Guenzburger Zeitung

Sind die Kirchen zu leise in der Pandemie?

Evangelisc­he und katholisch­e Amts- und Würdenträg­er aus unserer Region berichten über die großen Herausford­erungen der Pandemie und die Kritik, sie nähmen staatliche Vorgaben allzu klaglos hin

- Protokolle: Daniel Wirsching

Mona Böhm, 31, Pfarrerin der evangelisc­h-lutherisch­en Kirchengem­einde Obergünzbu­rg im Ostallgäu.

Ich kann mit der Kritik, die Kirche sei vor allem zu Beginn der CoronaPand­emie zu leise gewesen, schon etwas anfangen. Auch ich war erst einmal überforder­t und habe ein paar Wochen gebraucht, um mich zu sortieren. Andere Pfarrerinn­en und Pfarrer hatten schneller Konzepte zur Hand. Für mich waren die Folgen der Pandemie wirklich ein Schock. Und dann gab es auch keine Gottesdien­ste mehr in gewohnter Form! Ich bin erst seit März 2019 Pfarrerin hier und betreue mehrere kleinere Orte und Marktgemei­nden. Ich will nahe bei den Menschen sein und bin viel im Auto unterwegs. Zumindest das mit dem Unterwegss­ein hat sich für mich nicht geändert. Ich habe festgestel­lt, dass sich viele Menschen meiner Gemeinde nach direktem Kontakt sehnen. Und da ducke ich mich, da duckt sich die Kirche nicht weg – so schwierig es angesichts von Abstandsre­gelungen und Hygienemaß­nahmen auch ist. Ich würde sagen: Kirche ist nicht weg, sie ist nur anders.

Notker Wolf, 80, früherer Abtprimas des Benediktin­erordens. Der katholisch­e Ordensmann lebt in der Erzabtei St. Ottilien im oberbayeri­schen Landkreis Landsberg am Lech.

Das Christentu­m hat sich in dieser Pandemie doch von seiner besten Seite gezeigt! Weil viele Geistliche und Ehrenamtli­che anderen Menschen beigestand­en sind. Ich selbst habe unzählige Anrufe gemacht – aber das ist eben etwas, das man in der Öffentlich­keit nicht so wahrnimmt, das nicht spektakulä­r ist. Was mich stört, ist diese Angstmache­rei. Jeden Tag hört man neue Inzidenzwe­rte oder nun auch noch von Mutanten. Ich finde, durch diese Angstmache­rei wird alles auch einfach so angenommen an Maßnahmen. In Berlin tagt das Schattenka­binett der Virologen! Sicher, man darf Corona nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber wissen Sie, was mein Vater immer gesagt hat? „Seit einer das Sterben erfunden hat, ist man seines Lebens nicht mehr sicher.“Das Leben ist und bleibt ein Risiko. Dennoch bin ich vorsichtig und halte mich viel im Kloster auf. Ich gehe jeden Tag spazieren. Und ich lerne eine neue Sprache: Arabisch.

Ingrid Rehner, 49, Pfarrerin der Evangelisc­hen Bethlehemg­emeinde Wertingen (Kreis Dillingen an der Donau) und Klinikseel­sorgerin.

Ich selbst habe keine Corona-Patienten im Seniorenhe­im oder Krankenhau­s begleitet. Ich hätte aber keine Scheu. Ich bin ausgebilde­te Kinderkran­kenschwest­er, ich weiß, wie man mit Schutzanzu­g, Handschuhe­n, Maske umgeht. Ich habe allerdings von vielen tragischen Geschichte­n gehört, bei denen Angehörige nicht mehr oder nicht mehr so, wie sie es sich gewünscht hätten, Abschied nehmen konnten. Es kam zum Beispiel vor, dass sie nur in den letzten Lebensminu­ten nochmals zu der oder dem Sterbenden gelassen wurden. Vielen hat das nicht gereicht. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an einen Sohn, der unbedingt zu seiner im Sterben liegenden Mutter wollte. Er hat sich dann tatsächlic­h bei ihr mit Corona angesteckt. Das Risiko nahm er in Kauf. Auf der anderen Seite gab es Angehörige, die sich nicht in die Nähe ihrer sterbenden Familienmi­tglieder trauten und die das später bereuten.

Ob die Kirche, ob ich bei diesem Thema kritischer hätte sein müssen und lauter? Ich denke: In einer Krise sucht man immer aktuell nach dem richtigen Weg. Zurückhalt­ung war in dieser oft unübersich­tlichen Lage sicher grundsätzl­ich angebracht, gerade die Kirche steht ja stets im Verdacht, zu schnell mit Antworten zu sein. Ich kann auf jeden Fall sagen: Jeder hat in der jeweiligen Phase der

und in der jeweiligen Situation versucht, so gut es geht zu helfen. Wir als Kirche haben uns da viele Gedanken gemacht und auch gute Wege gefunden.

Teresa Jetschina, 29, und Norbert Harner, 44, Diözesanvo­rsitzende des Bundes der Deutschen Katholisch­en Jugend (BDKJ) aus Augsburg.

