Trauer um die Mutter, Ärger über Klinik
Die Kinder einer 89-Jährigen sind empört darüber, dass nur zwei von ihnen die im Sterben liegende Frau besuchen durften. Wie das Krankenhaus diese Entscheidung begründet
Günzburg Das, was ihm und seinen Geschwistern vor eineinhalb Wochen widerfahren ist, wird Georg Bader nicht vergessen. Auch Tage nach dem Tod seiner Mutter beschäftigt ihn jener Nachmittag des 5. Februar. Wie sich die Kreisklinik Günzburg verhalten hat, ist und bleibt ihm unverständlich. „Das hat auch mit Würde zu tun“, sagt er.
Doch der Reihe nach: Georg Bader war an jenem Tag gerade mit dem Enkelkind in Schnuttenbach spielen, etwa zwei Minuten zu Fuß von seinem Haus entfernt. Plötzlich eilt seine Frau zu ihm. Er solle ganz schnell nach Günzburg in die Kreisklinik fahren. Seine ältere Schwester habe gerade angerufen: Die Mutter liegt im Sterben.
Bader machte sich sofort auf den Weg. Gedankenfetzen, die er heute noch nicht ordnen kann, schwirrten ihm während der Fahrt durch den Kopf. Auf dem Klinikgelände angekommen, nahm er per Handy Kontakt mit den Geschwistern auf. „Eigentlich sind wir acht. Drei davon konnten sich sofort auf den Weg machen. Wir alle wollten uns von unserer Mutter verabschieden.“
Doch so weit kam es nicht. Denn nur zwei der drei Kinder durften in die onkologische Station des Krankenhauses – eine Entscheidung der Kreisklinik. „Und das“, findet Georg Bader, „kann einfach nicht sein.“Schließlich verzichtete die jüngere Schwester auf diesen letzten
Besuch und blieb zurück. Einem weiteren Sohn der Patientin, der auch noch kommen wollte, um sich zu verabschieden, sagten die Geschwister telefonisch ab, weil es ja keinen Zweck hatte.
Die hochbetagte Mutter war bereits tot, als Tochter und Sohn in dem Patientenzimmer der Station 3 eintrafen. Zuvor mussten Besuchsscheine ausgefüllt werden, die Kinder der 89-Jährigen mussten in der Notaufnahme warten – auch weil sie sich wie jeder Besucher einem Corona-Schnelltest unterzogen. Und es dauert etwa eine Viertelstunde, bis die Resultate nach den Abstrichen feststehen.
„Ich bin mit allen Corona-Regelungen einverstanden“, sagt Bader. „Wir haben es nicht mehr rechtzeitig zu meiner Mutter geschafft, das ist dann so“, fährt der Schnuttenbacher fort und fügt hinzu: „Meine Mutter hat ein erfülltes Leben gehabt. Dass man mit 89 Jahren sterben kann – keine Frage. Doch dass nicht alle, die wollten, sie am Sterbebett besuchen durften, ist für mich nicht akzeptabel.“
Nachdem unsere Zeitung die Kreisklinik auf den Fall aufmerksam gemacht hatte, sind die Abläufe des 5. Februar noch einmal rekonstruiert worden. Klinikvorstand Dr. Volker Rehbein kann kein Fehlverhalten des zuständigen Chefarztes oder seines Teams feststellen. „Normalerweise ist aus Pandemiegründen ein Besuch eigentlich gar nicht gestattet. Natürlich gibt es auch Ausnahmen.“Und ein Mensch, der im Begriff sei, zu sterben, stelle eine solche Ausnahme dar. „Dann wird in jedem Einzelfall entschieden, wie viele Angehörige zum Patienten und in diesem Fall zu der Sterbenden dürfen.“Rehbein sagt, dass bislang im Vorfeld mit den Menschen, die dem Patienten nahe stehen, immer eine Lösung gefunden worden ist. Und so sei mit der Schwester, die als Erste den Anruf des Krankenhauses am 5. Februar erhalten habe, auch klar kommuniziert worden, „dass es nicht mehr als zwei Angehörigen erlaubt ist, der Mutter einen letzten Besuch abzustatten“.
Das räumt auch Georg Bader ein, der das von seiner Schwester auf Nachfrage eine Woche später erfahren hat. Aber das könne in einem solch hochemotionalen Moment auch einmal vergessen und nicht weitergegeben werden.
Und es ist auch nicht der Punkt für ihn, wie er wiederholt betont. „Es geht einfach nicht, in einem solchen Augenblick den Besuch zu begrenzen und Angehörige vor der Tür zu lassen“, findet er. „Die Verantwortlichen sollten zum Nachdenken kommen und das für die Zukunft anders machen“, sagt Bader, der ergänzt, dass er das Krankenhaus keineswegs schlechtmachen wolle. „Das Pflegepersonal ist nett und zuvorkommend zu uns gewesen.“
Rehbein kann den Schmerz der Betroffenen verstehen. Und er wisse, dass die Corona-Schutzmaßnahmen in einzelnen Fällen sehr große persönliche Härten bedeuteten. Gleichwohl sieht er keine Möglichkeit, in Zeiten der Pandemie anders zu reagieren. „Wir sind da schon großzügig“, sagt er.
Er verweist auf die Schnelltests für Besucher, die selbst bei einem negativen Ergebnis keine einhundertprozentige Garantie böten, dass die Getesteten tatsächlich virenfrei seien. „Zwischen zehn und 20 Prozent können da durchrutschen.“
Rehbein beschreibt mit einem Satz den wichtigsten Auftrag seines Krankenhauses im Zusammenhang mit dem Virus: „Die Lebenden zu schützen.“Die onkologische Station, in der sich die 89 Jahre alte Frau befunden habe, sei diejenige, die mit die höchste Schutzstufe habe. Dort erhielten Patienten beispielsweise Chemotherapien. Das Immunsystem der Betroffenen sei entsprechend geschwächt. „Da hätte das Virus leichtes Spiel. Viele würden innerhalb kurzer Zeit sterben. Das kann niemand wollen.“Und an die Virus-Mutation will der Klinikvorstand erst gar nicht denken. „Wenn wir die in unserem Haus hätten, wäre das eine Katastrophe“, sagt er und erwähnt andere Krankenhäuser, die sich in solchen Fällen bereits vom klinischen Versorgungssystem abgemeldet haben.
Was für den Sohn nicht akzeptabel ist