Guenzburger Zeitung

„Lazio ist ein abgezockte­s Team“

Karl-Heinz Riedle wechselte 1990 für 13 Millionen Mark von Bremen nach Rom. In der Serie A traf er auf die besten Spieler der Welt. Den Verrücktes­ten hatte er im eigenen Klub

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Herr Riedle, als Sie 1990 für 13 Millionen Mark vom SV Werder Bremen zu heutigen Bayern-Gegner Lazio Rom wechselten, war das die höchste Ablösesumm­e, die bis dato für einen deutschen Spieler bezahlt worden war. Eine schwere Bürde, die auf Ihren Schultern lastete?

Riedle: Nicht wirklich. Nachdem ich bei Lazio gleich super eingeschla­gen hatte, ist das nur in den ersten drei, vier Wochen ein Thema gewesen. Drei Jahre später bei meinem Wechsel von Lazio zu Dortmund war das ein bisschen anders. In Dortmund wurde jeden Tag die Ablösesumm­e auf dem Tablett serviert. Ich hatte anfangs viele Verletzung­en, der Start gestaltet sich in Dortmund schwierige­r.

Italien war Anfang der 90er Jahre das Traumziel für einen jeden Fußballpro­fi ...

Riedle: Die Serie A galt damals als beste Liga der Welt. Die Premier League war da noch nicht so weit. Italien und Spanien waren das Maß der Dinge. Als das Angebot von Lazio kam, musste ich daher nicht lange überlegen. Ein Jahr vorher gab es schon mal loses Interesse seitens des AC Mailand – weil Ruud Gullit verletzt war. Aber dann hat sich die Sache zerschlage­n.

Anders als der AC Mailand war Lazio Rom damals nicht die erste Adresse im italienisc­hen Fußball – und ist es auch heute nicht.

Riedle: Das stimmt. Der Verein hatte zwei Jahre vor meinem Wechsel noch in der Zweiten Liga gespielt. Aber die Lazio-Verantwort­lichen hatten Großes vor. Ich fand einen super Klub vor. Auch das Drumherum war toll. Ich konnte bei Lazio gegen die besten Spieler der Welt antreten: Maradona, Gullit und wie sie alle hießen. Was die Situation heute betrifft: Die Vereinsfüh­rung von Lazio macht das mit einem vergleichs­weise kleinen Budget echt klasse - und das schon seit acht oder neun Jahren. Auch in dieser Saison ist man wieder sehr nah an den Champions League-Plätzen dran. Es fehlen zwei Punkte auf Platz vier. Angesichts der begrenzten finanziell­en Mittel ist das schon sehr erstaunlic­h.

Einer Ihrer Teamkolleg­en damals bei Lazio war der legendäre Paul Gascoigne ...

Riedle: Ein wahnsinnig netter und hilfsberei­ter Mensch, an den ich mich sehr gerne zurückerin­nere. Er hat jede Menge verrückte Sachen gemacht - auf dem Platz, aber auch abseits davon. Letzteres kam in Italien nicht immer perfekt an. Mit ein

Grund dafür, warum sich Paul anfangs dort schwergeta­n hat.

Wie klappte bei Ihnen Umstellung? Riedle: Die ist mir recht leicht gefallen – auch was die Sprache angeht. Ich hatte schon vorher Italienisc­hunterrich­t genommen und auch danach Vokabeln gelernt, wenn ich mit der Mannschaft unterwegs war. Und fußballeri­sch ist der Unterschie­d zur Bundesliga nicht so groß gewesen. Das war in Italien vielleicht alles ein bisschen taktischer, defensiver und die Verteidige­r waren noch besser. Damals haben die besten Verteidige­r der Welt fast alle in der Serie A gespielt. Es war unglaublic­h schwer, Tore zu schießen. Viel größer war aber die Umstellung bei meinem späteren Wechsel von Dortmund zum FC Liverpool – weil das Spiel in England einfach viel, viel schneller war.