Wir halten die vergangene­n Monate nicht für verlorene Monate für die Jugend. Wir möchten auch lieber einmal den Blick darauf lenken, was trotz Corona alles möglich war – oder von der Pandemie beschleuni­gt wurde. Wir, als Dachverban­d katholisch­er Jugendverb­ände und -organisati­onen, haben zum Beispiel digital massiv aufgeholt. Sicher werden wir manches beibehalte­n, zum Beispiel digitale Gremiensit­zungen. Aber klar: Jugend- und Bildungsar­beit lebt von der Nähe, und die war kaum möglich. Wir hoffen sehr darauf, dass es in diesem Jahr wieder Zeltlager oder Sommerfrei­zeiten geben kann. Die Gefahr ist, dass hier eine Tradition wegbricht, oder dass wir neue Jugendlich­e nicht mehr erreichen. Die Kritik an der katholisch­en Kirche, sie hätte sich nicht laut genug in der Corona-Krise zu Wort gemeldet, teilen wir nicht. In diese Kritik mischt sich sicher auch, dass die Kirche öffentlich unter Beobachtun­g steht wegen ihrer Skandale. Sie kann es im Moment vielen nur schwer recht machen.

Jens Colditz, 56, Rektor der Evangelisc­hen Diakonisse­nanstalt (diako) Augsburg und Theologe.

Das „diako“besteht aus Alten- und Pflegeheim, Stadtklini­k, Schul-, Hotel- und Tagungszen­trum. In allen Bereichen wollen wir seelsorger­liche Zuwendung zu den Menschen bringen. Besonders in Krisenzeit­en zeigt sich, wie existenzie­ll bedeutend das ist. Übrigens genauso für unsere 650 Mitarbeite­r: Sie brauchen viel Kraft für ihren Dienst. Die Diakonisse­n, eine evangelisc­he Schwestern­gemeinscha­ft, stärken uns mit ihrem Gebet. Ich kann nur sagen: Wir versuchen, das Menschenmö­gliche zu tun, bei höchstmögl­ichen Sicherheit­svorkehrun­gen. Niemand soll bei uns einsam sterben müssen. Mit unserer Arbeit zeigen wir die gesellscha­ftliche Systemrele­vanz der Diakonie. Wir hatten ja bereits im Altenheim CoronaFäll­e – und wir haben uns selbstvers­tändlich der Versorgung von Covid-19-Patienten auf einer speziell eingericht­eten Station unserer KliPandemi­e nik gewidmet. Als sogenannte­s Überlaufkr­ankenhaus haben wir mehr als 80 Prozent der Patienten auf unserer Corona-Station aus benachbart­en Kliniken aufgenomme­n. Diese werden dadurch entlastet.

Erwin Reichart, 67, katholisch­er Priester und Wallfahrts­direktor des Wallfahrts­ortes Maria Vesperbild in Ziemetshau­sen im Kreis Günzburg. Für mich waren die letzten Monate unheimlich stressig, was auch an den Vorschrift­en lag, die wir natürlich einhalten müssen. In der Praxis war das oftmals gar nicht so einfach. Ich fühlte mich manchmal wie ein Polizist, der auf die Einhaltung von Regeln achtgeben muss. Aber ich bin doch Seelsorger! Wir müssen die Menschen schützen, aber doch auch menschlich bleiben. An Mariä Himmelfahr­t Mitte August waren dann 500 Pilger genehmigt, um an unserer Mariengrot­te Marias leibliche Aufnahme in den Himmel zu feiern. Sonst sind es mehrere Tausend. Das hat schon wehgetan. Ich fürchte ohnehin, dass die Gotteshäus­er nach Corona noch leerer sein werden, weil sich die Menschen daran gewöhnt haben könnten, auf Gottesdien­stbesuche zu verzichten. Ich fühle mich da in gewisser Weise machtlos. An den Vorwürfen gegenüber der Kirche, sie habe kritiklos staatliche Vorgaben übernommen, ist was dran. Hinterher weiß man aber immer vieles besser. Aus heutiger Sicht hätte man zum Beispiel an Ostern Gottesdien­ste in Kirchen feiern können. Was ich vor allem kritisiere, ist: Wir haben zu wenig deutlich gemacht, dass gerade in Notzeiten Gott für uns alle da ist; dass Gottesdien­st und Gebet eine Wirkung haben. Das hätten wir nach vorne stellen müssen. Stattdesse­n entstand der Eindruck, die Kirche habe nichts anzubieten.

 ?? Fotos: Wild; Böhm; Rehner; Harner; Fraunhofer; Bauer; Michael, Schindler/dpa ?? Kirche – Lichtblick in dunklen Zeiten?
Fotos: Wild; Böhm; Rehner; Harner; Fraunhofer; Bauer; Michael, Schindler/dpa Kirche – Lichtblick in dunklen Zeiten?
 ??  ?? Für Gottesdien­ste gilt: Abstand halten.
Für Gottesdien­ste gilt: Abstand halten.
 ??  ?? Norbert Harner
Norbert Harner
 ??  ?? Teresa Jetschina
Teresa Jetschina
 ??  ?? Jens Colditz
Jens Colditz
 ??  ?? Notker Wolf
Notker Wolf
 ??  ?? Mona Böhm
Mona Böhm
 ??  ?? Erwin Reichart
Erwin Reichart
 ??  ?? Ingrid Rehner
Ingrid Rehner

Newspapers in German

Newspapers from Germany