Abschied vom Einfamilienhaus
Das eigene Häuschen mit Garten ist seit Jahrzehnten ein gut gepflegtes bundesrepublikanisches Ideal. Doch so groß die Sehnsucht vieler Menschen danach ist – diese Wohnform passt immer weniger in unsere Zeit
Von oben sieht das sicher schön geordnet aus. Grundstück an Grundstück, Häuschen im Grün an Häuschen im Grün – sauber getrennt von Gartenzaun und Thujahecke. So sieht er für viele aus, der Traum vom Wohnen, gerade in einer kleinteilig geprägten Region wie Schwaben. Wer, nur mal so zum Beispiel, auf der Bundesstraße von Augsburg nach Illertissen fährt, bekäme von diesem jahrzehntelang gepflegten Ideal einen guten Querschnitt zu sehen. Würde man auf diesem Weg öfter mal nach rechts und links abbiegen von der B300, und hineinfahren in die kleineren Gemeinden, sähe man noch einiges mehr. Propere Neubaugebiete außerhalb der Ortskerne – und leere Schaufenster in der Ortsmitte etwa. Die Zahl der Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser hat in den letzten Jahren wieder deutlich zugenommen. 27426 neue Eigenheime sind im Jahr 2020 in Bayern genehmigt worden. Zehn Jahre davor waren es nach Zahlen des Bayerischen Landesamts für Statistik lediglich 19038 Ein- und Zweifamilienhäuser. Das Einfamilienhaus wird also wieder beliebter. Bis 40000 – so viele neue Wohngebäude waren 1980 genehmigt worden – ist es zwar noch weit. Aber die wachsende Beliebtheit ist ein Problem. Das sich wieder breiter machende Einfamilienhaus, es wackelt quasi. Was gerade, zumindest ein bisschen, auch mit Anton Hofreiter zu tun hat. Der Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion hatte in einem Spiegel-Interview seine Worte so gewählt, dass im medialen Zuspitzungsgeschäft nur hängen blieb: Die Grünen wollten das Einfamilienhaus verbieten. Das will die Möchtegern-Regierungspartei im Jahr der Bundestagswahl aber genau so wenig wie erneut als Veggiday- undSchnitzel-Verbots-Partei dazustehen. Die Parteispitze bemüht sich redlich, die Debatte einzufangen. Über die Zukunft des Einfamilienhauses wird trotzdem geredet. Was nichts Schlechtes ist, denn längst nicht mehr nur Umweltschützer sagen, dass neue Wohngebiete für einen Großteil des Flächenverbrauchs in Bayern verantwortlich sind. Rund 50 Prozent der neu versiegelten Flächen – vor allem frühere Äcker oder Waldgebiete – werden für Siedlungs- und Verkehrsflächen verwendet, sagt Thomas Frey, Regionalreferent für Schwaben des Bund Naturschutz in Bayern. „Überproportional findet diese Umwandlung im ländlichen Raum statt, da dort weniger dicht gebaut wird“, sagt der Fachmann. Und weiter: „Das Einfamilienhaus ist die flächenintensivste Wohnform.“Dabei hat sich der Freistaat das Ziel gesetzt, bis 2030 den Flächenverbrauch auf fünf Hektar pro Tag zu begrenzen. 2019 lag er bei 10,8 Der Verlust von Boden ist aus Sicht des Umweltschutzes tragisch. Böden sind landwirtschaftliche Anbaufläche, speichern Nährstoffe, bauen Schadstoffe ab, filtern Trinkwasser, liefern einen Beitrag zum Hochwasserschutz und vieles mehr. Aber: „Die Konkurrenz um den Boden ist groß“, sagt Frey. Und die Sorge um die Umwelt hat bisher nur wenige davon abgehalten, sich den Traum vom frei stehenden Haus zu verwirklichen. Dennoch könnte das Einfamilienhaus seine besten Tage hinter sich haben. Weil es zu erfolgreich ist. Und damit an das Ziel der kleinen Reise von vorhin, nach Illertissen.
Jürgen Eisen ist Bürgermeister in der Stadt mit rund 18000 Einwohnern. Er hat mit Problemen zu kämpfen, um die ihn wohl viele Amtskollegen in anderen Regionen beneiden würden. Die Stadt floriert, der Einzelhandel war zumindest bis vor der Krise intakt und es gibt quasi keinen Leerstand. Doch die ungebrochene Attraktivität schafft neue Sorgen. „Wenn wir heute 100 Bauplätze ausschreiben würden, wären die in zwei Tagen alle verkauft“, sagt Eisen. Allein: Es gibt die Plätze nicht. Selbst in den etwas außerhalb liegenden Ortsteilen gibt es nur noch wenige freie Bauplätze – die aber alle längst vergeben sind.
Auch freie Wohnungen sind seit Jahren Mangelware. „Junge Illertisser, die auf der Suche nach einer Mietwohnung waren, haben vor Ort nichts mehr bekommen und mussten wegziehen. Das geht auf Dauer nicht, wir wären ja vergreist. Wir mussten was machen“, sagt Eisen. In der Strategie, die sich die Stadt überlegt hat, kommen Einfamilienhäuser allenfalls am Rande vor. „Innen vor außen“heißt das Leitmotiv der Bauleitplanung in Illertissen. Die Stadt will sich nicht mehr in den Außenbereichen erweitern, sondern ihr Zentrum attraktiv halten. Dazu hat man, wo immer sich die Gelegenheit ergab, Flächen gekauft. Ziel ist es, sie mit Investoren gemeinsam zu entwickeln, etwa der Caritas. So will man etwa älteren Menschen die Entscheidung erleichtern, das Eigenheim mit Garten aufzugeben und gegen eine attraktive Wohnung in Zentrumslage einzutauschen. Auch eine Möglichkeit, neuen Wohnraum für Familien zu schaffen. Wenn es nach Eisen geht, soll die Stadt künftig noch viel offensiver neue Wohnund Baukonzepte angehen.
