Auch samstags in die Schule?
Mehrere Politiker schlagen vor, dass Schüler und Lehrer am Wochenende arbeiten sollen. Eltern und Lehrkräfte in Bayern haben eine klare Meinung zu dieser Idee
Augsburg Bis vor rund 50 Jahren war an Bayerns Schulen die Sechs-TageWoche selbstverständlich. Zumindest an einigen Samstagen im Monat saßen Schüler im Klassenzimmer. Nur sonntags hatten Kinder und Lehrer frei. Angesichts des verlorenen Stoffs aus der Corona-Krise bringen Politiker verschiedener Couleur den Samstagsunterricht jetzt wieder ins Gespräch. Zudem sollten Lehrer auch in den Ferien arbeiten, um Verpasstes wieder aufzuholen. Unter anderem die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding schlug in der Bild vor, mit „Zusatzstunden am Nachmittag oder Samstag“Lücken zu schließen. Der fränkische Pädagoge Josef Kraus, bis 2017 Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands, fordert konkret: „Die Kultusminister sollten für das Sommerhalbjahr Samstagsunterricht festlegen und die Prüfungen 2021 ganz an das Ende des Schuljahres oder in die ersten Tage der Sommerferien verschieben.“
Im Freistaat kommt diese Idee absolut nicht an. Heinz-Peter Meidinger, Kraus’ Nachfolger beim Lehrerverband, sagt ganz klar: „Der Vorschlag ist von Anfang bis Ende nicht durchdacht. Bei solchen Vorschlägen wird man das Gefühl nicht los, dass sich der ein oder andere Urheber solcher Ideen weit von der Schulrealität entfernt hat.“
Im Moment bewege sich die Belastung von Lehrkräften, Eltern und
Schülern am Anschlag. „Da jetzt noch Samstagsunterricht draufzupacken, ist für Schüler und Eltern, die dann auch noch am Wochenende Hilfslehrkräfte spielen sollen, unzumutbar.“
Dass Schüler dieses Jahr Wissenslücken anhäufen, darin sind sich Bildungsexperten einig. In einer Forsa-Umfrage sagt jeder zehnte Lehrer in Deutschland, nahezu all seine Schüler hätten Lernrückstände. Jeder dritte sieht mehr als die Hälfte hinterherhinken. Der Pisa-Chef Andreas Schleicher warnte kürzlich in unserer Zeitung, dass gerade Kinder aus sozial schwächerem Umfeld „zurückgeworfen“werden. Zusätzlicher Samstagsunterricht ändere daran nichts, sagt Lehrerpräsident Meidinger. „Die Schülerinnen und Schüler, die wir während des letzten und des aktuellen Lockdowns im Distanzlernen nicht oder kaum erreichen, die erreichen wir auch am Samstag nicht.“
Auch die Vertreter der bayerischen Eltern wehren sich gegen die Sechs-Tage-Woche – und genauso gegen einen weiteren Vorschlag, den der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger aus München vorbringt. Der gelernte Mediziner hatte im Oktober mit seiner Idee Aufsehen erregt, die Weihnachtsferien „um bis zu vier Wochen“zu verlängern. Sommerferien im Winter sozusagen. Am Ende hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Ferien immerhin um vier Tage ausgedehnt. Schon damals hatte Pilsinger analog vorgeschlagen, andere
Ferien als Ausgleich zu verkürzen. Das will er immer noch. „Ich bin der Meinung, dass die Osterferien für alle um eine Woche verkürzt werden sollten und Schüler, die größere Wissenslücken haben, eine Woche zusätzlichen Unterricht am Anfang der Sommerferien erhalten sollten“, sagte Pilsinger auf Anfrage. Lehrer sollten diese Aufgabe freiwillig übernehmen können – und besonders honoriert werden.
Aber, das wird in der aktuellen Debatte oft vergessen, auch Lehrer haben häufig Familie – und müssen ihre eigenen Kinder beim Lernen unterstützen und betreuen. Von den 799000 Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland hat fast jeder zweite Kinder im Haushalt. Bei 39 Prozent sind die Kinder unter 16 Jahren, wie eine Recherche der Allgäuer Linken-Abgeordneten Susanne Ferschl beim Statistischen Bundesamt zeigt. „Gerade unter den Belastungen der Pandemie ist Erholung und Freizeit mit der Familie wichtig. Dafür sind Ferien und das Wochenende für Schüler, Eltern und Lehrer da. Wer den Lehrstoff mit der Brechstange durchzusetzen versucht, hat kein Konzept von Bildung und keine Ahnung von der aktuell für alle belastenden Situation“, sagt Ferschl.
Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Elternverbands in Bayern, sieht das ähnlich. Sie hält nichts davon, ständig Ferien ausfallen zu lassen. „Schon der Ausfall der Faschingsferien ist ein Problem, weil viele Kinder und Eltern am
Ende ihrer Kraft sind.“Sie findet es sinnvoller, dass die Lehre sich jetzt auf die wichtigsten Kernkompetenzen beschränkt. Für Kinder, die vor dem Übertritt von der vierten Klasse in eine weiterführende Schule stehen, kann die Elternsprecherin aus Stadtbergen im Kreis Augsburg sich aber „freiwillige Angebote in den Ferien“vorstellen.
„Wenn das Lernen, egal ob in der Schule oder zu Hause, ,durchgedrückt‘ werden muss“, sagt Paede, „sinkt die Motivation der Kinder weiter ab und der Stress in den Familien steigt an.“Deshalb sei ihr Verband gegen eine Ferienverkürzung – „und gegen Samstagsunterricht erst recht“!