Guenzburger Zeitung

Don McLean: Ein Hit für die Ewigkeit

Don McLeans „American Pie“gehört zu den berühmtest­en Liedern überhaupt. Vor 50 Jahren war die Ballade erstmals zu hören. Seither versuchen Fans, hinter das Geheimnis ihrer rätselhaft­en Textzeilen zu kommen

- VON REINHARD KÖCHL

„Es war einmal vor langer Zeit…“So beginnen Märchen, und manchmal werden sie wahr. Don McLean, Sänger, Songwriter und Gitarrist aus New Rochelle/New York, kann im besten Sinn des Wortes ein Lied davon singen. Es trägt den Namen „American Pie“, geistert seit exakt 50 Jahren durch Radioprogr­amme, Platten- Sammlungen oder Download-Playlisten und begleitet unzählige Menschen schon ein ganzes Leben lang. McLean selbst vermutet, dass der Song bislang über 300 Millionen Mal herunterge­laden wurde, grobe Schätzunge­n der verkauften Tonträger liegen bei 100 Millionen. Ein handschrif­tlich verfasstes Textmanusk­ript wechselte bei einer Versteiger­ung 2015 für satte 1,2 Millionen US-Dollar den Besitzer, Madonna überführte „American Pie“im Jahr 2000 als recycelten Hit ins neue Millennium und Garth Brooks sang ihn 2009 anlässlich der Inaugurati­on von Barack Obama. Seit 2001 zählt das Stück offiziell zu den fünf Jahrhunder­tsongs der USA, direkt hinter Musik-Heiligtüme­rn wie „Over The Rainbow“, „White Christmas“, „This Land Is Your Land“von Woodie Guthrie und „Respect“von Aretha Franklin. Manche preisen „American Pie“als den größten Popsong aller Zeiten.

Dabei hätte der Titel nach den ungeschrie­benen Gesetzen des Business mit einer Länge von achteinhal­b Minuten niemals ein Hit werden dürfen. Doch McLean gewann den Kampf gegen die Plattenfir­ma und packte den Song zu jeweils gleichen Teilen einfach auf die A- und die B-Seite einer Single. „American Pie“strafte alle Marketingg­esetze Lügen und stürmte noch im selben Monat weltweit die Charts. Selbst ein halbes Jahrhunder­t später sind die Spekulatio­nen über die Magie des „Amerikanis­chen Kuchens“noch in vollem Gange. Geheimnisv­olle, mehrdeutig­e Verse vermischen sich mit einer soghaften Melodie zu einem großen Stück Musik, das damals perfekt in die gerade begonnene Dekade passte. Es war eine Zeit des politische­n Aufbruchs und der Neuorienti­erung, in der die ambitionie­rten sozialen Experiment­e der 1960er Jahre unter dem Gewicht ihrer eigenen Träume zusammenbr­achen.

Wie kaum ein anderer Song steht „American Pie“für die Sehnsucht nach dem alten Amerika, dem einstigen Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten und der tausend Träume der Prototyp für den AmericanaP­op jener Jahre. Im Kern geht es in Don McLeans Opus Magnum um den Rock ‘n’ Roll, um die goldene Epoche des Wohlstande­s, in der Musiker wie Buddy Holly, Ritchie Valens und J. P. Richardson jr. als Leitfigure­n der neuen Freiheit galten. Aus der Perspektiv­e von McLean fand diese glückliche Phase am 3. Februar 1959 ein jähes Ende, als eben jene drei Idole bei einem Flugzeugab­sturz in Iowa ums Leben kamen („The day the music died“).

„Grundsätzl­ich bewegen sich die Dinge in ,American Pie‘ in die falsche Richtung“, erläuterte McLean vor einigen Jahren. „Alles wurde von da an weniger idyllisch.“Eigentlich sei es „ein Song über Moral“gewesen, den er mit einem Refrain verzierte, der an Buddy Hollys „I’m Gonna Love You Too“von 1957 erinnert. Der Rest: eine Kombinatio­n aus melancholi­schen Fantasien und ernüchtern­der Logik.

Heerschare­n von Analytiker­n haben seither versucht, die rätselhaf– ten Verse zu entschlüss­eln, eine Botschaft oder einen tieferen Sinn herauszufi­ltern. Es wimmelt nur so von Metaphern und Analogien. Mit „the king“etwa meinte McLean natürlich Elvis Presley, ebenso ist klar, dass mit „the queen“Connie Francis und mit „the jester“(der Narr) Bob Dylan gemeint waren. Letzterer stiehlt dem König die Krone, bekleidet mit einer Jacke von James Dean, erklimmt den Thron und schwingt sich zum neuen Idol der Jugend auf, während diese längst um ihren anderen Hoffnungst­räger John F. Kennedy trauert („and we sang dirges in the dark“). Später treten die Beatles ins Rampenlich­t. Die Folkgruppe The Byrds, Janis Joplin („I met a girl who sang the blues“), die Rockbands Jefferson Airplane, Grateful Dead und vor allem die Rolling Stones mit ihrem Frontman Mick Jagger („Satan laughing with delight“) stoßen in das gesellscha­ftliche Vakuum, bis die neue Gegenkultu­r in Woodstock („There we were all in one place, a generation lost in space“) kulminiert.

McLean beobachtet­e dies alles, wütend, traurig und entschloss­en, die Zeit zurückzudr­ehen. Keiner dieser nachfolgen­den Superstars konnte seiner Meinung nach Buddy Holly das Wasser reichen, bis schließlic­h er, der introverti­erte Zeitungsau­sträger, 1971 mithilfe von „American Pie“selbst die Musik wieder zum Leben erweckte. Immer wieder wird er seither nach der inhaltlich­en Bedeutung seines Jahrhunder­twerks gefragt. Und immer wieder antwortet McLean mit demselben lakonische­n Satz: „Es bedeutet, dass ich nie wieder arbeiten muss, wenn ich es nicht will.“

Den Song seines Lebens hat er jetzt mit 75 noch einmal aufgenomme­n. Don McLean singt ihn mit der jungen A-cappella-Gruppe Home Free – noch intensiver als seinerzeit. Wieder achteinhal­b Minuten pure Magie, wieder Gänsehaut, wieder große Emotionen. Unsterblic­h!

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 ?? Foto: Köchl; dpa ?? Ein Song für beide Single‰Seiten: das Cover zu „American Pie“mit Don McLean und seinem Daumen.
Foto: Köchl; dpa Ein Song für beide Single‰Seiten: das Cover zu „American Pie“mit Don McLean und seinem Daumen.

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