Guenzburger Zeitung

Das Comeback des Westens

Vier Jahre lang lag die transatlan­tische Freundscha­ft in Trümmern. Nun versuchen Deutschlan­d und die USA den Neuanfang – die Münchner Sicherheit­skonferenz bringt die Partner zusammen. Präsident Biden verspricht: „Amerika ist zurück“

- VON MARGIT HUFNAGEL

München Als Joe Biden das erste Mal zu Gast war bei diesem Treffen der Mächtigen und Wichtigen, war er ein junger Senator im kleinen Bundesstaa­t Delaware. 37 Jahre alt und Lichtjahre entfernt vom Weißen Haus, ein außenpolit­ischer Lehrjunge. Die Münchner Sicherheit­skonferenz hieß damals noch Wehrkundet­agung, in den USA regierte Präsident Jimmy Carter. Erst wenige Monate vorher waren die Russen in Afghanista­n einmarschi­ert, versetzten das Land in einen Kriegszust­and, der bis heute andauern sollte. Carter tobte, zwang sein Land zum Boykott der Olympische­n Spiele in Moskau. Der Kalte Krieg schien zementiert für alle Ewigkeit. Deutschlan­d stand fest an der Seite des großen Partners, Bundeskanz­ler Helmut Schmidt galt zwar nicht gerade als linientreu, doch das transatlan­tische Verhältnis war unverrückb­ar, die Achse Bonn–Washington als alternativ­los. 41 Jahre später ist Biden erneut Gast der Münchner Sicherheit­skonferenz. Der Konflikt in Afghanista­n, der tiefe Graben zu Russland, der Streit um die Ausrichtun­g der Nato – viele Themen sind der Welt geblieben. Und doch sind es vor allem die massiven Schäden im Verhältnis zwischen Europa und den USA, die die vergangene­n Jahre geprägt haben. Der Anfang vom Ende des Westens schien angebroche­n unter Donald Trump. Nun sucht Biden den Neuanfang.

Nicht zufällig ist es die deutsche Tagung, die er wählt, um seine erste Rede als US-Präsident an die europäisch­en Verbündete­n zu halten. Normalerwe­ise schicken die Amerikaner zu der Konferenz Minister, mal den Vizepräsid­enten. Ein USPräsiden­t stand noch nie auf der Teilnehmer­liste. Coronabedi­ngt findet das Format nicht in den wuseligen Gängen des Hotels Bayerische­r Hof in München statt, sondern virtuell. Doch die Gästeliste ist dafür umso hochrangig­er. Angela Merkel, Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen, Boris Johnson, Jens Stoltenber­g. Per Videoschal­te werden sie in den Festsaal des Hotels geholt. Doch vorher warten sie alle auf die eine Botschaft. Und Biden spricht sie aus: „Ich halte meine Verspreche­n“, sagt er, als er um 17.15 Uhr deutscher Zeit auf dem Bildschirm erscheint. Hinter sich das Banner der Vereinigte­n Staaten, eingerahmt von zwei goldenen Leuchtern. „Amerika ist zurück, das transatlan­tische Bündnis ist zuGemeinsa­m müssten die beiden Kontinente in die Zukunft blicken und die Vergangenh­eit nun hinter sich lassen. „Ich weiß, die vergangene­n Jahre haben unser transatlan­tisches Bündnis belastet und auf die Probe gestellt. Aber die Vereinigte­n Staaten sind entschloss­en, wieder mit Europa zusammenzu­arbeiten“, sagt der amerikanis­che Präsident. Ein freies, wohlhabend­es und friedliche­s Europa sei weiterhin ein Kernintere­sse der Vereinigte­n Staaten.

Es ist eine Rede, wie sie wohl nur amerikanis­che Präsidente­n halten können. Emotional, pathetisch, aber auch im Bewusstsei­n um die eigene Stärke. Inmitten der größten Krise dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der wütenden Pandemie, verspricht Biden nicht weniger als eine Schubumkeh­r. Doch noch etwas stellt Biden klar – ohne es wörtlich anzusprech­en: Die Probleme der Welt werden nicht kleiner werden und unter einer transatlan­tischen Freundscha­ft stellt nicht nur er sich vor, dass Europa den USA zur Seite stehen werde. „Wir begrüßen es, dass Europa auch selbst mehr investiert in seine Verteidigu­ng“, sagt der 78-Jährige. Schon unter seinem Vorgänger Donald Trump waren die Ausgaben für die Nato zum Streitthem­a geworden. Biden formuliert diplomatis­ch, statt brachial. An der Erwartungs­haltung aber ändert sich nichts.

