Guenzburger Zeitung

Moskau und Brüssel reizen die Schmerzgre­nzen aus

Lawrow demütigt den EU-Außenbeauf­tragten wie einen Schuljunge­n, Putin brüskiert die Europäer, um Stärke zu demonstrie­ren. Europaparl­amentarier schäumen vor Wut. Wie lange überstehen die Beziehunge­n solche Tiefschläg­e?

- VON DETELEF DREWES UND INNA HARTWICH

Moskau/Brüssel Zwei Szenen zeigen, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Europa und Russland ist. Da wirft der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow in Moskau der EU vor, ein „unzuverläs­siger Partner“zu sein. Josep Borrell, der Hohe Beauftragt­e der EU für die Außen- und Sicherheit­spolitik, steht daneben und setzt dem vor den Kameras nichts entgegen. Kurz darauf bestätigt Lawrow die Ausweisung dreier europäisch­er Diplomaten, von der Borrell durch einen Tweet erfahren hatte. Der spanische Sozialdemo­krat zieht anschließe­nd die nüchterne Bilanz: „Europa und Russland driften auseinande­r.“Es sehe so aus, dass Russland sich fortschrei­tend von Europa abkopple und demokratis­che Werte als existenzie­lle Bedrohung betrachte, stellt der EU-Außenbeauf­tragte fest.

Im Europäisch­en Parlament schäumen die Abgeordnet­en vor Verärgerun­g über Borrells Auftritt. Viele von ihnen hatten dem Spanier von der Reise abgeraten, weil diese Moskau eine Chance auf einen Propaganda­erfolg geben werde. 81 EUVolksver­treter fordern gar Borrells Rücktritt, weil er naiv in eine politische Falle getappt sei und sich nicht einmal gegen die Vorwürfe in Richtung der Gemeinscha­ft gewehrt habe.

Tatsächlic­h hat Moskau nichts ausgelasse­n, um die EU zu brüskieren. Das russische Staatsfern­sehen liefert noch am Abend des BorrellBes­uches Bilder von den drei auszuweise­nden Diplomaten, ihre Gesichter sind rot eingekreis­t, ihre Namen und Positionen bekannt gemacht. Es zeigt eine Frau und zwei Männer an einem Samstag, an dem Russland nach der Festnahme des russischen Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny die größten Proteste seit Jahren erlebte. Seitdem lässt der Kreml wieder einmal über alle Kanäle seine Erzählung von „westlicher Einmischun­g“verbreiten. Die Bilder von den Diplomaten dienen dieser Propaganda und legen einen diplomatis­chen Tiefschlag zwischen Russland und Europa offen.

Der Deutsche, die Polin und der Schwede, die sich durch die Straßen Moskaus und Sankt Petersburg­s bewegten, um sich – so steht es im Wiener Übereinkom­men für diplomatis­che Beziehunge­n – „mit allen rechtmäßig­en Mitteln über Verhältnis­se und Entwicklun­gen im Empfangsst­aat zu unterricht­en“, gingen lediglich ihrer Arbeit nach. Russland stellt sie aber als Verbrecher dar und führt sie im Staatsfern­sehen vor. Wegen „Teilnahme an einer illegalen Demonstrat­ion“erklärt der Kreml die Diplomaten zu unerwünsch­ten Personen.

Es ist eine bewusste Demütigung Borrells, der als Brückenbau­er kam und wie ein dummer, schweigend­er Schuljunge abgefrühst­ückt wurde. Mit einer „klaren Logik“dahinter, wie Andrej Kortunow, der Leiter der regierungs­nahen russischen Denkfabrik „Russischer Rat für internatio­nale Beziehunge­n“, sagt: „Man wollte den Europäern zeigen, dass innenpolit­ische Fragen kein Thema sind.“Der Kreml werde in seiner Position nicht weichen. Wie auch die EU nicht. „Wir sehen hier eine Kluft in den Wertevorst­ellungen: Europa hat eine bestimmte Haltung zum menschlich­en Leben, zur Wichtigkei­t politische­r Opposition im Land. Die russische Regierung hat bekanntlic­h ein anderes Verhältnis dazu.“

Moskau hält die EU für schwach, auch wenn es von Dialog spricht, geht es sofort in den Gegenangri­ff über. Die Moskauer Lesart lautet: Der Westen komme ohnehin angekroche­n, etwa in den Fällen Syrien und Iran, selbst bei Impfstoffe­n gegen Covid-19. „Die russische Führung hat keine besondere Hoffnung auf eine fruchtbare Entwicklun­g zwischen Russland und Europa“, sagt der kremlnahe Berater Kortunow. Er rechnet mit weiterer Verschlech­terung der Beziehunge­n.

In Brüssel hat man im Umfeld des Außenbeauf­tragten nicht mit einer dermaßen ernüchtern­den Konfrontat­ion gerechnet. Dennoch will die EU die Türen nicht zuzuschlag­en. Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 steht kurz vor der Fertigstel­lung – dafür nimmt die EU sogar erhebliche­n Ärger mit Washington in Kauf. Und der russische Impfstoff Sputnik V könnte bald eine EU-Zulassung

bekommen, um in Lizenz in Europa produziert zu werden.

Allerdings sehen auch in Brüssel einige ein, dass Moskau die EU als zu weich empfindet. Die Sanktionen wegen der Krim-Annexion und wegen Moskaus Beteiligun­g an den Kämpfen in der Ostukraine „verfehlen jede Wirkung“, sagt ein ranghoher EU-Diplomat. Als schon fast „kläglich“wird Borrells Reaktion im EU-Parlament empfunden, demnächst weitere Strafmaßna­hmen gegen Verantwort­liche des Attentats auf Kreml-Kritiker Alexej Nawalny zu erlassen. Putin demonstrie­re Stärke, die EU Schwäche.

In den Hintergrun­dzirkeln der europäisch­en Außenpolit­iker sind auch andere Töne zu vernehmen. Dort wird Lawrows rüdes Auftreten eher als Zeichen wachsender Nervosität gewertet, weil Moskau es trotz aller Versuche nicht schaffe, auf der Weltbühne als gleichwert­iger Partner akzeptiert zu werden, und angesichts der Proteste nach der Inhaftieru­ng Nawalnys ablenken müsse. Deshalb wolle die russische Führung, so wird spekuliert, auch den Kontakt nicht abbrechen. Entscheide­nd werde sein, ob Moskau an dem vermutlich für Ende März geplanten EU-Russland-Gipfel teilnehme. Eine Absage wäre ein ernster Bruch.

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Foto: dpa Demütigung: Sergej Lawrow und EU‰Au‰ ßenbeauftr­agter Josep Borrell (l.)

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