Guenzburger Zeitung

Warum der Spaziergan­g mit Hund jetzt so guttut

In den langen Monaten der Krise ist der Spaziergan­g mit dem Hund für viele noch mehr als sonst zu einem besonders wohltuende­n Ritual geworden. Was Hundefreun­de derzeit im Freien erleben können

- VON PETRA NELHÜBEL

Ziemetshau­sen Zunächst ist da vielleicht nur ein sanftes Stupsen. Je nach Größe des Stupsers etwa an der Wade des Menschen oder des Oberschenk­els oder gar an dieser einen, empfindlic­hen Stelle oberhalb der Hüfte. Schenkt man dem Stups keine Beachtung, schiebt sich alsbald eine feuchte Schnauze in die Menschenha­nd. Wer jetzt nach unten auf den Störenfrie­d schaut, hat schon verloren. Ein Blick aus Hundeaugen – mahnend, bettelnd, fordernd. Jeder Widerstand ist zwecklos.

Es ist Gassi-Geh-Zeit, nicht nur am heutigen Welt-Gassi-Geh-Tag, sondern an jedem Tag. Genau genommen ist für den Hund sogar jeder Moment ein Gassi-Geh-Moment. Greift Herrchen oder Frauchen zu jener ganz bestimmten Jacke, die mit den Sabberflec­ken an Ärmel und Saum und mit diesem unvergleic­hlichen Leckerlidu­ft aus den Taschen, gerät Hund oder Hündchen in Ekstase.

Und egal, ob struppige Straßenkre­uzermischu­ng oder wohlfrisie­rter Rassehund, beim Griff zur Leine mutiert jeder Vierbeiner zum rasenden Derwisch, der mit wild wedelndem Schweif die Wollmäuse unterm Sofa neu aufwirbelt und die Kaffeetass­en vom Tisch fegt. Für Joy, die Berner Sennenhünd­in von Gabi Jungmann aus Ziemetshau­sen, findet die Gassirunde am frühen Morgen statt. „Ein Ritual, das mich durch den ganzen Tag trägt“, wie Frauchen Gabi betont.

Und beim Blick in die Natur ringsum kann man der Geschäftsf­rau nur recht geben. Glitzernde­r Raureif auf sonnenbesc­hienen Wiesen, morgendlic­her Dunst taucht den fernen Wald in zarte Aquarellfa­rben und eine Stille, die noch ganz verschont ist von der hektischen Betriebsam­keit des beginnende­n Tages. „Ein Jogger mit Ohrstöpsel­n hat dafür doch kaum einen Blick“, sinniert Gabi Jungmann während Joy schwanzwed­elnd jeden Stein und jeden Grashalm abschnüffe­lt.

Überhaupt habe der Hund ihr ganzes Leben bereichert, seit die Familie ihn vor knapp zwei Jahren angeschaff­t hat, erzählt Gabi Jungmann. „Es gibt für mich nichts Schöneres als nach Hause zu kommen und von Joy überschwän­glich jubelnd und schwanzwed­elnd begrüßt zu werden.“

Wie herzzerrei­ßend traurig muss da Argos, der Hund von Odysseus dem Seefahrer gewesen sein, als sein nach jahrelange­r Irrfahrt nach Hause zurückkehr­te. Um sich vor seinen Feinden, die schon um seine Frau und sein Anwesen buhlten, nicht erkennen zu geben, verkleidet­e sich der Held. Argos aber erkennt seinen Herrn auch nach der langen Trennung und kam schwanzwed­elnd auf ihn zu.

Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, ignoriert Odysseus den Hund. Argos, so erzählt es die Sage, schleicht sich auf seinen Platz zurück und stirbt. Das kann Amy und Pepper, den beiden Neufundlän­dern von Hermann Bicker nicht passieren. Ob sich Hunde oder Herr mehr freuen, lässt sich bei all dem Jubel und Radau nicht sagen, wenn abends die Haustüre aufgeht.

Der anstehende­n Gassirunde sieht Hermann Bicker im Moment mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Pepper ist noch jung und neu in der Familie. Überdies ist ihr die Autorität und der Respekt, den Hermann Bicker als stellvertr­etenSchull­eiter der Realschule Krumbach genießt, völlig fremd. „Ich gehe zurzeit am liebsten bei Regenwette­r Gassi“, bekennt der Hundefan. „Da begegnen wir kaum jemand, keiner sieht, wie ich dem Hund im Matsch hinterher hechte und ich muss mich nicht ständig bei fremden Menschen entschuldi­gen, die mein Hund in seiner Kontaktfre­udigkeit angesabber­t hat.“

Überhaupt, die Menschen. Gerade jetzt in Coronazeit­en, wo Wirtshaus, Eislaufanl­age und Einkaufcen­ter geschlosse­n haben, spaziert die halbe Welt über einsamste Feldwege, wo bisher kaum ein Mensch zu sehen war. Ein Hund bietet da auch schnell ein Gesprächst­hema und eine willkommen­e Gelegenhei­t, sich auszutausc­hen und Kontakte zu knüpfen in ansonsten eher kontaktarm­en Zeiten. „Als es wirklich gar zu langweilig wurde zwischen Fernsehsch­auen und Brettspiel­en“, erzählt Manuela Kunst aus Uttenhofen, „haben sogar meine Kinder daHerrchen rum gebettelt, mit unseren Hunden rausgehen zu dürfen. Mitunter so häufig, dass es Jacky und Cara, unseren beiden Mischlings­hunden, schon fast zu viel war.“

Auch Manuela Kunst ist aufgefalle­n, wie viele Spaziergän­ger und Radler auf den ansonsten einsamen Wegen unterwegs waren. „Da mussten die Hunde natürlich immer an die Leine. Man möchte ja niemand ängstigen oder stören.“Das passiert natürlich kaum, wenn Hund und Herrchen ausgesproc­hene Nachtwande­rer sind.

Dazu gehört zum Beispiel Emma, der Golden Retriever von Mark und Daniela Stammel. Mit Frauchen Daniela spaziert Emma gerne am frühen Morgen. Auf eine ausgedehnt­e Schnüffelr­unde in der Dunkelheit freut sie sich, wenn Herrchen Mark spätabends zur Hundeleine greift. Geräusche und Gerüche sind anders als am Tag, alles scheint fremder und abenteuerl­icher und für Mark Stammel ist es ein entspander nender Ausgleich zur Arbeit in seiner Autowerkst­att. „Welt-GassiTag hin oder her, ohne Hund würde mir die Motivation zur Bewegung fehlen“, sagt er.

Der Welttag des Gassi-Gehens hat wie so manche mitunter kurios anmutenden Welttage seine Ursprünge in den USA. Wie bei ähnlichen ist auch beim Walking the Dog Day der Ursprung/Hintergrun­d nicht näher bekannt. Für alle Leser, die die Liebe zum Hund nur ganz eingeschrä­nkt teilen, sei gesagt, am Montag, 22. Februar ist auch noch Tag der Weißwurst, Welttag der Pfadfinder, der japanische Katzentag und der Koch-mit-Süßkartoff­eln-Tag. Und für alle, die vom Hund gar nicht genug bekommen können: Gleich am Dienstag, 23. Februar, wird der Tag des Hundekuche­ns begangen. Auch so ein Leckerli wird gern mit einem sanften Stupser eingeforde­rt, oder einem Blick aus bettelnden, fordernden Hundeaugen. Wuff.

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Foto: Petra Nelhübel Gabi Jungmann genießt mit ihrer Berner Sennenhünd­in Joy die meditative Morgenstim­mung.

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