Wie Corona die Mieten senken könnte
Mit der Pandemie arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice. Viele Büros sind verwaist. Ob sich das jemals ändert, ist nicht abzusehen. Nun will ein Bündnis günstigen Wohnraum für hunderttausende Menschen schaffen
Berlin Murat Kinay (Name von der Redaktion geändert) hat es schwer. Aktuell wohnt er mit seinem Sohn im Teenageralter und zwei Hunden in einer Einzimmerwohnung. Sein anderer Sohn lebt bei seiner Mutter und kann wegen der beengten Verhältnisse bei ihm nicht über Nacht bleiben. „Der Wohnungsmangel in Augsburg ist extrem“, sagt er. Seit der Trennung vor fünf Jahren ist der Lkw-Fahrer auf Wohnungssuche. Mit Kindern, Haustieren und einem alten Eintrag in der Schufa-Liste ist es natürlich nicht leicht, etwas zu finden. „Viele Vermieter winken auch wegen meinem Migrationshintergrund ab“, glaubt er. Dabei könnte er 800 Euro bezahlen und hofft auf eine Zweizimmerwohnung mit Garten.
So wie Kinay geht es vielen Menschen. Nach einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Wirtschaft steigen vor allem in Bayern die Mieten schneller als die Löhne. Dies bedeutet, dass die Miete bei Angestellten einen höheren Teil des Einkommens verschlingt. Im Landkreis München etwa ging die Schere zwischen 2014 und 2018 um 14,1 Prozent auseinander. Für die Stadt Augsburg liegt der Wert immerhin noch bei 4,1 Prozent. Das bekommt auch Kinay zu spüren: „Die ganzen Pendler aus München machen hier in Augsburg die Preise kaputt“, glaubt er. Diese seien meist bereit und in der Lage, höhere Preise zu zahlen. Einfache Lösungen für das
Problem sind nicht in Sicht. Doch eine Folge der Corona-Krise könnte zumindest etwas Druck vom Mietmarkt nehmen. Davon geht zumindest das Bündnis „Soziales Wohnen“aus. In ihm zusammengeschlossen haben sich unter anderem die Gewerkschaft IG Bau, die Caritas, der Deutsche Mieterbund und die Arbeitsgemeinschaft zeitgemäßes Wohnen (Arge).
Das Bündnis rechnet damit, dass sich das Homeoffice auch nach der Pandemie weiter halten – und sogar ausbreiten – wird. Leer stehende Büroflächen könnten dann zu Wohnungen werden. Demnach würden so in den kommenden vier Jahren etwa 235 000 neue Wohnungen entstehen. Nach dem Willen des Bündnisses soll ein Großteil davon Sozialwohnungen sein. Für die Berechnungen
geht das Bündnis davon aus, dass bis 2040 rund 40 Prozent der Büroangestellten im Homeoffice arbeiten. 136 Millionen Quadratmeter Bürofläche wären dann ungenutzt.
Wie der Leiter des Arge-Instituts, Dietmar Walberg, sagt, sei die Errichtung von Wohnungen in ehemaligen Bürogebäuden um etwa zwei Drittel günstiger als bei Neubauten, weil kostentreibende Elemente wie Treppenhäuser und Installationsschächte bereits vorhanden sind. Zudem befänden sich die Gebäude häufig in attraktiver Lage. Ein zusätzlicher Vorteil: Eine weitere Flächenversiegelung werde vermieden.
Auch Immobilienmakler Jürgen Koppold findet die Idee interessant. „Je nach Lage können Bürogebäude durchaus eine attraktive Wohnung
darstellen“, findet der Geschäftsführer der Augsburger Firma Dahler Immobilien. Wenn die Anbindungen an Verkehr und Kindergarten gegeben sind und die Wohnung nicht in einem lauten Industriegebiet liegt, spreche nichts gegen eine Umwandlung von Bürogebäuden.
Bis aber eine große Zahl an solchen gewerblichen Immobilien leer steht, kann es dauern: Denn nach der Umfrage des IW-Institutes haben die meisten Firmen nicht vor, ihren Angestellten mehr Homeoffice zu ermöglichen, wenn die Pandemie vorbei ist. Nur 6,4 Prozent der befragten Betriebe beabsichtigen, ihre Bürofläche zu verkleinern.
Um die Wohnungsnot zu bekämpfen, hatte die Bundesregierung bereits zum Start der Legislaturperiode versprochen, für 1,5 Millionen neue Wohnungen zu sorgen. Die Bündnispartner überzeugt das nicht. „Das ist eine Mogelpackung“, sagt IG-Bau-Vorsitzender Robert Feiger im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Zahl sei künstlich aufgebläht, indem man Baugenehmigungen und Gebäude im Rohbau mitzählt. „Auf einer Baugenehmigung kann niemand wohnen“, so Feiger. Die Bundesregierung habe die Brisanz des Themas nicht erkannt. „Selbst Menschen mit mittlerem Einkommen haben häufiger Probleme, sich eine Wohnung zu leisten. Das ist sozialer Brennstoff“, warnt der Gewerkschafter. Durch mehr Sozialwohnungen würden die Mieten für alle sinken. Nachholbedarf sehen Feiger und seine Mitstreiter vor allem bei Wohnungen im unteren Preissegment. „Unbezahlbaren Wohnraum gibt es genug“, sagt der Gewerkschafter.
Nach Zahlen des Bündnisses ist das Angebot an Sozialwohnungen kontinuierlich zurückgegangen, seit es 1987 mit vier Millionen einen Höhepunkt erreicht hat. Aktuell liege die Zahl bei knapp 1,2 Millionen, etwa 75 Prozent niedriger. Insgesamt sieht das Bündnis Bedarf für rund 800000 zusätzliche Wohnungen. Menschen mit niedrigem Einkommen können es sich zunehmend nicht mehr leisten, in der Stadt zu leben. Auch Murat Kinay sucht im Umland eine Wohnung. Weit weg von seiner Arbeit und der Schule seiner Söhne. Damit hat er sich aber abgefunden: „Augsburg ist eine Stadt für Wohlhabende.“