Bringt Corona einen Babyboom?
Seit dem ersten Lockdown verbringen viele Paare so viel Zeit wie nie miteinander. Ob in Bayern nun mehr Kinder geboren werden und wie die Krise die Familienplanung beeinflusst
Augsburg Ein Jahr ist es her, dass die Pandemie das alltägliche Leben auf den Kopf gestellt hat. Nicht nur in der Berufswelt hat sich einiges verändert, auch die Freizeitgestaltung vieler Paare sieht heute ganz anders aus als vor Corona. Anstatt mit Freunden auszugehen, verbringt man viel mehr Zeit mit dem Partner daheim. Anstatt die nächste Fernreise zu planen, rücken Zweisamkeit und Familienplanung in den Fokus. Können wir in Bayern also einen Babyboom erwarten?
Tatsächlich gibt es erste Anzeichen dafür, dass rund zehn Monate nach dem ersten Lockdown mehr Kinder geboren wurden. Das zeigt eine Umfrage unter verschiedenen Krankenhäusern in der Region: In Memmingen beispielsweise sind die Geburtenzahlen im Dezember 2020 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dort kamen 166 Babys zur Welt, im Dezember 2019 waren es nur 128. Im Februar gab es zudem einen ganz besonderen Geburtenrekord: An einem Wochenende kamen vier Zwillingspaare zur Welt.
Auch Ines Lehmann, Sprecherin am Universitätsklinikum Augsburg, rechnet mit steigenden Geburten„Ein Anstieg kündigt sich durch die deutlich höheren Geburtenzahlen im Januar 2021 im Vergleich zu Januar 2020 an. Bis zum 27. des Monats hatten wir im Januar vergangenen Jahres 150 Geburten, 2021 waren es 180.“Der Trend würde sich auch im Februar fortsetzen, berichtet sie.
Ähnlich sieht es in der Frauenklinik des Universitätsklinikums Ulm aus. Dort kamen im November, Dezember und im Januar jeweils mehr Kinder zur Welt als im Vorjahr. Professor Frank Reister, der die Sektion Geburtshilfe leitet, ist sich aber nicht sicher, ob das am CoronaLockdown liegt. Dass äußere Umstände die Geburtenplanung beeinflussen, sei aber plausibel.
Eine Einschätzung, die längst nicht jeder teilt. Hebamme Karin Krevet zum Beispiel sieht in den Wertachkliniken in Bobingen keinen Anstieg der Geburtenzahlen: „Der Stand ist ungefähr der Gleiche wie Anfang 2020, aber vielleicht steigt er ja noch.“Auch Professor Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums Großhadern am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München, merkt keinen Babyboom: „Wir können in unseren Zahlen keine Veränderung beobachten.“Im Dezember und Januar wurden am Klinikum 655 Kinder geboren – exakt so viele wie im Vorjahr.
Ob nach Krisen oder besonderen Ereignissen mehr Kinder geboren werden – einfach, weil die Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen –, darüber wurde schon in der Vergangenheit spekuliert. Nach den Stromausfällen 1965 in Teilen der USA und Kanada etwa, als 30 Millionen Menschen für eine Nacht im Dunkeln saßen. Doch entgegen vieler Erwartungen stiegen die Geburtenzahlen zehn Monate später nicht. Die Erzählung vom Babyboom war damals nur eine Legende.
Mit solchen Phänomenen kennt sich Professor Jens Luedtke, Leiter des Lehrstuhls Soziologie an der Universität Augsburg, aus. Er sagt, es sei nicht ganz klar, wie Familien auf Krisen reagieren. „Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 hat beispielsweise ganz unterschiedliche Entwicklungen in Europa ausgelöst.“In Spanien habe es damals einen massiven Rückgang der Geburtenzahlen gegeben, in Deutschland seien die Auswirkungen gering gewesen. Die Familienplanung hänge von mehreren Punkten ab: „Bei einer Krise muss man auch die wirtzahlen: schaftlichen Folgen wie Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit berücksichtigen.“Bei Einkommenseinbußen, würden Kinderwünsche aufgeschoben.
Mit Aufschüben rechnet Luedtke auch jetzt. Obwohl es für die Monate ab Dezember noch keine offiziellen Geburtenzahlen gibt, erwartet der Soziologe eher weniger Geburten als mehr. Das liegt nicht nur an einer Krise, in der tendenziell weniger Kinder auf die Welt kommen, sondern an der generellen Entwicklung. „Die Geburtenzahlen sind schon seit 2016 rückläufig.“Auch die durch Corona stark eingeschränkte Zuwanderung drückt die Geburtenrate. „Der deutliche Geburtenanstieg zwischen 2014 und 2016 war auch auf die Zuwanderung zurückzuführen.“
Nach Corona könne die Geburtenrate laut Luedtke aber wieder leicht steigen. Dieses Phänomen könne nach Krisen auftreten, weil aufgeschobene Kinderwünsche endlich erfüllt würden. Das eindrücklichste Beispiel in Deutschland ist der Geburtenboom vom Ende der Fünfziger bis zum Anfang der sechziger Jahre, der mit der verbesserten wirtschaftlichen Lage nach dem Zweiten Weltkrieg einherging.