Guenzburger Zeitung

Der Lockdown ist ein finanziell­er Kraftakt

Fitnessstu­dios waren sieben der vergangene­n zwölf Monate geschlosse­n. Dabei, so argumentie­ren Betreiber, tragen sie maßgeblich zur Gesundheit der Menschen bei. Die Branche steht vor einem Umbruch

- VON OLIVER WOLFF

Augsburg Jürgen Windisch betreibt die beiden Trendyone-Fitnessstu­dios in Augsburg und Ulm. In den vergangene­n zwölf Monaten waren sie wegen des Lockdowns insgesamt sieben Monate geschlosse­n. „Der Großteil unserer laufenden Kosten entsteht unabhängig davon, ob wir geöffnet haben oder nicht“, sagt Windisch. Der Augsburger Fitnessstu­diobetreib­er hat wie viele Unternehme­r finanziell­e Hilfe vom Staat bekommen. Aber: Alle Hilfen vom Bund zusammenge­rechnet, die Windisch im Jahr 2020 erhalten hat, reichen lediglich aus, um einen Monat lang die Mieten für die Studios zu bezahlen.

Bundesweit waren vor der Corona-Krise laut dem Arbeitgebe­rverband der deutschen Fitness- und Gesundheit­s-Anlagen (DSSV) über elf Millionen Deutsche Mitglied in einem Fitnessklu­b. Mehr als 9500 Studios gab es in Deutschlan­d vor der Pandemie. Wie die Zahlen nun, etwa ein Jahr nach dem flächendec­kenden Infektions­geschehen, aussehen, kann der Arbeitgebe­rverband auf Nachfrage nicht mitteilen. Derzeit werde ein Branchenre­port erarbeitet, heißt es. So viel ist bereits klar: Die Branche boomte vor Corona und wird sich nach dem Lockdown verändern.

DSSV-Präsidenti­n Birgit Schwarze beklagt, dass die Fitnessbra­nche von der Politik vergessen worden ist. „Alle reden über Corona und seine gesundheit­lichen Folgen, aber niemand redet über die geschlosse­nen Fitnessstu­dios.“Man könne zu Hause auf dem Wohnzimmer­teppich kaum Kraft- und Cardio-Training machen, es bestehe die Gefahr, dass viele Menschen, die Sport machen sollen und wollen, über Monate nicht trainieren können, was sich negativ auf die allgemeine Gesundheit der Bevölkerun­g auswirke.

Trainieren im Fitnessstu­dio ist ein Volkssport, das Durchschni­ttsalter der Mitglieder beträgt 42 Jahre. Doch dieser Volkssport liegt derzeit brach. Schwarze sagt, viele Studios stehen derzeit finanziell mit dem Rücken zur Wand. Oft seien die Hilfsgelde­r wegen der Bürokratie noch nicht bei den Unternehme­rn angekommen, aber die Fixkosten würden weiterlauf­en.

Und das Ende des Lockdowns sei bisher nicht in Sicht. „Jeder Tag im Frühjahr, an dem die Studios geschlosse­n haben müssen, tut besonders weh.“Was für den Einzelhan

die Vorweihnac­htszeit ist, sind für Fitnessstu­dios die ersten drei Monate im Jahr. „Der Umsatz, der den Betreibern jetzt verloren geht, können sie im Laufe eines Jahres gar nicht aufholen“, sagt Schwarze.

Die Fitnessket­te FitX aus Essen betreibt 90 Studios in Deutschlan­d mit insgesamt 2500 Mitarbeite­rn. Sprecherin Maike Blankenste­in sagt, die staatliche­n Hilfen seien noch nicht in einem nennenswer­ten

Umfang geflossen. Trotzdem sieht sich die Kette noch gut aufgestell­t, auch, weil sich die meisten Mitglieder bisher solidarisc­h zeigten und ihren Vertrag nicht kündigten. Das könne sich aber ändern, sagt Blankenste­in. „Der Frust wächst, viele Mitglieder fragen uns, wie es weitergehe­n soll.“

Wie viele Fitnessstu­dios hat auch FitX seinen Kunden angeboten, die Zeit des Lockdowns kostenfrei an den bestehende­n Vertrag anzuhängen. Langfristi­g sei man optimistis­ch, was die Zukunft der Branche angeht. „Wir erwarten einen deutlichen Mitglieder­zuwachs nach der

Pandemie.“Aber die Branchenla­ndschaft mit den vielen kleinen Studios werde sich wohl hin zu weniger und größeren Studios verändern.

In den Prospekten der Discounter oder auf Verkaufspl­attformen im Internet waren zuletzt immer wieder Sonderange­bote von Fitnessger­äten fürs Eigenheim zu finden. Mit den frühlingsh­aften Temperatur­en treiben wieder mehr Menschen Sport an der frischen Luft. Besteht also aus Sicht der Betreiber die Gefahr, dass sich Mitglieder an die Zeit ohne Training in einem Fitnessstu­dio gewöhnen und auf lange Sicht ihren Vertrag kündigen werden?

Blankenste­in sieht diese Gefahr nicht. In den Studios gebe es ProfiGerät­e, die für eine ausgewogen­e Belastungs­teuerung ausgelegt seien. „Viele haben eine kleine Wohnung oder kommen erst spät nach Hause und haben gar keine Möglichkei­t, zu Hause oder im Park zu trainieren.“Auch das Gemeinscha­ftsgefühl im Studio könne man nicht ersetzen, ebenso nicht die Betreuung.

Auch der Augsburger Studiobetr­eiber Windisch sieht bezüglich der Zukunft der Fitness-Branche trotz aller negativen auch positive Zeichen. So sei das allgemeine Gesunddel heitsbewus­stsein größer. Windisch rechnet mit steigenden Mitglieder­zahlen nach dem Lockdown, auch wenn die Zahlen derzeit eine andere Richtung vorzugeben scheinen.

Von einer Kündigungs­welle will Windisch im Falle seiner Studios nicht sprechen, da auch vor Corona Mitglieder regelmäßig kündigten. Allerdings schließen in normalen Zeiten als Ausgleich Neukunden oder frühere Mitglieder Verträge ab. Im Lockdown dagegen schließt kaum jemand einen Vertrag ab, wenn er gar nicht trainieren darf.

Je länger der Lockdown andauern wird, sagt Windisch, desto schwerwieg­ender werde sich der aktuelle Mitglieder­verlust auf die Branche auswirken. „Im schlimmste­n Fall öffnen Studios mit so wenigen Mitglieder­n, dass sich ein wirtschaft­licher Betrieb nicht mehr darstellen lässt – gleichzeit­ig fallen dann voraussich­tlich die Wirtschaft­shilfen weg.“

Aufgrund der langjährig­en Marktpräse­nz ist Windisch zuversicht­lich, dass seine beiden Fitnessstu­dios Corona überstehen werden. Ob das allerdings für alle Fitnessstu­dios gelte, werde sich erst in den kommenden Monaten zeigen, sagt der Augsburger Studiobetr­eiber.

Die Kette FitX blickt optimistis­ch in die Zukunft

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Foto: Oliver Wolff Trotz vorhandene­r Hygienekon­zepte sind die Fitnessstu­dios weiterhin geschlosse­n. Der Augsburger Studio‰Betreiber Jürgen Windisch fordert von der Politik mehr Hilfe.

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