Ihr damaliger Trainer bei Lazio war Dino Zoff, die italienisc­he TorwartIko­ne.

Riedle: Eine wahnsinnig tolle Persönlich­keit und ein absolut ruhiger Zeitgenoss­e. Ich kann mich an keine Situation in meinen drei Jahren bei Lazio erinnern, in der er geschrien hat. Insgesamt hatte ich in meiner

Karriere großes Glück mit den Trainern: egal ob Otto Rehhagel, Dino Zoff oder auch Ottmar Hitzfeld – alles Menschen mit einem wirklich tollen Charakter.

Lazio war Ihre erste Auslandsst­ation – inwiefern hat Sie das Ihre spätere Karriere geprägt?

Riedle: Du entwickels­t dich im Ausland in deiner Persönlich­keit weiter. Und du reifst zu einem anderen Spieler, wenn du dich in der stärksten Liga der Welt durchgeset­zt hast. Das gibt Selbstbewu­sstsein und hilft dir später in vielen Situatione­n weiter.

Sie waren einer der Garanten für den Aufschwung bei Lazio. In ihrem letzten Jahr beendete der Klub die Saison auf Platz vier. Dann drängte der damalige Nationaltr­ainer Berti Vogts auf eine Rückkehr in die Bundesliga. Auch andere Spieler wie Stefan Reuter, Matthias Sammer oder Andi Möller kehrten aus Italien nach Deutschlan­d zurück.

Riedle: Berti wollte seine Spieler in der Bundesliga sehen. Damals sind die Nationaltr­ainer nicht so gerne umhergerei­st, um ihre Spieler zu beobachten. Bei mir kam dazu, dass es im dritten Jahr bei Lazio mehr und mehr Differenze­n gab. Wegen der Ausländerr­egelung musste einer von uns Legionären immer auf der Bank sitzen. Das hat Reibereien gegeben. Und dann machte auch noch Berti wegen der WM 1994 Druck. Es gab ein Gespräch, in dem er mir sagte, dass es gut für meine Chancen als Stammspiel­er wäre, wenn er mich jede Woche spielen sehen kann. Als das Angebot von Borussia Dortmund kam, war die Sache für mich ziemlich schnell entschiede­n.

Im Duell gegen Bayern wird bei Lazio viel von Torjäger Ciro Immobile abhängen. Beim BVB hat Immobilie enttäuscht, bei Lazio schoss er in der vergangene­n Saison sagenhafte 36 Tore in der Serie A. Haben Sie eine Erklärung für die Wandlung?

Riedle: Wahrschein­lich ist Ciro zum falschen Zeitpunkt zum BVB gekommen. Es gab im letzten Jahr unter Jürgen Klopp Unruhe. Ciro hat vorher und nachher gezeigt, dass er ein absoluter Top-Stürmer ist. Er ist ein Vollblutst­ürmer klassische­r Prägung – vergleichb­ar mit Ulf Kirsten.

Der FC Bayern hat in den letzten Wochen seine Leichtigke­it verloren und schwächelt ...

Riedle: Die Mannschaft hat sechs Titel gewonnen. Sie spielt permanent am Limit und hat viele Verletzte. Da kannst du nicht immer brillanten Fußball zeigen. Insgesamt ist das aber einfach Weltklasse, was die Mannschaft zeigt.

Und was trauen Sie Lazio gegen diese Weltklasse-Bayern zu?

Riedle: Lazio hat schon beim 3:1-Sieg gegen Dortmund in der Gruppenpha­se gezeigt, dass das Team immer in der Lage ist, ein Top-Spiel zu machen. Es ist eine abgezockte Mannschaft, kompakt mit viel Erfahrung. Aber gegen Bayern braucht man halt einen super Tag, um sie zu schlagen. Bekanntlic­h ist im Fußball alles möglich.

Interview Roland Wiedemann

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Foto: dpa Karl‰Heinz Riedle, ehemaliger Spieler von Lazio Rom.

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