Guenzburger Zeitung

„Die Wirtschaft muss den Schaden ausbaden“

IHK-Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen erklärt, warum viele Unternehme­r von Ministerpr­äsident Söder enttäuscht sind

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Herr Lucassen, wie groß ist unter den schwäbisch­en Unternehme­rn inzwischen der Unmut über die Politik? Marc Lucassen: Die Stimmung unter den schwäbisch­en Unternehme­rn ist sehr angespannt. In den letzten Wochen ist sie noch einmal deutlich schlechter geworden. Nunmehr elf Monate Pandemie zehren an den Nerven, zumal der Lockdown und damit die zwangsweis­e Schließung vieler Geschäfte immer weiter verlängert wurde.

Aber weshalb sind manche Unternehme­r derart wütend über das Verhalten der politisch Verantwort­lichen, schließlic­h machen die Virus-Mutationen die Lage für die Politiker immer unübersich­tlicher?

Lucassen: Die tief sitzende Irritation vieler Unternehme­r über das Verhalten der Bundes- und Landesregi­erungen rührt daher, dass Teile der politisch Verantwort­lichen in den letzten Wochen nicht bereit waren, mit ihnen eine offene Diskussion zu führen. Am Dienstag gab es ja jetzt endlich ein Gespräch mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier. Die Unternehme­r wollen aber zumindest aufgezeigt bekommen, unter welchen Voraussetz­ungen wann welche Geschäfte wieder öffnen können. Ihnen geht es nicht nur darum, dass konkrete Termine genannt werden. Die Betriebsin­haber verstehen natürlich, dass die Lage durch die Virus-Mutationen unübersich­tlicher wird.

Sie kritisiere­n also auch die Bayerische Staatsregi­erung.

Lucassen: Die betroffene­n Unternehme­n kritisiere­n die Bayerische Staatsregi­erung, denn in Bayern haben sich Teile der Politik verweigert, über Öffnungssz­enarien für Geschäfte, Gaststätte­n und Hotels überhaupt zu sprechen. Aus Sicht der Unternehme­n gab es im vergangene­n Jahr in Bayern ein besseres Miteinande­r von Politik und Wirtschaft als zurzeit. Die Unternehme­n haben mit großem Engagement und Erfolg ehrgeizige Hygienekon­zepte umgesetzt. Nun entsteht aber der Eindruck, dass das Thema in die Mühlen des Bundestags­wahlkampfs geraten ist und man der Wirtschaft Gespräche über eine mögliche Öffnung von Betrieben verweigert.

Was sind das denn für wesentlich­e Teile der Politik in Bayern, die den Wünschen der Wirtschaft nach einem offenen Dialog so lange einfach nicht nachgekomm­en sind?

Lucassen: Hier richtet sich die Kritik aus Teilen der schwäbisch­en Wirtschaft an den Ministerpr­äsidenten, weil er im Gegensatz zum Wirtschaft­sminister in den vergangene­n Wochen nicht über Öffnungspe­rspektiven reden wollte. In der CSULandtag­sfraktion war mehr Gesprächsb­ereitschaf­t vorhanden. So ist in der Wirtschaft der Unmut gewachsen und die Meinung entstanden, dass die Politik ihr einen Maulkorb verpassen will. Die Verweigeru­ng eines Dialogs durch die Bayerische Staatsregi­erung war für viele jedenfalls befremdlic­h.

Hat sich die Hartleibig­keit Söders etwas gelöst?

Lucassen: Ja, es gibt nun endlich positive Signale. Hoffentlic­h ändert die Staatsregi­erung jetzt ihre Haltung und tritt mit uns in einen offenen Dialog ein. So begrüße ich es sehr, dass man sich zu Sonntagsöf­fnungen ohne Anlassbezu­g gesprächsb­ereit zeigt. Politik und Wirtschaft müssen gerade jetzt im Austausch bleiben. Dazu haben wir in den nächsten Wochen zahlreiche Termine vereinbart, bei denen sich Politik und Wirtschaft direkt über die prekäre Lage austausche­n und nach vorne denken können. Es gilt schließlic­h

beides: Ohne Gesundheit ist alles nichts, aber auch ohne Wirtschaft ist vieles nichts. Jemand muss schließlic­h das Gesundheit­ssystem finanziere­n. Der Ärger vieler Unternehme­r über das Verhalten der Politik geht aber noch tiefer.

In welchen tieferen Schichten sitzt der Zorn?

Lucassen: Viele Unternehme­r haben miterlebt, dass manches in Deutschlan­d in Corona-Zeiten nicht gut läuft: Wir hinken mit den Impfungen und den Tests hinterher. Dabei hat die Politik viel versproche­n. So hat sich bei Unternehme­rn die Meinung festgesetz­t: Die Politik hat auf Kosten der Wirtschaft wertvolle Zeit verloren und die Wirtschaft muss den Schaden nun ausbaden. Die Unternehme­n haben zum Beispiel mit der Entwicklun­g von Hygienekon­zepten geliefert. Jetzt muss die Politik liefern.

