Die Frage der Woche Sich regelmäßig wiegen?
Man kann es mit allem übertreiben: Sich also jeden Morgen auf die Waage stellen, nur mit leichtem SchlafShirt bekleidet, sich dann am besten so unauffällig mit der Hand am Waschbecken abstützen, dass man es selbst kaum bemerkt, und dann vom Ergebnis die Laune des Tages abhängig machen. 200 Gramm zu viel können dann auf der Stimmung lasten wie 200 Kilo. Wer das macht, weiß insgeheim schon auch: eigentlich Quatsch! Gott hat dem Menschen nicht aus Versehen auch ein bisschen Lässigkeit mitgegeben. Jedoch: Wer nicht zu den Menschen zählt, die mit ihrem Körper stets rundum glücklich sind, sondern zu jenen, die fürs eigene Empfinden immer mal wieder zu dünn oder zu dick sind, den macht regelmäßiges Wiegen, mindestens einmal die Woche, tatsächlich gelassener. Die Waage nämlich gibt Sicherheit und dient zugleich als Warnsystem, tritt mit dem oder der Wiegenden quasi in eine Art inneren Monolog. Aha, drei Krapfen gegessen und dann auch noch Nudeln mit Käsesoße, da musst du dich nicht wundern, dass ich eineinhalb Kilo mehr anzeige, sagt die Waage zum Beispiel und der oder die Wiegende verspricht: Schon gut, der dritte Krapfen wäre sonst weggeworfen worden und ja, die nächsten Tage passe ich ein wenig auf. Unerwünschte Ausschläge des Gewichts nach oben oder unten sind also schnell und ohne Gedöns zu korrigieren. Findet dieses Gespräch dagegen nur alle paar Wochen statt, können Drama und Diät drohen: Wie fünf Kilo, ich glaube, ich spinn, die gehen nie mehr weg ... Was folgt sind irre Essenspläne – morgens gar nichts, abends wenig, dazwischen zehn Eier oder so – und ab und zu wird Schoko stibitzt als sei es eine verbotene Substanz. Auch das ist Quatsch! Lieber: Regelmäßig wiegen, regelmäßig gut essen!
Wenn die Ärztin sagt, dass man sich regelmäßig wiegen soll, muss das sein. Punkt. Ansonsten gibt es herzlich wenig Veranlassung dafür. Wer realistisch ans Abnehmen (oder auch Gewichthalten) herangeht, weiß, dass in manchen Lebensphasen – zum Beispiel als junge Eltern oder kurz vor dem nächsten Karrieresprung – schlicht keine Zeit oder Energie dafür bleibt. Wer sich dann auf die Waage stellt, ist Masochist. Stattdessen sollte man die Gewichtsreduktion auf eine ruhigere Zeit verschieben. Und sich dann nicht dem Diktat der Waage unterwerfen, sondern die gesellschaftlichen Schönheitsvorstellungen schön verpackt zurückschicken und sich an gesünderer Ernährung und interessanten Sportarten probieren. Dann kann man sich in seiner eigenen Zeit in einem Körper – nicht auf einem Gewicht – einpendeln, in dem man sich wohl fühlt. Wer nicht lernt, auf das eigene Körpergefühl zu achten, kann zwar abnehmen, doch die Chance, das neue Gewicht langfristig zu halten, ist bei so einer Distanz zum eigenen Körper gering. Wer sich unbedingt kontrollieren möchte, kann immer noch einen Blick in den Spiegel werfen. Das ist auch dann sinnvoll, wenn derjenige sich mehr bewegt als zuvor. Denn wer trainiert, verliert zwar Fett, baut aber gleichzeitig Muskeln auf – und die sind bekanntermaßen ziemlich schwer. Im Spiegel kann man dann die neuen Armmuskeln vom regelmäßigen Rudern bewundern, auf der Waage steht nur, dass man trotz all der Anstrengung kein Gramm abgenommen hat. Wer langfristig mit seinem Körper glücklich sein und sich nicht mit dem – meist kurzweiligen – Glücksgefühl auf der Waage, die endlich „die richtige Nummer“anzeigt, zufriedengeben möchte, muss an Essgewohnheiten und der Lebensführung arbeiten. Nicht an den 74 Kilos.