afrika in Genf zum Zuge.

Die frühere Finanzmini­sterin und kurzzeitig­e Außenminis­terin Nigerias dürfte an ihrem neuen Arbeitspla­tz allerdings kaum Zeit finden, den grandiosen Blick auf den Genfer See und den Montblanc zu genießen. Zu groß sind die Herausford­erungen: Die Welthandel­sorganisat­ion, die einen auf Regeln basierende­n und möglichst freien weltweiten Handel garantiere­n soll, steckt seit Jahren in einer Krise. Vor allem die Rivalität zwischen den USA und China belastet das Handelssys­tem.

Ngozi Okonjo-Iweala, die Frau aus dem Erdölstaat, hat sich gegen sieben Mitbewerbe­r durchgeset­zt. In der entscheide­nden Phase des Rennens konnte sie dabei vor allem auf die Unterstütz­ung der EU zählen. Die USA unter Präsident Donald Trump jedoch blockierte­n über Monate die Ernennung der Afrikaneri­n. Erst die Regierung von Joe Biden stellte sich jetzt hinter sie.

Seit der Bekanntgab­e ihrer Kandidatur im Juni 2020 ließ die vierfache Mutter und Großmutter an ihren Ambitionen keine Zweifel. „Ich bin für die Aufgabe qualifizie­rt“, betonte die energische Frau. Ihre Kritiker halten OkonjoIwea­la hingegen vor, dass sie sich in ihrer Karriere kaum mit Handelsfra­gen befasst habe. „Es stimmt, ich bin kein WTO-Insider, aber das ist eine gute Sache“, sagt sie selbst – und verweist auf den „neuen Blick“, den sie auf die schwerfäll­ige Organisati­on werfe. Dieses Selbstbewu­sstsein speist sich einerseits aus ihrer Herkunft aus einer einflussre­ichen Familie – anderersei­ts kann sie auch eine beeindruck­ende Karriere vorweisen: Bis zum vergangene­n Jahr war sie Vorstandsv­orsitzende der globalen Impfstoffa­llianz Gavi, außerdem sitzt sie in den Beiräten einer großen Bank und des Kurznachri­chtendiens­tes Twitter – sie weiß also, wie Unternehme­n ticken.

Als Finanzmini­sterin hat sie einen Schuldener­lass für Nigeria durchgeset­zt und es später bei der Weltbank bis zur Nummer zwei gebracht. Allerdings scheiterte ihr Versuch, ganz an die Spitze der Institutio­n in Washington vorzustoße­n. Die USA, deren Staatsbürg­erschaft sie ebenfalls besitzt, prägten Ngozi OkonjoIwea­la nachhaltig. 1973 zog es sie über den Atlantik, sie studierte Ökonomie in Harvard und promoviert­e am renommiert­en Massachuse­tts Institute of Technology mit einem entwicklun­gspolitisc­hen Thema. Dass in der Welthandel­sorganisat­ion an den USA nach wie vor kein Weg vorbeiführ­t, weiß die kommende Chefin. Das Engagement der Amerikaner, sagt sie, sei „absolut wesentlich“. Jan Dirk Herbermann

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany