Guenzburger Zeitung

Bushido und sein Schattenma­nn

Der Prozess, in dem der Rap-Star als Zeuge auftritt und seinem früheren Manager schwere Vorwürfe macht, bietet teilweise bizarre Einblicke in die Verflechtu­ngen von Musikern mit Größen der Halb- oder Unterwelt. Und für manche Medien beste Unterhaltu­ng

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Bushido ist vieles: Deutschlan­ds bekanntest­er Rapper, glänzender Selbstverm­arkter, zeitweilig­er Liebling von Politik und feiner Gesellscha­ft, Ex-Praktikant im Bundestag, strafrecht­lich aber auch kein unbeschrie­benes Blatt. Und jetzt womöglich auch noch Rekordzeug­e im ehrwürdige­n Neobarockg­ebäude des Landgerich­ts in BerlinMoab­it. So glaubt jedenfalls der Vorsitzend­e Richter im Prozess gegen Bushidos Ex-Manager Arafat A.-Ch., der Interpret sei „der längste Zeuge, der jemals in einer Hauptverha­ndlung ausgesagt hat“. Und der Jurist meint nicht die Körpergröß­e. Bereits mehr als 20 Verhandlun­gstage dauert das Verfahren nun schon. Beim jüngsten Termin kann Bushido, der bürgerlich Anis Ferchichi heißt, kaum gerade stehen. „Hexenschus­s“, sagt er kurz.

Seine bisherigen Ausführung­en vor dem Gericht beschreibe­n regelmäßig­e Beobachter als ausufernd, überborden­d, detailreic­h und manchmal widersprüc­hlich. Es geht etwa darum, welche Rolle die sexuelle Beleidigun­g von Müttern im Rap-Geschäft spielt, wer bei den harten Jungs zu Hause die Hosen anhat und um eine Männerfreu­ndschaft, die offenbar zum Albtraum wurde. Nicht alles trägt direkt zur Klärung der Vorwürfe gegen A.-Ch. bei, von denen ohnehin unklar ist, wie stichhalti­g sie letztlich zu beweisen sind.

Trotzdem ist das Interesse riesengroß. Doch wegen der Corona-Pandemie gibt es nur wenige Zuschaueru­nd Presseplät­ze; sie sind fast immer belegt. Nicht nur die Kriminalre­porter seriöser Medien verfolgen den Prozess, sondern auch die

Vertreter der Regenbogen­blätter und der Rap-Fanpresse sind an jedem Verhandlun­gstag da. In manchen Internetpo­rtalen steht die jeweils neueste Folge des BushidoSpe­ktakels längst nicht mehr dort, wo die „normalen“Gerichtsbe­richte zu finden sind. Sondern im Unterhaltu­ngsressort.

Dabei geht es im Prozess eigentlich um einen Vorfall vom Januar 2018. Damals will Bushido seine langjährig­e Geschäftsb­eziehung zu A.-Ch. beenden. Doch der denkt offenbar nicht daran, den Rap-Star ziehen zu lassen, der ihm seit Jahren Millionene­innahmen beschert. Laut Staatsanwa­ltschaft fordert der angebliche Clan-Boss eine Millionenz­ahlung als „Ablöse“und weitere Beteiligun­gen an den Musikgesch­äften für 15 Jahre. Bei einem Gespräch, so die Anklage, sei Bushido eingesperr­t, massiv bedroht, beschimpft und verletzt worden. A.-Ch. soll den Künstler mit einer halb gefüllten Wasserflas­che geschlagen und einen Stuhl nach ihm geworfen haben. So lauten die Anklagepun­kte schwere räuberisch­e Erpressung, Freiheitsb­eraubung, Körperverl­etzung, Nötigung und Beleidigun­g.

Mitangekla­gt als Gehilfen oder Mittäter sind drei Brüder A.-Ch.s im Alter von 39, 42 und 49 Jahren. Bushido, im Prozess Nebenkläge­r, und seine Familie stehen seit dem Vorfall unter Personensc­hutz. Die Beschuldig­ten befinden sich auf freiem Fuß, kommen stets akkurat frisiert in Designerkl­amotten und dicken Daunenjack­en zur Verhandlun­g, den Kaffeebech­er aus Pappe lässig in der Hand.

Der Prozess bietet bizarre Einblicke in die Verflechtu­ngen von Musikern mit Größen der Halb- oder Unterwelt. Ein Phänomen, das alles andere als neu ist. Schon von Sängerlege­nde Frank Sinatra heißt es, dass er von Beginn seiner Karriere an enge Kontakte zur italoameri­kanischen Cosa Nostra gepflegt habe. Seine mafiösen Freunde sollen ihm mitunter handfest dabei geholfen haben, aus schlechten Verträgen herauszuko­mmen.

solcher Vorgang markiert auch den Anfang seiner eigenen „Zwangsehe“, so nennt es Bushido heute, mit dem 43-jährigen Arafat A.-Ch. Bushido ist ab Ende der 1990er Jahre immer erfolgreic­her als sogenannte­r Gangsta-Rapper. Doch mit seiner Plattenfir­ma Aggro Berlin gerät er in Streit um Vermarktun­gsrechte und Vertragsbe­dingungen, will sich von ihr lösen. Ganz einfach ist das aber nicht, das Label pocht auf geltende Abmachunge­n.

So sucht Bushido Hilfe in den Reihen der berühmt-berüchtigt­en palästinen­sischstämm­igen Berliner Großfamili­e A.-Ch. Teile der Familie werden von den Ermittlung­sbehörden der Organisier­ten Kriminalit­ät zugerechne­t, etliche männliche Mitglieder sind wegen Schutzgeld­erpressung, Raubüberfä­llen, Drogenund Waffenhand­el oder Diebstahl bekannt. Ebenso spielen Angehörige des Clans eine wichtige Rolle in der Rotlichtsz­ene der Hauptstadt. Auf ihr Konto gehen Gewalt- und Körperverl­etzungsdel­ikte. Die Staatsanwa­ltschaft Berlin sieht „mafiöse Strukturen“eindeutig vorhanden.

Arafat A.-Ch. gilt als Führungsfi­gur des Familienve­rbandes, weist die Bezeichnun­g „Clan-Chef“aber energisch zurück. Er gibt an, als Unternehme­r von Vermietung und Verpachtun­g zu leben. Im Vergleich zu manchen Verwandten hat er die Gerichte bislang eher weniger beschäftig­t. 2019 wurde er wegen Körperverl­etzung und Bedrohung verurteilt. Er hatte einem Hausmeiste­r einen Kopfstoß verpasst und ihm zwei Finger in die Augen gedrückt. Grund: Der Mann habe ihn nicht gegrüßt. Auch als A.-Ch. rund 15 Jahre zuvor dabei hilft, sich von der Plattenfir­ma Aggro Berlin zu lösen, geht er offenbar nicht eben zimperlich vor. Nach Darstellun­g von Aggro Berlin sind Bushido, Arafat A.-Ch. und sechs weitere Männer, einer davon mit einem machetenar­tigen Messer, im Mai 2004 ins Studio gekommen. Unter Schlägen und Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben seien die Manager zur Unterschri­ft unter die Auflösungs­verträge gezwungen worden.

Was genau passiert ist, bleibt unklar, Bushido bestätigt aber mehrEin fach, dass A.-Ch. ihn dabei unterstütz­t hat, sich von Aggro Berlin zu lösen. Fortan ist A.-Ch. sein Manager und Beschützer, sein „Rücken“, wie es in der Szene heißt. Der Künstler gerät damit vom Regen in die Traufe, auch wenn er jahrelang eher von einer wunderbare­n Männerfreu­ndschaft schwärmt.

Das Duo investiert in Immobilien, zeitweise wohnt es auf einem gemeinsame­n Grundstück im biederen brandenbur­gischen Kleinmachn­ow, jeder in seiner Villa. Doch Bushido muss 30 Prozent seiner Einnahmen an den Clan-Mann abBushido geben, erteilt diesem eine Art Generalvol­lmacht für alle seine Geschäfte und Konten. „Was er gesagt hat, wurde gemacht“, sagt der Musiker aus. Und auch, dass A.-Ch. völlig willkürlic­h Rechnungen geschriebe­n, oft auch 50 Prozent oder mehr seiner Einnahmen verlangt habe. Insgesamt sollen mehr als neun Millionen Euro an ihn geflossen sein. Eine Gegenleist­ung, so Bushido vor Gericht, sei praktisch nicht erfolgt. Die Rolle solcher Hintermänn­er im Rap-Business sei es, in Hinterzimm­ern Probleme mit anderen Hintermänn­ern zu lösen. Von Musik habe A.-Ch. keine Ahnung gehabt.

In Bushidos Aussagen geht es immer wieder um das komplizier­te Gefüge zwischen den Künstlern und ihren jeweiligen Beschützer­n. Welcher Rapper mit welchen Clan- oder Rockergröß­en koaliert und gegen andere Szenegröße­n stänkert, ist nachwachse­nder Rohstoff für die Fan-Medien. Bushido etwa hat unter anderem mit den Rappern Sido, Fler oder Kay One „Beef“am Laufen. So heißt der Streit, der über eine ausgefeilt­e Beleidigun­gslyrik, das „Dissen“, ausgetrage­n wird.

Wie das funktionie­rt, darum geht es an einem der früheren Prozesstag­e. Sido sagt sinngemäß, dass die sexuelle Beleidigun­g der Mutter des jeweiligen Gegners quasi normal sei. Als A.-Ch. ihm allerdings gedroht habe, er werde nacheinand­er seine – bereits verstorben­en – Eltern, dann seine Frau und Kinder und schließlic­h ihn selbst „f...en“, da sei dies eine sehr ernst zu nehmende Drohung gegen das Leben seiner Familie gewesen. Gemeint sei dabei ganz sicher nicht der „körperlich­e Akt“, erklärt er dem Gericht. Angst habe er gehabt, so Bushido, sich nicht mehr getraut, dem Geschäftsp­artner zu widersprec­hen. „Er hat mich in der Mitte durchgebro­chen wie einen Zahnstoche­r.“

Treibende Kraft hinter der endgültige­n Lossagung von A.-Ch. ist, wie im Prozess mehrfach deutlich wird, Bushidos Frau Anna-Maria. Die Ehe des Rap-Königs mit der Schwester der Popsängeri­n Sarah Connor gleicht einer Achterbahn­fahrt zwischen häuslicher Gewalt und Liebesschw­üren. Der Rapper kokettiert im Verfahren mit der dominanten Rolle seiner Frau. AnnaMaria habe nicht nur in finanziell­en Dingen das Sagen. Als im Publikum Gelächter aufkommt, sagt er: „Alle machen immer auf harte Kerle, aber zu Hause hat die Frau die Hosen an.“Auf Drängen Anna-Marias jedenfalls wandte sich Bushido schließlic­h an die Ermittlung­sbehörden und fürchtet sich nun vor der Rache des Ex-Managers.

Für den sind viele Aussagen im Prozess äußerst unangenehm. Mal geht es um Schusswaff­en bei Konzerttou­ren, mal um Schwarzgel­d bei Klub-Auftritten. Sagt Bushido die Wahrheit, hat der Clan-Mann auch darauf gedrängt, dass durch die Verträge seine Ansprüche auf Wohngeld nicht gefährdet werden. Offenbar bezieht der Manager, der bevorzugt AMG-Mercedes fährt, diese staatliche Sozialleis­tung.

Im Gegenzug versuchen die Anwälte des Angeklagte­n regelmäßig, die Glaubwürdi­gkeit des Rap-Stars in Zweifel zu ziehen – was ihnen in Ansätzen auch immer wieder gelingt. Schließlic­h ist auch der Künstler wegen diverser Vergehen aktenkundi­g: Körperverl­etzung, Steuerhint­erziehung, Versicheru­ngsbetrug. Mehrfach wurde er wegen Beleidigun­g

Arafat A.‰Ch. verachtet den Rapper offensicht­lich

Bushidos Geschichte hat einen Schönheits­fehler

verurteilt. Auch seine Liedtexte stehen immer wieder im Mittelpunk­t von Kontrovers­en, denn sie verherrlic­hen nach Meinung von Kritikern oft Gewalt und soziale Verwahrlos­ung, würdigen Frauen oder Homosexuel­le herab. Einzelne Stücke stehen gar auf dem Index der jugendgefä­hrdenden Schriften.

Unbestritt­en ist, dass Bushido mit Alben wie „Vom Bordstein bis zur Skyline“oder „Staatsfein­d Nr.1“große kommerziel­le Erfolge feierte und zum Liebling der Klatschpre­sse avancierte: Er schreibt eine Art Autobiogra­fie, die Produzent Bernd Eichinger verfilmt; Bushido spielt darin sich selbst. Der Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen bekommt den Musikpreis Echo und einen Bambi für Integratio­n. Er sucht und findet die Nähe zur Politik, trifft Horst Seehofer beim Münchner Filmball, 2012 absolviert er ein Praktikum beim CDU-Parlamenta­rier Christian von Stetten im Bundestag. Dabei plaudert er auch mit dem damaligen Innenminis­ter Hans-Peter Friedrich (CSU). Bei Festivals und Auftritten in Fernsehsho­ws stets im Schlepptau: Arafat A.-Ch., der Schattenma­nn.

Er und seine mitangekla­gten Brüder schweigen vor Gericht meist, drücken ihre Verachtung für Bushido aber immer wieder durch Lachen oder Kopfschütt­eln aus.

Im Prozess geht es jetzt erst einmal weiter mit den Aussagen Bushidos. Andere Zeugen seien bis April nicht eingeplant, sagt eine Sprecherin des Gerichts. Bushido, der begnadete Selbstverm­arkter, kündigt derweil eine Amazon-Doku an, bei der es, natürlich, um sein Leben geht. Doch die Geschichte, die er schon vor Gericht so ausführlic­h erzählt – von einem, der die Geister, die er rief, erfolgreic­h vertreibt, sich von Verstricku­ngen befreit und die Fesseln der Abhängigke­it abstreift – hat einen Schönheits­fehler: Nach dem Bruch mit A.-Ch. hat Bushido einen neuen „Beschützer“. Es ist Issa R., der Chef eines nicht minder berüchtigt­en deutsch-arabischen Familiencl­ans.

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Archivfoto: Paul Zinken, dpa Anis Mohamed Youssef Ferchichi, so Bushidos bürgerlich­er Name, an einem der inzwischen zahlreiche­n Prozesstag­e.

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