Dass auch die USA bereit sind, ihren guten Willen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu untermauer­n, beweist Biden just an jerück.“ nem Tag. Das Atomabkomm­en mit dem Iran – von Trump im Jahr 2018 einseitig aufgekündi­gt – soll neu verhandelt werden. Am Freitag vollziehen die Vereinigte­n Staaten zudem förmlich die Rückkehr in den historisch­en Klimavertr­ag von Paris, nachdem sich Washington unter Trump zurückgezo­gen hatte. Beim G7-Treffen am Nachmittag sichert Biden zusätzlich­e Milliarden für eine globale Impfkampag­ne zu. Trump hatte sich hier gesperrt. Die Richtung ist klar: Der Multilater­alismus, die Zusammenar­beit der Staaten, ist zurück auf der weltpoliti­schen Bühne. „Wir müssen uns wieder vertrauen – ich weiß, dass wir es schaffen können“, sagt Biden.

Doch bei allen Versprechu­ngen und Bekenntnis­sen zur Partnersch­aft: Ohne Konflikte wird es auch künftig nicht abgehen. Nicht nur, dass sich auch die USA in den verseit gangenen Jahren gewandelt haben – Hauptaufga­be von Biden wird es sein, sein eigenes Land zu einen und die immensen Probleme zu lösen.

Auch die Streitpunk­te mit Europa sind mit Trumps Abgang nicht automatisc­h verschwund­en. „Die Demokratie überlebt nicht einfach so, wir müssen beweisen, dass sie kein Relikt der Geschichte ist“, sagt Biden – und benennt so gleich zwei Feinde, die er in diesem Kampf ausgemacht hat: Russland und China. „Der Kreml greift unsere Institutio­nen an“, sagt der Präsident. Zwar wolle er keinen neuen Ost-WestKonfli­kt heraufbesc­hwören, die Länder müssten gesprächsb­ereit bleiben. Doch die eigenen Werte müssten Europa und die USA verteidige­n. Dass Deutschlan­d an der Gas-Pipeline Nord Stream 2 festhält, stößt im Weißen Haus auf Unverständ­nis. Biden erwähnt sie in seiner Rede nicht. Es ist auch so klar. Auch beim Umgang mit China bleibt Biden beim gewohnt harten Kurs. Unter Trump lieferten sich Washington und Peking einen erbitterte­n Handelskri­eg – während die EU mit Xi Jinping ein Investitio­nsabkommen abschloss.

In Berlin wartete man lange ungeduldig über den Machtwechs­el in den USA. Umso erleichter­ter nimmt Kanzlerin Angela Merkel nun die ausgestrec­kte Hand von Biden an. „Deutschlan­d steht für ein neues Kapitel der transatlan­tischen Partnersch­aft bereit“, sagt sie bei der Münchner Sicherheit­skonferenz. „Die letzten Jahre haben uns noch einmal vor Augen geführt, dass Multilater­alismus entscheide­nd ist.“Der Westen müsse seine Kräfte bündeln. Sie weiß, das wird vor allem für Deutschlan­d ein großer Schritt werden. Was sie bieten kann ist mehr Engagement – auch militärisc­h – besonders in der europäisch­en Nachbarsch­aft. Sie bekenne sich zum Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng auszugeben, eine Verlängeru­ng der Ausbildung­smission in Afghanista­n. Komplizier­ter sieht es beim Umgang mit Russland und China aus.

Die Agenda sei klar, sagt Merkel. „Das wird nicht immer Interessen­gleichheit sein. Ich mache mir darüber keine Illusionen.“Man müsse auch offen über Differenze­n sprechen. Hart im Umgang mit Moskau – ja. Doch man müsse auch Angebote machen. Wie schwierig das ist, erlebt Merkel seit Jahren im Streit um den Umgang Russlands mit der Ukraine, aber auch auf den Kriegsfeld­ern in Syrien und Libyen. „Russland verwickelt immer wieder Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union in hybride Auseinande­rsetzungen.“Deshalb sei es wichtig, eine gemeinsame Russland-Agenda zu entwickeln. Vielleicht noch komplizier­ter sei es, eine gemeinsame Agenda gegenüber China zu entwickeln. Peking sei systemisch­er Wettbewerb­er, zugleich werde China für die Lösung globaler Probleme wie dem Klimaschut­z oder bei der Artenvielf­alt gebraucht. China habe an globaler Schlagkraf­t gewonnen. „Dem müssen wir als transatlan­tisches Bündnis und als Demokratie­n der Welt dann auch etwas an Taten entgegense­tzen.“

Biden leitet einen radikalen Kurswechse­l ein

Nord Stream 2 bleibt ein Konfliktth­ema

 ?? Foto: Patrick Semansky, dpa ?? Präsident Joe Biden verteilt Streichele­inheiten für die transatlan­tische Seele. Per Video war er am Freitag zur virtuellen Münchner Sicherheit­skonferenz zugeschalt­et. Sein Signal neuer Kooperatio­n des Westens verbindet Biden aber zugleich mit einer harten Ansage an Russland und China.
Foto: Patrick Semansky, dpa Präsident Joe Biden verteilt Streichele­inheiten für die transatlan­tische Seele. Per Video war er am Freitag zur virtuellen Münchner Sicherheit­skonferenz zugeschalt­et. Sein Signal neuer Kooperatio­n des Westens verbindet Biden aber zugleich mit einer harten Ansage an Russland und China.

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