Beamte an die Corona-Front?
Leitartikel Auf die Staatsdiener einzuschlagen, ist genauso unfair wie unberechtigt. Doch eins stimmt: In dieser Staatskrise sollte der Staat mehr auf seine Beamten bauen
Dass wir einander viel verzeihen werden müssen, ist der Satz dieser Corona-Krise. Das gilt auch für uns Journalisten. Sie, liebe Leserinnen und Leser, müssen uns gelegentlich verzeihen, dass unsere Kritik an Maßnahmen der Corona-Politik oft nicht jedem Einzelnen gerecht wird. Wenn wir einen allgemeinen Missstand beklagen, können wir damit aber trotzdem richtig liegen, selbst wenn es konkret Ausnahmen gibt.
Vor kurzem hat der Autor dieses Leitartikels in einem Kommentar kritisiert, noch immer hake die Corona-Bekämpfung in den Gesundheitsämtern, etwa weil dort die digitale Vernetzung fehle oder Zahlen am oft arbeitsfreien Wochenende nicht immer gleich übermittelt würden. Darauf kamen wütende Zuschriften, auch von Mitarbeitern aus Gesundheitsämtern, bei ihnen laufe dieses, jenes, alles sehr gut, der Einsatz sei ohnehin beeindruckend, auch am Wochenende. Das würde ich in jedem einzelnen Fall niemals in Abrede stellen. Dennoch bleibt allgemein richtig, dass nach wie vor keineswegs alle deutschen Gesundheitsämter einheitliche Software nutzen und Infektionsmeldungen oft noch schwierig sind, auch wegen Personalmangel am Wochenende ....
Ähnlich nuanciert sollte der aktuelle Blick auf unsere Beamtenschaft ausehen, ein anderes Reizthema. Beamte stehen in einem besonderen Treueverhältnis zu unserem Staat. Das generiert für sie besonderen Schutz, etwa vor dem Jobverlust. Es generiert aber auch besondere Pflichten, diesem Staat zu dienen – besonders, wenn er an seine Grenzen stößt, wie in der aktuellen Corona-Krise.
Auch hier gilt: natürlich gibt es ganze Amtsabteilungen, die versetzt worden sind, nun als Impfhelfer wirken, als Kontaktnachverfolger, als wackere Klinikassistenten. Viele Soldaten verteidigen gerade nicht das Land, sondern schieben in
Gesundheitsämtern und Pflegeheimen Dienst. Und doch: Verglichen mit der Schwere unserer Krise wirkt die Beamten-„Mobilmachung“eher halbherzig. Kanzlerin Angela Merkel hat, zu Recht, von der größten Herausforderung für unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Man muss deswegen nicht gleich schreien „Beamte an die Front“, wie es ein Kollege vom Stern soeben tat – und danach fragte: „Welche Hebel würden wir im Krieg in Bewegung setzen, um Blutvergießen zu verhindern? Bundestag und Bundesrat hätten längst den Verteidigungsfall festgestellt, die Bundeswehr ihre Reservisten einbezogen. Der Staatsapparat würde alle nicht kriegsrelevanten Aufgaben hintanstellen.“
Der Vergleich hinkt, natürlich, doch eins stimmt: Während der Staat seinen Bürgern absolutes Krisen-Mitmachen
abverlangt, verlangt er seinen eigenen Dienern nicht unbedingt alles ab. Noch immer arbeiten etliche Behörden weitgehend normal, obwohl sie derzeit sehr viel weniger zu tun haben – die Flugsicherung fiel dem Stern-Kollegen ein, oder das Bundesamt für offene Vermögensverhältnisse, auch jene Polizisten, die keine Bundesligaspiele mehr bewachen. Ist nicht zudem eine durchaus berechtigte Frage, ob Lehrer zum Nachholen von Schulausfall am Wochenende unterrichten sollten? Schließlich brauchen wir buchstäblich jede Frau, jeden Mann, um mehr zu testen, um mehr zu impfen, um Senioren besser zu schützen, mehr Schulbusse anzubieten, etc., etc ....
Noch einmal: es geht nicht um Beamten-Schelte. Es geht um den Gleichklang von politischer Rhetorik und politischem Handeln. Der wird schief, wenn der Eindruck entsteht, nicht alle stünden gleich im Krisen-Fokus. Dass Beamte vieles „schaffen“, haben sie in zig Krisen bewiesen, zuletzt in der Flüchtlingskrise. Die Politik könnte sie ruhig mehr schaffen lassen.
Beamte können so viel „schaffen“