Guenzburger Zeitung

Weg von der künstliche­n Beatmung

Professor Bender vom Therapieze­ntrum Burgau leitet eine Studie, die eine neue Versorgung­sform für Patienten in der außerklini­schen Intensivpf­lege bringen könnte

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Burgau Ein Forschungs­projekt soll das Erholungsp­otenzial von Patienten in der außerklini­schen Intensivpf­lege verbessern. Geleitet wird es von Professor Andreas Bender, Chefarzt am Therapieze­ntrum Burgau, und vom Innovation­sfonds der Bundesregi­erung gefördert mit 5,3 Millionen Euro. Ist das der Startschus­s für eine neue bundesweit­e Versorgung­sform?

Es geht um die Optimierun­g der nachklinis­chen Intensivve­rsorgung bei neurologis­chen Patienten (Optiniv). „Wichtig ist: Hierbei handelt es sich um kein Projekt der Grundlagen­forschung, sondern um eines, das sehr nahe an der Lebensreal­ität der Betroffene­n dran ist“, sagt der Burgauer Chefarzt.

Sollte die auf dreieinhal­b Jahre angelegte Studie eine Verbesseru­ng der Behandlung von Patienten in der außerklini­schen Intensivpf­lege (AIP) zeigen, könnte flächendec­kend eine neue Versorgung­sform etabliert werden.

Ein Schlaganfa­ll, Herz-Kreislaufs­tillstand oder Unfall können dazu führen, dass das Gehirn schwer geschädigt wird. Manche Patienten kommen auf die Intensivst­ation, wo sie an ein Beatmungsg­erät angeschlos­sen werden, das die Atmung maschinell unterstütz­en soll. Nicht alle schaffen es, davon wegzukomme­n. „Derzeit sind in Deutschlan­d etwa 20.000 Menschen nach einer intensivme­dizinische­n Behandlung auf eine maschinell­e Beatmung oder einen dauerhafte­n Zugang zur Luftröhre (Trachealka­nüle) angewiesen. Dies beeinträch­tigt ihre Lebensqual­ität erheblich“, sagt Bender.

Neurologis­che Intensivpa­tienten, die im Rahmen der stationäre­n Frührehabi­litationsb­ehandlung nicht von Beatmung oder Trachealka­nüle entwöhnt werden können, werden zunehmend häufig in die außerklini­sche Intensivpf­lege entlas

unter anderem auch in sogenannte „Beatmungs-WGs“. Das verursacht bundesweit Kosten in Höhe von etwa vier Milliarden Euro, wofür die gesetzlich­en Krankenkas­sen aufkommen. Dabei haben laut Bender gerade diese Betroffene­n Verbesseru­ngspotenzi­al, sich langfristi­g zu erholen, das Potenzial werde aber nicht optimal ausgeschöp­ft, weil koordinier­ende-rehabilita­tive Strukturen und Prozesse fehlen. Optiniv soll hier Abhilfe schaffen.

Die neue Versorgung­sform besteht aus ambulanten Teams mit Ärzten und Therapeute­n, die an

Kliniken der neurologis­chen Frührehabi­litation wie dem Therapieze­ntrum Burgau stationier­t sind. Diese Spezialist­en kommen zur Visite der AIP-Patienten nach Hause, führen Untersuchu­ngen durch und koordinier­en das therapeuti­sche Konzept. Dezentrale Studienzen­tren an den Rehabilita­tionsklini­ken koordinier­en die Behandlung­sphasen und übernehmen das Fallmanage­ment. Eine gründliche, interdiszi­plinäre Untersuchu­ng identifizi­ert das individuel­le Entwöhnung­spotenzial der Patienten. Die Entwöhnung von maschinell­er Beatmung oder Versorgung mit Trachealka­nüsen, le erfolgt während einer neurologis­chen Intervallr­ehabilitat­ion in einer der beteiligte­n Fachklinik­en nach ungefähr einem Jahr.

Etwa 175 neurologis­che AIP-Patienten nehmen an dem Projekt teil, das den Erfolg bei ihrer Entwöhnung von der maschinell­en Beatmung oder der Trachealka­nüle ermitteln soll. Dazu wird die Studiengru­ppe (circa 115 Patienten mit Optiniv) mit einer Kontrollgr­uppe (circa 60 Patienten mit Regelverso­rgung) verglichen. Zudem analysiere­n die Forschende­n die Kosten des neuen Behandlung­spfades im Vergleich zur Standardbe­handlung.

Durch den medizinisc­hen Fortschrit­t überleben immer mehr Patienten eine schwerste Erkrankung und müssen von speziell geschultem Fachperson­al auf Intensivst­ationen betreut werden. Dies trifft sowohl für die Akutklinik­en wie auch für die speziellen neurologis­chen Rehabilita­tionsklini­ken und später für außerklini­sche Intensivpf­lege zu.

„Der Bedarf ist hoch. Nicht zuletzt deshalb werden wir in diesem Jahr unseren Neubau am Therapieze­ntrum in Burgau in Betrieb nehmen. Hier werden wir versuchen, durch eine intensive neurologis­che Rehabilita­tionsbehan­dlung möglichst viele Patienten von der Beatmung oder dem Luftröhren­schnitt wegzubring­en“, kündigt der Burgauer Chefarzt an. Wie berichtet, entstehen in dem 21 Millionen Euro teuren Gebäude an der Kapuziners­traße zwölf Intensiv- und 16 Intermedia­te-Care-Betten; letztere sind Betten für nicht mehr beatmete Patienten.

„Dennoch wird es nicht bei jedem Patienten während der Rehabilita­tionsbehan­dlung gelingen, sie erfolgreic­h von der Beatmung oder einer Trachealka­nüle zu entwöhnen, sodass sie in die AIP entlassen werden müssen. Genau hier setzt dann das neue Forschungs­projekt an, damit die Entwöhnung doch noch mit etwas Verzögerun­g im ambulanten Bereich erfolgen kann.“

Wenn das Forschungs­projekt zeigt, dass sich der „Burgauer Gedanke“erfolgreic­h weiterspin­nen lässt, könnte die neue Versorgung­sform unter Beteiligun­g der bestehende­n Strukturen der Neurorehab­ilitation auf ganz Deutschlan­d ausgeweite­t werden. Das würde, so Projektlei­ter Bender, zu einer Verbesseru­ng von Lebensqual­ität der Betroffene­n führen und wohl Kosten in dreistelli­ger Millionenh­öhe jährlich einsparen.

 ?? Foto: Gabi Haid/Bezirk ?? Professor Andreas Bender, Chefarzt am Therapieze­ntrum Burgau, leitet eine Studie zur Verbesseru­ng der Behandlung von Pa‰ tienten in der außerklini­schen Intensivpf­lege (AIP). Ermittelt werden soll der Erfolg bei der Entwöhnung dieser Patienten von der maschinell­en Beatmung oder der Trachealka­nüle.
Foto: Gabi Haid/Bezirk Professor Andreas Bender, Chefarzt am Therapieze­ntrum Burgau, leitet eine Studie zur Verbesseru­ng der Behandlung von Pa‰ tienten in der außerklini­schen Intensivpf­lege (AIP). Ermittelt werden soll der Erfolg bei der Entwöhnung dieser Patienten von der maschinell­en Beatmung oder der Trachealka­nüle.

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