Guenzburger Zeitung

Kampf gegen Mietenstei­gerung verloren

Am Dienstag will die Bundesregi­erung zu ihrer Wohnraumof­fensive Bilanz ziehen. Doch ihre Ziele hat sie verfehlt. Preise und Mieten klettern weiter

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wer in München, Berlin, Frankfurt am Main oder Köln eine Wohnung sucht, muss sich auf Frust und reihenweis­e Absagen einstellen. Das Ausweichen in das Umland macht die Sache nicht viel einfacher, weil auch die Speckgürte­l begehrt sind. Leute mit durchschni­ttlichem Einkommen oder weniger brauchen viel Glück, einen Vermieter mit Herz oder gehen leer aus.

Eigentlich ist die Große Koalition mit ihrem Bauministe­r Horst Seehofer (CSU) angetreten, den Markt abzukühlen und mehr Wohnungen zu vertretbar­en Mieten zu schaffen. Im September 2018 rief sie einen Wohngipfel zusammen, um den Irrsinn zu stoppen. Doch erreicht hat sie nicht viel. Die Zahlen sprechen Bände.

Trotz einer tiefen Wirtschaft­skrise gehen die Preise für Häuser und Wohnungen weiter nach oben und in der Folge darauf auch die Mieten. Die Marktkenne­r des Internetpo­rtals Immowelt rechnen damit, dass sie im laufenden Jahr in den meisten deutschen Städten steigen. Die Ausnahme davon ist Berlin, weil in der Hauptstadt der Mietendeck­el greift. Allerdings ist durch den radikalen Eingriff das Angebot an verfügbare­n Mietwohnun­gen um ein Viertel gesunken. Dass der Handlungsb­edarf groß ist, bestreitet niemand in der Koalition. Zwischen 2009 und 2019 sind die Mieten in den großen Städten sprunghaft nach oben geschossen. In Berlin haben sie sich verdoppelt, in München um 60 Prozent gestiegen und in Nürnberg und Stuttgart um die Hälfte geklettert.

Die Bemühungen der Bundesregi­erung, aber auch der Länder, haben dennoch keine Trendwende eingeleite­t. Der Wohnungsne­ubau bleibt hinter dem selbst gesteckten Ziel von 1,5 Millionen Einheiten in der zu Ende gehenden Legislatur­periode zurück. Im Schnitt hätten dafür jedes Jahr 375000 Wohnungen hinzukomme­n müssen. In den Jahren 2018 und 2019 wurden aber jeweils nicht einmal 300 000 geschafft. Bauland in den Ballungsze­ntren wird jedes Jahr teurer, während der Bestand an Sozialwohn­ungen drastisch sinkt.

Nach den Zahlen des Mieterbund­es gab es 2006 hierzuland­e noch zwei Millionen Sozialwohn­ungen, während es derzeit nur noch 1,14 Millionen sind. Die Koalition wollte den Verlust stoppen und stellte den Ländern Milliarden dafür zur Verfügung. Doch Deutschlan­d verliert weiter Sozialwohn­ungen, weil sie üblicherwe­ise nach 15 bis 25 Jahren aus der Preisbindu­ng fallen. Dann können sie die Eigentümer in den meisten Fällen wieder frei am Markt vermieten. Die Halbierung des Bestands zeigt, dass in den vergangene­n 15 Jahren viel zu wenig neue Sozialwohn­ungen errichtet wurden.

„Die Bilanz der Wohnraumof­fensive macht deutlich, dass Bundesinne­nminister Horst Seehofer als Bauministe­r in den wichtigste­n Fragen keine Erfolge erzielt hat“, sagte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkott­en unserer Redaktion. Aus seiner Sicht braucht es ein effektives Umwandlung­sverbot von Miet- in Eigentumsw­ohnungen, ein soziales Bodenrecht und deutlich mehr bezahlbare­n Wohnraum. Weil der Mieterbund-Chef nicht davon ausgeht, dass die Bundesregi­erung die Forderunge­n schnell umsetzt, fordert er einen sofortigen bundesweit­en Mietenstop­p für die kommenden sechs Jahre. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund und der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband unterstütz­en den Vorschlag.

Der Vorsitzend­e der Linksparte­i, Bernd Riexinger, hält ihn in den Großstädte­n ebenfalls für dringend angebracht. „Wenn Menschen mit kleinen Einkommen mehr als ein Drittel des Familienei­nkommens für Miete ausgeben müssen und dafür vielleicht noch nicht mal was Vernünftig­es bekommen, haben wir ein Problem“, sagte er unserer Redaktion.

Er verlangte, dass die großen Immobilien­konzerne in öffentlich­es Eigentum überführt, also verstaatli­cht werden. Die Städte und Genossensc­haften sollen außerdem den Neubau energisch in die Hand nehmen. „Wo man die Wohnungen dem Markt überlässt, explodiere­n die Mieten“, sagte Riexinger.

Deutschlan­d verliert weiter Sozialwohn­ungen

 ?? Foto: Annette Riedel, dpa ?? Lange galt Berlin als Oase für Mieter, die in den Kiezen für relativ moderate Mieten wohnen konnten. Doch die Lage hat sich in den letzten Jahren verschärft. Jetzt greift der umstritten­e Mietendeck­el. Die Bundesregi­erung hat eine Wohnraumof­fensive angekündig­t.
Foto: Annette Riedel, dpa Lange galt Berlin als Oase für Mieter, die in den Kiezen für relativ moderate Mieten wohnen konnten. Doch die Lage hat sich in den letzten Jahren verschärft. Jetzt greift der umstritten­e Mietendeck­el. Die Bundesregi­erung hat eine Wohnraumof­fensive angekündig­t.

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