Sind die Kirchen zu leise in der Pandemie?
Evangelische und katholische Amts- und Würdenträger aus unserer Region berichten über die großen Herausforderungen der Pandemie und die Kritik, sie nähmen staatliche Vorgaben allzu klaglos hin
Mona Böhm, 31, Pfarrerin der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Obergünzburg im Ostallgäu.
Ich kann mit der Kritik, die Kirche sei vor allem zu Beginn der CoronaPandemie zu leise gewesen, schon etwas anfangen. Auch ich war erst einmal überfordert und habe ein paar Wochen gebraucht, um mich zu sortieren. Andere Pfarrerinnen und Pfarrer hatten schneller Konzepte zur Hand. Für mich waren die Folgen der Pandemie wirklich ein Schock. Und dann gab es auch keine Gottesdienste mehr in gewohnter Form! Ich bin erst seit März 2019 Pfarrerin hier und betreue mehrere kleinere Orte und Marktgemeinden. Ich will nahe bei den Menschen sein und bin viel im Auto unterwegs. Zumindest das mit dem Unterwegssein hat sich für mich nicht geändert. Ich habe festgestellt, dass sich viele Menschen meiner Gemeinde nach direktem Kontakt sehnen. Und da ducke ich mich, da duckt sich die Kirche nicht weg – so schwierig es angesichts von Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen auch ist. Ich würde sagen: Kirche ist nicht weg, sie ist nur anders.
Notker Wolf, 80, früherer Abtprimas des Benediktinerordens. Der katholische Ordensmann lebt in der Erzabtei St. Ottilien im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech.
Das Christentum hat sich in dieser Pandemie doch von seiner besten Seite gezeigt! Weil viele Geistliche und Ehrenamtliche anderen Menschen beigestanden sind. Ich selbst habe unzählige Anrufe gemacht – aber das ist eben etwas, das man in der Öffentlichkeit nicht so wahrnimmt, das nicht spektakulär ist. Was mich stört, ist diese Angstmacherei. Jeden Tag hört man neue Inzidenzwerte oder nun auch noch von Mutanten. Ich finde, durch diese Angstmacherei wird alles auch einfach so angenommen an Maßnahmen. In Berlin tagt das Schattenkabinett der Virologen! Sicher, man darf Corona nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber wissen Sie, was mein Vater immer gesagt hat? „Seit einer das Sterben erfunden hat, ist man seines Lebens nicht mehr sicher.“Das Leben ist und bleibt ein Risiko. Dennoch bin ich vorsichtig und halte mich viel im Kloster auf. Ich gehe jeden Tag spazieren. Und ich lerne eine neue Sprache: Arabisch.
Ingrid Rehner, 49, Pfarrerin der Evangelischen Bethlehemgemeinde Wertingen (Kreis Dillingen an der Donau) und Klinikseelsorgerin.
Ich selbst habe keine Corona-Patienten im Seniorenheim oder Krankenhaus begleitet. Ich hätte aber keine Scheu. Ich bin ausgebildete Kinderkrankenschwester, ich weiß, wie man mit Schutzanzug, Handschuhen, Maske umgeht. Ich habe allerdings von vielen tragischen Geschichten gehört, bei denen Angehörige nicht mehr oder nicht mehr so, wie sie es sich gewünscht hätten, Abschied nehmen konnten. Es kam zum Beispiel vor, dass sie nur in den letzten Lebensminuten nochmals zu der oder dem Sterbenden gelassen wurden. Vielen hat das nicht gereicht. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an einen Sohn, der unbedingt zu seiner im Sterben liegenden Mutter wollte. Er hat sich dann tatsächlich bei ihr mit Corona angesteckt. Das Risiko nahm er in Kauf. Auf der anderen Seite gab es Angehörige, die sich nicht in die Nähe ihrer sterbenden Familienmitglieder trauten und die das später bereuten.
Ob die Kirche, ob ich bei diesem Thema kritischer hätte sein müssen und lauter? Ich denke: In einer Krise sucht man immer aktuell nach dem richtigen Weg. Zurückhaltung war in dieser oft unübersichtlichen Lage sicher grundsätzlich angebracht, gerade die Kirche steht ja stets im Verdacht, zu schnell mit Antworten zu sein. Ich kann auf jeden Fall sagen: Jeder hat in der jeweiligen Phase der
und in der jeweiligen Situation versucht, so gut es geht zu helfen. Wir als Kirche haben uns da viele Gedanken gemacht und auch gute Wege gefunden.
