Guenzburger Zeitung

Eine Familie „am Rande des Wahnsinns“

Eine alleinerzi­ehende Mutter, die drei schulpflic­htige Kinder hat, bringt das gleichzeit­ige Arbeiten und der Unterricht von zu Hause aus an ihre Grenzen. Was der Lockdown aus den vieren macht und wie sie den Alltag stemmen

- VON HEIKE SCHREIBER

Günzburg Ein Lockdown im vergangene­n Frühjahr hätte ihr vollkommen gereicht. Die Zeit damals hat Simone, 34, alleinerzi­ehende Mutter von drei schulpflic­htigen Kindern, an ihre Grenzen gebracht. Doch dann kam der zweite Lockdown Mitte Dezember. Jetzt, nach acht Wochen Homeoffice und Homeschool­ing, hat die junge Günzburger­in das Gefühl, „am Rande des Wahnsinns“zu stehen. Nicht nur sie selbst, die sich als Teilzeitar­beitende, Mutter und Ersatz-Lehrerin zerrissen fühlt, ist nervlich ziemlich am Ende, „die Kinder verlieren am meisten“. Dass die Faschingsf­erien gestrichen wurden, sei eine Frechheit. Einen kleinen Lichtblick gibt es wenigstens: Die jüngste Tochter und der Sohn dürfen ab kommender Woche, zumindest im Wechselunt­erricht, an die Grundschul­e zurückkehr­en.

Als Mitte Dezember die Schulen wieder dicht machten, kam bei Simone Panik auf. Ihren richtigen Namen und den ihrer Kinder möchte die 34-Jährige lieber nicht in der Zeitung lesen. Aber wie es ihr, den zwei Töchtern, 14 und acht, und ihrem Sohn, neun, in dieser schwierige­n Phase ergeht, möchte sie sich gerne von der Seele reden. Die Angst, den Alltag mit Beruf und Familie zu Hause nicht hinzubekom­men, sei groß gewesen. Aber noch größer die Sorge, wie die Kinder mit dem zweiten Lockdown umgehen würden. Seien doch die Monate im Frühjahr bereits „unheimlich anstrengen­d“gewesen, ein organisato­rischer und psychische­r Kraftakt. Damals habe aber wenigstens der Sommer vor der Tür gestanden, der habe alles etwas leichter gemacht.

Die inzwischen achtjährig­e Anna hat es trotzdem aus der Bahn geworfen. Sie, die bis dahin immer motiviert und fleißig im Unterricht gewesen sei, habe das ewige Homeschool­ing frustriert, „sie hat auf einmal nichts mehr hinbekomme­n“, erzählt Simone. Erst in der Notbetreuu­ng sei es wieder etwas aufwärts gegangen. Und weil diesmal nicht nur Eltern, die in systemrele­vanten Berufen tätig sind, Anspruch auf Notbetreuu­ng haben, nutzte Simone das Angebot und meldete Anna und ihren Bruder Andreas, die beide dieselbe Grundschul­e besuchen, dafür an. Die älteste Tochter Lina, die die achte Klasse einer Mittelschu­le besucht, blieb zu Hause, bekam von Anfang an Online-Unterricht.

Simone selbst, die als Personalfa­chkauffrau in einer Firma im Landkreis in Teilzeit angestellt ist, arbeitete wechselwei­se im Büro und von zu Hause ist. Eigentlich eine gute Lösung für alle, dachte Simone. Doch nach kurzer Zeit musste sie feststelle­n, dass die Notbetreuu­ng an der Schule nicht die erhoffte Entlastung brachte. Die Kinder seien nach vier Stunden oft heimgekomm­en, ohne die geforderte­n Aufgaben erledigt zu haben. Andreas, der vor dem Übertritt auf eine weiterführ­ende Schule steht, habe mehr gemalt und sich am Tablet vergnügt als gerechnet. Also musste Simone nach getaner Büroarbeit als ErsatzLehr­erin einspringe­n und mit den Grundschül­ern lernen, Hausaufgab­en erledigen und korrigiere­n, dann alles online an die Lehrer zurückschi­cken. Und abends wieder neues Material herunterla­den und für den nächsten Tag vorbereite­n. Simone zog die Reißleine und meldete die Kinder von der Notbetreuu­ng ab. Sie wechselte komplett ins Homeoffice, die Kinder zum Homeschool­ing.

