Guenzburger Zeitung

Mehr Wohnraum, aber wie?

Die Bilanz der Regierungs-Offensive ist umstritten. Bauministe­r Seehofer (CSU) deutet an, wie sich die Städte verändern könnten. Und Olaf Scholz (SPD) setzt auf soziales Bauen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Der Kampf gegen die Corona-Seuche könnte die deutschen Innenstädt­e drastisch verändern. Es droht die Verödung, wenn Händler und Gastronome­n aufgeben müssen und Büros halb leer bleiben, weil die Beschäftig­ten von zu Hause arbeiten. Sei es, weil sie zu lange schließen mussten, sei es, weil die OnlineKonk­urrenz zu stark geworden ist. Bundesbaum­inister Horst Seehofer hat jetzt nach einem Spitzentre­ffen der Bundesregi­erung zur Wohnungsfr­age eine Idee anklingen lassen, was nach der Krise aus den Corona-Brachen werden könnte. Er kann sich vorstellen, dass wieder mehr Leute in die Innenstädt­e ziehen, wenn dort weniger Menschen einkaufen und arbeiten. „Wir haben ein dickes Problem. Das ist die Verödung der Innenstädt­e“, sagte der CSU-Politiker am Dienstag in Berlin nach der Spitzenrun­de.

Er schlug deshalb vor, seitens des Staates massiv in Umbauprogr­amme zu investiere­n, die vor allem private Bauherren unterstütz­en. In seinem Ministeriu­m, so Seehofer, gelte das Prinzip „innen statt außen“. Die Innenstädt­e und Dorfkerne sollen aufpoliert und neu zugeschnit­ten werden, damit Menschen dort wohnen wollen. Im Gegensatz dazu brauche es dann weniger Baugebiete an den Stadtrände­rn. In Bayern hat es ein solches Programm unter der Ägide

Seehofers gegeben. Ohne sie zu erwähnen, hat der Bauministe­r damit den Grünen ein Stück weit recht gegeben, die neuen Eigenheime kritisch zu sehen, über die zuletzt ein Sturm der Entrüstung gezogen war.

Das Thema Wohnen bleibt auch in Zeiten der Pandemie ein Aufreger. Vor zweieinhal­b Jahren hatte die Bundesregi­erung eine Offensive gestartet, um den überdrehte­n Immobilien­markt zu zügeln. Gelungen ist ihr das nicht: Die Preise für Bauland, Häuser und Wohnungen klettern weiter. Dem Betongold-Bonanza

folgen die Mieten. Die Ausnahme unter den großen Städten ist Berlin, weil die Hauptstadt einen Mietendeck­el eingezogen hat. Nach wie vor fallen mehr Sozialwohn­ungen aus der Mietbindun­g, als neue entstehen. Von den angepeilte­n 1,5 Millionen Wohnungen sind nur 1,2 Millionen fertig.

Dennoch verteilt die Bundesregi­erung viel Lob für ihren Vorstoß an sich selbst. Seehofer spricht von einer „stolzen Bilanz“und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt freudig, „doch einiges zustande gebracht“zu haben.

Der Städtebund allerdings mochte das so allein nicht stehen lassen und kippte sozusagen Wasser in den

Wein. Vizepräsid­ent Markus Lewe ist im Hauptberuf Bürgermeis­ter von Münster. In der Universitä­tsstadt sind bezahlbare Buden für Studenten und Wohnungen für junge Familien rar. „Bund und Länder müssen noch mehr unternehme­n, um mehr sozialen und preisgünst­igen Wohnraum zu schaffen“, forderte Lewe.

Er zählt auf, was aus seiner Sicht dafür nötig wäre, um die Preisspira­le zu bremsen. Die Städte brauchen ein potentes Vorkaufsre­cht für Grundstück­e, damit nicht die Investoren gewinnen, die den höchsten Preis bieten können. Bebauungsp­läne müssen Vorrang für günstiges Wohnen definieren dürfen. Baurecht sollen private Investoren nur bekommen, wenn die Kommune einen Mindestant­eil an der Fläche hält und mitbestimm­en kann. Und viertens sollen Sozialwohn­ungen länger in der Mietpreisb­indung bleiben als die üblichen 15 bis 25 Jahre.

Anders als Seehofer und Merkel will Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) nach der Wahl im Herbst nicht in Rente gehen, sondern als Kanzler die Regierung anführen. Er versprach, dass unter seiner Führung der Bund noch mehr für bezahlbare­s Wohnen tun werde. „Wir müssen das Tempo noch anziehen“sagte Scholz. Als Maßzahl gab er 700000 neue Wohnungen an. Das sind mehr als doppelt so viele wie die 300 000 im alten Jahr.

Ein Schreck der Immobilien­konzerne will Scholz dabei nicht werden. Für ihn ist es keine Option, den Mietendeck­el seines Parteifreu­ndes Michael Müller, seines Zeichens Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin, auf ganz Deutschlan­d auszuweite­n. Scholz setzt weiter auf die Mietpreisb­remse, die sich als eher zahnloses Instrument entpuppt hat. Der Kanzlerkan­didat kündigte an, pro Jahr 100000 Sozialwohn­ungen zu bauen. Derzeit ist es nur ein Viertel davon. Allerdings kann der Bund qua Verfassung nur das Geld zur Verfügung stellen, während die Länder für die Projekte zuständig sind. Die tun das mit unterschie­dlichem Ehrgeiz: Laut Seehofer engagieren sich nur sechs der 16 Bundesländ­er beim sozialen Wohnungsba­u.

Im Köcher hat die Große Koalition noch einen Pfeil. Das sogenannte Baulandmob­ilisierung­sgesetz sieht vor, in angespannt­en Wohnungsmä­rkten die Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen zu erschweren. Außerdem sollen die Kommunen einen besseren Zugriff auf Grundstück­e erhalten. Noch allerdings sind die Details im Bundestag umstritten. Auch in der Immobilien­branche gibt es Vorbehalte gegen eine erschwerte Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen. Besitzer von Mietshäuse­rn können Kasse machen, wenn sie ihre Wohnungen in Eigentumsw­ohnungen umwandeln und einzeln verkaufen.

Viele Wohnungen fallen aus der Sozialbind­ung

 ?? Julian Stratensch­ulte, dpa Foto: ?? Deutschlan­d braucht mehr Wohnungen – das ist unumstritt­en. Werden sie künftig wieder mehr in den Innenstädt­en gebaut?
Julian Stratensch­ulte, dpa Foto: Deutschlan­d braucht mehr Wohnungen – das ist unumstritt­en. Werden sie künftig wieder mehr in den Innenstädt­en gebaut?

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