So verbreitet sind die Mutationen
Was wurde aus dem Verdacht, die bereits als ausgerottet geltende dänische Variante des Virus sei in Bayern aufgetaucht? Ein Überblick über die im Freistaat kursierenden Mutanten
Eigentlich ist es eine gute Nachricht: Die Inzidenzwerte in vielen Landkreisen in Bayern sinken, auch die Corona-Karte färbt sich von Tag zu Tag heller. Doch trotz dieser Fortschritte blicken Politiker und Wissenschaftler voller Sorge auf das Coronavirus. Der Grund dafür sind die verschiedenen Mutationen, von denen bereits etliche Fälle in Bayern bekannt wurden – deren Auswirkungen jedoch bislang alles andere als absehbar sind. So warnte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kürzlich: „Die Zahl der Corona-Infektionszahlen geht zwar in Bayern derzeit zurück. Wir dürfen aber die Risiken durch noch ansteckendere Virus-Mutationen nicht unterschätzen!“
Für zusätzliche Aufregung sorgte in diesem Zusammenhang vor drei Wochen ein Verdacht des Augsburger Labor ArminLabs (wir berichteten). Dieses hatte nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit der Salzburger Firma Procomcure zehn Fälle der dänischen Nerz-Mutation in Bayern entdeckt, drei davon aus dem Landkreis Neu-Ulm. Was ist seither passiert? Hat sich der Verdacht bestätigt, dass sich neben der britischen, der südafrikanischen beziehungsweise der brasilianischen Mutation auch diese Variante in Bayern ausbreitet?
Armin Schwarzbach, Geschäftsführer von ArminLabs, hat heute mehr Informationen. Auf Nachfrage erklärt er: „Wir wissen mittlerweile, dass es sich um eine Variante handelt, die der dänischen Mutation Cluster 5 bis auf eine Aminosäure gleicht.“Die dänische Variante galt eigentlich seit November als ausgerottet, damals waren in Dänemark, wo die Mutation zuerst auf Nerzfarmen aufgetaucht war, 15 Millionen der Tiere getötet worden. Nachdem sich Ende Januar der Verdacht erhärtet hatte, diese Variante hätte sich trotzdem in Bayern ausgebreitet, beschloss das Salzburger Unternehmen, die betroffenen positiven Proben an ein unabhängiges Unternehmen zur vollständigen GenomSequenzierung zu schicken und untersuchen zu lassen, berichtet der Labormediziner. Das ist ein Verfahren, mit dem solche Virus-Mutationen üblicherweise identifiziert werden, dabei wird das komplette Erbgut des Erregers bestimmt. „Es deutet aber mittlerweile für uns einiges darauf hin, dass es sich bei dieser Variante um eine eigene Mutation handeln könnte.“
Ähnlich äußert sich zu dem Sachverhalt auch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Ein Sprecher teilte mit, dass das LGL zur Abklärung Kontakt mit dem zuständigen Labor aufgenommen habe. „Nach Rücksprache stellte sich heraus, dass auf Basis der durchgeführten Untersuchungen aus fachlicher Sicht nicht vom Nachweis der dänischen Variante gesprochen werden kann.“Es scheint, dass sich der Verdacht, dass sich auch die dänische Mutation in Bayern verbreitet, also nicht bestätigt hat. Doch ein Grund zum Aufatmen ist das leider nicht. Denn die Ausbreitung der anderen Mutationen in Bayern wird mehr und mehr zum Problem.
Der Landesamt-Sprecher erklärte, dass das LGL-Labor bislang bei etwas über 20 Prozent der positiven Corona-Proben die britische Variante feststellen konnte, bei knapp vier Prozent die südafrikanische. Ministerpräsident Markus Söder sprach sogar davon, dass der Anteil aller Mutationen an den Neuinfektionen auf 28 Prozent angestiegen sei. Diese Quoten für Bayern würden sich mit den Angaben des Robert-Koch-Institutes für ganz Deutschland decken, so der LGLSprecher. Angesichts dieser Zahlen ordnete Bayerns Gesundheitsminister Holetschek deshalb nun an: „In Bayern müssen ab sofort alle positiven Sars-CoV-2-Proben mit einer speziellen variantenspezifischen PCR untersucht werden. Mit dieser Methode lassen sich Merkmale im Virus finden, die auf eine der kritischen Virusvarianten hindeuten.“
Demnach wurden am LGL bislang 338 Proben einer Gesamtgenom-Sequenzierung unterzogen, so der Stand Mitte Februar. Mittels Varianten-PCR, kurz vPCR, wurden bereits 3781 positive Proben untersucht. Dabei fand sich bisher in 798 Fällen der Verdacht auf die britische Variante, in 146 Fällen der Verdacht auf die südafrikanische beziehungsweise brasilianische Variante. Bisher hat sich bei 25 Proben mit vPCR-Verdacht auf die britische Variante das Ergebnis in der Gesamtgenomsequenzierung bestätigt, bei 14 Südafrika/BrasilienvPCRs wurde durch die Gesamtgenomsequenzierung die SüdafrikaVariante bestätigt. Die höchsten Anteile an britischen Verdachtsfällen wurden nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums in den grenznahen Landkreisen Bayreuth und Wunsiedel festgestellt. Danach folgen die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land sowie Würzburg. Proben mit Verdacht auf die südafrikanische beziehungsweise brasilianische Variante stammen aus dem Landkreis Traunstein.
Es sind Fallzahlen, die von vielen mit Sorge beobachtet werden. Unter ihnen ist auch Professor Clemens Wendtner, Chefarzt und Infektiologe an der München Klinik Schwabing. Er sagt: „In Portugal hat sich im Januar innerhalb von nur sieben Tagen der Anteil der britischen Virusvariante von sechs Prozent auf 20 Prozent erhöht – bei uns zeigt sich aktuell die gleiche Entwicklung.“Die Ausbreitung der Mutanten sei wie ein Brandbeschleuniger gewesen. „Wir müssen jetzt das Infektionsgeschehen unbedingt flach halten und eine Ausbreitung der Mutanten im Keim ersticken.“
Denn nach wie vor herrscht Unsicherheit darüber, wie gefährlich die Mutationen wirklich sind. In einem Schreiben des bayerischen Gesundheitsministeriums heißt es dazu: Die sogenannten „besorgniserregenden Virusvarianten“scheinen nach derzeitigem Wissensstand offenbar selektive Vorteile zu haben. Möglicherweise seien sie ansteckender und könnten zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. Außerdem, so vermutet das Ministerium, besteht die Gefahr, dass die bereits zugelassenen Impfstoffe und Arzneimittel nicht mehr so gut gegen die Varianten wirken könnten. „Daher ist es von höchster Bedeutung zu erfassen, inwieweit neue Virusvarianten bereits verbreitet sind. Oberstes Ziel ist es, eine weitere Ausbreitung der neuen Virusvarianten im Freistaat zu verhindern.“