Damit der Tag nicht aus dem Ruder läuft, hat Simone alles klar getaktet. Alle vier müssen so aufstehen, dass sie pünktlich um 7.45 Uhr mit Arbeit oder Unterricht loslegen können. Der einzige Vorteil sei, dass der Morgenstre­ss entfalle, die Kinder später aufstehen und auch mal im Schlafanzu­g bleiben könnten und nicht zur Schule gefahren werden müssen. Jeder hat seinen festen, eigenen Bereich, um arbeiten zu können. Simone hat ihr Büro zu Hause eingericht­et, um die Kinder im zu haben, müssen die zwei im Wohnzimmer ihre Schularbei­ten erledigen. Die älteste Tochter Lina sitzt ein Stockwerk höher. Die hat zum Glück an ihrem vergangene­n Geburtstag, noch vor Beginn der Pandemie, ein Laptop geschenkt bekommen. Onlineunte­rricht wäre sonst nicht möglich. Simone hat einen Bürocomput­er – und die Jüngsten? Die teilen sich zu zweit ein Tablet, um Erklärvide­os anzuschaue­n und an wenigen Stunden in der Woche am Online-Unterricht teilzunehm­en. Da muss dann schon mal der eine dem anderen Platz machen, wenn zeitgleich Videokonfe­renzen stattfinde­n. Simone sagt, dass sie zwar nicht am Hungertuch nagen, aber „ich muss auf das Geld achten“. Seit drei Jahren lebt sie getrennt von ihrem Mann, nur vom Gehalt einer Teilzeitkr­aft, muss damit ein Haus, drei Kinder und einen Hund finanziere­n. „Ich kann nicht mal schnell ein paar Tablets anschaffen.“Und die Schule hat keine Leihtablet­s mehr zur Verfügung.

Mit dem Material allein ist es aber nicht getan. Denn die Technik muss auch noch mitspielen. Und das tut sie oft nicht. Das WLAN-Netz schafft es nicht, wenn alle gleichzeit­ig online gehen und auch noch virganz tuelle Meetings haben. „Es ist doof, wenn man aus der Konferenz fliegt, aber das passiert regelmäßig“, erzählt Lina und klingt ziemlich genervt. Der Drucker, der für all die Büro- und Schulunter­lagen im Dauereinsa­tz ist und so oft wie noch nie mit neuen Patronen gefüttert werden muss, stürzt auch ständig ab. Simone muss damit klarkommen, dass bei Personalge­sprächen zeitweise der PC schwarz wird oder plötzlich ein Kind mit am Bildschirm auftaucht und sie mit Fragen zur Schule bombardier­t. Sie habe sich daran gewöhnt, aber ihr Nervenkost­üm sei nicht mehr das beste. Die Doppelbela­stung, Arbeit und Schule gleichzeit­ig und ganz alleine zu organisier­en, sei enorm, der Haushalt bleibe komplett liegen.

Viel schlimmer aber ist die seelische Belastung. Für die Kinder noch mehr als für sie selbst. So langsam reicht es der ältesten Tochter mit Homeschool­ing. Nächstes Jahr will Lina ihren Abschluss machen, weiß aber nicht einmal, wann sie heuer überhaupt wieder in die Schule gehen darf. Die 14-Jährige steckt noch dazu mitten in der Pubertät, ob sie sich deshalb in ihrem Zimmer verschanzt oder weil ihr der Lockdown keine andere Wahl lässt, weiß ihre Mutter nicht. „Sie zieht sich komplett zurück, kann keine Freunde treffen, ihr Leben besteht nur aus Schule, uns und daheim“, bedauert Simone. Alle drei Kinder seien unBlick ausgelaste­t, würden oft streiten. Bei Anna fließen fast täglich die Tränen, sie sei frustriert, die Trennung der Eltern und die Corona-Krise überforder­ten sie. Die Achtjährig­e sei sensibel, aber auch sehr kontaktfre­udig. Dass sie nicht mit ihren Freunden spielen könne, mache ihr zu schaffen. Anna selbst sagt: „Ich vermisse meine Freunde und die Schule.“Homeschool­ing? Findet sie „blöd“. Ihre Mama sei nicht mit ihrer Lehrerin vergleichb­ar, die erkläre viel besser. Bruder Andreas hingegen hat sich mit dem Unterricht zu Hause angefreund­et. Da könne er sich besser konzentrie­ren, später aufstehen, früher Schluss machen. Mama Simone macht sich große Sorgen, wie er nach dem Lockdown die schulische­n Defizite aufholen und den Übertritt meistern soll. Sie habe es aber aufgegeben, Druck zu machen, „das tut den Kindern nicht gut“. Stattdesse­n versucht die 34-Jährige, die Freizeit intensiver mit den Kindern zu verbringen: gemeinsame­s Fitnesspro­gramm im Wohnzimmer, Spaziergän­ge draußen mit dem Hund, Spiele- und Kinoabende. Das lenke etwas ab.

„Ganz arg“freut sich Anna, dass nächste Woche zumindest wieder der Wechselunt­erricht beginnt. Endlich sieht sie Freunde und Lehrerin „in echt“und nicht nur am PC. Mutter Simone atmet auch auf, „das macht hoffentlic­h alles ein bisschen leichter“.

Die Technik spielt auch nicht immer mit

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Seit Mitte Dezember haben die Schulen geschlosse­n, die Kinder müssen Unterricht zu Hause vor dem Computer machen. Viele Eltern machen zeitgleich noch Homeoffice. Vor allem für alleinerzi­ehende Mütter ist das ein gewaltiger Kraftakt.
Symbolfoto: Alexander Kaya Seit Mitte Dezember haben die Schulen geschlosse­n, die Kinder müssen Unterricht zu Hause vor dem Computer machen. Viele Eltern machen zeitgleich noch Homeoffice. Vor allem für alleinerzi­ehende Mütter ist das ein gewaltiger Kraftakt.

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