Auf einem großen Areal in Zentrumsnähe würde der Bürgermeister gerne Bauherrengemeinschaften eine Chance geben. Familien könnten sich dabei zusammentun und nach ihren Wünschen und Bedürfnissen ein Mehrfamilienhaus planen. Die Stadt könnte sich dann aus diesen Konzepten der potenziellen Bauherren die besten heraussuchen. Einfamilienhäuser haben dabei keiHektar. ne Chance – auch wenn die Nachfrage weiterhin extrem hoch ist.
Wie groß die Sehnsucht nach dem Einfamilienhaus ist, weiß auch der bayerische Gemeindetag. Sprecher Wilfried Schober gibt Hofreiter und den Kritikern dieser Wohnform zwar teilweise recht. Aber er warnt auch vor zahlreichen sozialen Problemen, die auftreten, wenn Menschen eng beieinander wohnen: „Soziale Distanz zum Nachbarn ist weiterhin ein starker Wunsch von Eigenheimbesitzern.“Auf die Einhaltung der Abstandsflächen zum eigenen Grundstück werde Wert gelegt. „Selbst wenn einem der Nachbar sympathisch ist, er soll nicht ins eigene Bad oder Schlafzimmer reinschauen können“, sagt Schober.
Doch diesen Abstand muss man bezahlen können. Stephan Kippes lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt NürtingenGeislingen und leitet das Marktforschungsinstitut IVD, das regelmäßig Immobilienpreise ermittelt. Er sagt: „Das Einfamilienhaus bleibt nur für wenige erschwinglich.“Natürlich sei das Gefälle enorm. Für ein alleinstehendes Wohnhaus mit einem sogenannten „guten Wohnwert“musste man in der Landeshauptstadt im Herbst 2020 etwa 1,9 Millionen Euro zahlen, in Augsburg waren es 632 000 Euro und in Nürnberg 604000 Euro. Billiger wird es auf absehbare Zeit nicht, betont der Professor: „Man hätte meinen können, dass Corona die Preise signifikant senkt. Das ist nicht der Fall.“
Mit den steigenden Preisen scheiden immer mehr potenzielle Bauherren aus – längst nicht mehr nur in Ballungszentren. Das Einfamilienhaus wird für Normalverdiener zum unerreichbaren Ideal. Im Grunde keine neue Entwicklung, wie Werner Bätzing erläutert. Er war bis zum Herbst 2014 Professor für Kulturgeografie an der Universität Erlangen-Nürnberg und mahnt seit Jahren eine zunehmende Benachteiligung des ländlichen Raumes an. „Zu glauben das Einfamilienhaus wäre eine demokratische Wohnform, ist unvernünftig. Das Einfamilienhaus ist nicht für alle möglich, diesen Platz gibt es nicht. Es ist ein Luxus, den sich früher auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten konnte“, sagt Bätzing. So gesehen wäre die Umkehr des Trends zum Häuschen im Grünen nur die Korrektur einer recht jungen Unwucht.
„Das Prinzip der Einfamilienhaussiedlung ist ein Irrweg, der erst durch die Pkw-Mobilität entstehen konnte. Ohne eigenen Wagen ist es nicht möglich, von dort in überschaubarer Zeit zur Arbeit zu kommen. Daher gibt es eine direkte Verbindung von dieser Wohnform zu drängenden Problemen wie der Zunahme des Individualverkehrs und dem entsprechenden Ausbau der Straßen sowie der Zunahme der CO2-Emissionen“, sagt Bätzing.
Zu lange hätten Gemeinden darauf gesetzt, ihre Zukunft durch die Ausweisung von Neubaugebieten zu sichern. Oftmals hätten sie sogar noch mit billigen Baulandpreisen um Neubürger konkurriert. Mit dem Ergebnis, dass vielerorts Strukturen gewachsen sind, die weder Stadt noch Land sind – und allein kaum lebensfähig. Die Menschen, die dort wohnen, arbeiten woanders, machen ihre Einkäufe mit dem Auto und verbringen ihre Freizeit kaum zusammen. Identifikation mit dem Wohnort kann so nicht wachsen.
Als Ausweg aus der Misere ermutigt er auch kleinere Gemeinden zu kreativen Lösungen: „Sinnvoll wäre, unternutzte Gebäude neu zu nutzen: leer stehende landwirtschaftliche Gebäude etwa, da gibt es eine ganz große Flächenreserve. Das würde alte Ortskerne aufwerten.“Ein Verbot von Einfamilienhäusern sei dafür nicht nötig, der politische Wille zur Gestaltung umso mehr.
Ähnlich sieht es Immobilienmarkt-Experte Kippes. Für ihn ist das größte Versäumnis bei der Immobilienpreisentwicklung die unterlassene intelligente Strukturpolitik. „Man hat sich zu sehr auf die Ballungszentren fokussiert.“Nötig seien Dezentralisierung, Strukturförderung von Unternehmen und – was selbstverständlich sein sollte, es aber nicht ist – eine gute Internetverbindung, überall. Dann könnte greifen, was Kippes einen „Kollateralgewinn der Corona-Krise“nennt: die Ausbreitung des Homeoffice. Wer weniger oft ins Büro müsse, könne eher in „bezahlbare Ecken“des Freistaats ziehen. Vielleicht sogar in ein Einfamilienhaus.
Der Nachbar soll nicht ins eigene Bad schauen können