Doch auch die Industrie- und Handelskam­mern stehen unter Druck, zumal sich Unternehme­r wie in Augsburg auch über neue Organisati­onen Gehör verschaffe­n. Droht der Laden IHK auseinande­rzufallen?

Lucassen: In dieser Krise verschaffe­n sich Unternehme­r auch außerhalb der etablierte­n Wirtschaft­sverbände Gehör. Das zeigt für mich, wie weit die Polarisier­ung in Corona-Zeiten fortgeschr­itten ist. Es wird für uns als IHK immer herausford­ernder, das Gesamtinte­resse der Wirtschaft zu vertreten, zumal die Debatten zunehmend emotional geführt werden. Als Kammer versuchen wir, diese zu versachlic­hen. Und das wird uns auch gelingen. Die Kammern bleiben für die Politik der wichtigste Ansprechpa­rtner der Wirtschaft.

Dennoch: Fliegt der Laden IHK in diesen turbulente­n Corona-Zeiten irgendwann auseinande­r?

Lucassen: Ich sehe keine Gefahr für unsere IHK darin, dass sich Unternehme­r zeitweise über neue Formate Gehör verschaffe­n. Ich verstehe die Anliegen dieser Unternehme­r gut. Und wir setzen uns bei der Politik für ihre Forderunge­n vehement ein. Auch in unserer Organisati­on wird innerhalb des Ehrenamtes heftig diskutiert. Die Meinungen gehen dabei weit auseinande­r.

Unternehme­r in Augsburg befürchten, dass nach Corona etwa die Hälfte der Läden in der Innenstadt aufgibt. Kommt es wirklich so hart? Lucassen: Die Handelsges­chäfte in den Innenstädt­en sind durch die Online-Konkurrenz seit Jahren einem harten Strukturwa­ndel ausgesetzt. Nun kam Corona als Brandbesch­leuniger hinzu. Die Gefahr, dass die Innenstädt­e ausbluten könnten, ist real. Um dem entgegenzu­wirken, müssen sich viele Ladeninhab­er umstellen und ihre Waren auch über das Internet anbieten. Dass das funktionie­ren kann, zeigt in Corona-Zeiten die Click-and-Collect-Methode. Dabei bestellen Verbrauche­r im Internet und holen ihre Waren vor Ort ab. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft, Politik und Kunden, für lebendige Innenstädt­e einzustehe­n.

„Es ist die gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft, Politik und Kunden, für lebendige Innenstädt­e einzustehe­n.“

Marc Lucassen zur Zukunft der Innenstädt­e

Kommen wenigstens die staatliche­n Finanzhilf­en für Unternehme­r inzwischen schneller an?

Lucassen: Der Wille der Politik zu helfen ist groß. Kaum ein Land unterstütz­t die Wirtschaft derart großzügig wie Deutschlan­d.

Aber guter Wille allein reicht nicht. Lucassen: Sicher, zumal die Hilfen so komplex sind, dass es für die Verwaltung schwierig ist, die Gelder rasch auszuzahle­n. Aus heutiger Sicht wäre es besser gewesen, alles über die Finanzbehö­rden abzuwickel­n, die in Massenverf­ahren geübt sind. Das gilt auch deswegen, weil die verwendete Software bis heute problembeh­aftet ist. Das hat dazu geführt, dass alle Gelder mit zeitlicher Verzögerun­g ausgezahlt wurden. Dies alles war von der Politik gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht.

Noch einmal: Kommen die Gelder nun schneller an?

Lucassen: Ein Teil des Frusts der Unternehme­r, die zur Schließung ihrer Betriebe gezwungen wurden, rührt aus der zeitlichen Verzögerun­g der Auszahlung her. Tatsächlic­h sind schon große Summen ausgezahlt worden. So ist die Überbrücku­ngshilfe I zu 99,9 Prozent an die Unternehme­r gegangen und die Überbrücku­ngshilfe II zu 93,6 Prozent. Aber die restlichen 6,4 Prozent, die noch nichts bekommen haben, sind zu Recht enttäuscht und melden sich auch öffentlich kritisch zu Wort, gerade weil die Novemberhi­lfe erst zu 76,9 und die Dezemberhi­lfe erst zu 56,6 Prozent abgeflosse­n ist.

Doch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier gelobt ja Besserung, hat sich für die Pannen sogar öffentlich entschuldi­gt und zeigt sich ja jetzt betont gesprächsb­ereit.

Lucassen: Das war notwendig und richtig von ihm. Es wäre generell gut, wenn Politiker häufiger von sich aus Fehler einräumten. Das wäre ein Signal der Fairness an leidgeprüf­te Unternehme­r.

Interview: Stefan Stahl

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Foto: Martina Diemand IHK‰Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen mag seine Enttäuschu­ng über die aktuelle Politik nicht verbergen.

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