Teresa Jetschina, 29, und Norbert Harner, 44, Diözesanvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) aus Augsburg.
Wir halten die vergangenen Monate nicht für verlorene Monate für die Jugend. Wir möchten auch lieber einmal den Blick darauf lenken, was trotz Corona alles möglich war – oder von der Pandemie beschleunigt wurde. Wir, als Dachverband katholischer Jugendverbände und -organisationen, haben zum Beispiel digital massiv aufgeholt. Sicher werden wir manches beibehalten, zum Beispiel digitale Gremiensitzungen. Aber klar: Jugend- und Bildungsarbeit lebt von der Nähe, und die war kaum möglich. Wir hoffen sehr darauf, dass es in diesem Jahr wieder Zeltlager oder Sommerfreizeiten geben kann. Die Gefahr ist, dass hier eine Tradition wegbricht, oder dass wir neue Jugendliche nicht mehr erreichen. Die Kritik an der katholischen Kirche, sie hätte sich nicht laut genug in der Corona-Krise zu Wort gemeldet, teilen wir nicht. In diese Kritik mischt sich sicher auch, dass die Kirche öffentlich unter Beobachtung steht wegen ihrer Skandale. Sie kann es im Moment vielen nur schwer recht machen.
Jens Colditz, 56, Rektor der Evangelischen Diakonissenanstalt (diako) Augsburg und Theologe.
Das „diako“besteht aus Alten- und Pflegeheim, Stadtklinik, Schul-, Hotel- und Tagungszentrum. In allen Bereichen wollen wir seelsorgerliche Zuwendung zu den Menschen bringen. Besonders in Krisenzeiten zeigt sich, wie existenziell bedeutend das ist. Übrigens genauso für unsere 650 Mitarbeiter: Sie brauchen viel Kraft für ihren Dienst. Die Diakonissen, eine evangelische Schwesterngemeinschaft, stärken uns mit ihrem Gebet. Ich kann nur sagen: Wir versuchen, das Menschenmögliche zu tun, bei höchstmöglichen Sicherheitsvorkehrungen. Niemand soll bei uns einsam sterben müssen. Mit unserer Arbeit zeigen wir die gesellschaftliche Systemrelevanz der Diakonie. Wir hatten ja bereits im Altenheim CoronaFälle – und wir haben uns selbstverständlich der Versorgung von Covid-19-Patienten auf einer speziell eingerichteten Station unserer KliPandemie nik gewidmet. Als sogenanntes Überlaufkrankenhaus haben wir mehr als 80 Prozent der Patienten auf unserer Corona-Station aus benachbarten Kliniken aufgenommen. Diese werden dadurch entlastet.
Erwin Reichart, 67, katholischer Priester und Wallfahrtsdirektor des Wallfahrtsortes Maria Vesperbild in Ziemetshausen im Kreis Günzburg. Für mich waren die letzten Monate unheimlich stressig, was auch an den Vorschriften lag, die wir natürlich einhalten müssen. In der Praxis war das oftmals gar nicht so einfach. Ich fühlte mich manchmal wie ein Polizist, der auf die Einhaltung von Regeln achtgeben muss. Aber ich bin doch Seelsorger! Wir müssen die Menschen schützen, aber doch auch menschlich bleiben. An Mariä Himmelfahrt Mitte August waren dann 500 Pilger genehmigt, um an unserer Mariengrotte Marias leibliche Aufnahme in den Himmel zu feiern. Sonst sind es mehrere Tausend. Das hat schon wehgetan. Ich fürchte ohnehin, dass die Gotteshäuser nach Corona noch leerer sein werden, weil sich die Menschen daran gewöhnt haben könnten, auf Gottesdienstbesuche zu verzichten. Ich fühle mich da in gewisser Weise machtlos. An den Vorwürfen gegenüber der Kirche, sie habe kritiklos staatliche Vorgaben übernommen, ist was dran. Hinterher weiß man aber immer vieles besser. Aus heutiger Sicht hätte man zum Beispiel an Ostern Gottesdienste in Kirchen feiern können. Was ich vor allem kritisiere, ist: Wir haben zu wenig deutlich gemacht, dass gerade in Notzeiten Gott für uns alle da ist; dass Gottesdienst und Gebet eine Wirkung haben. Das hätten wir nach vorne stellen müssen. Stattdessen entstand der Eindruck, die Kirche habe nichts anzubieten.