Guenzburger Zeitung

Flirt mit Gestern

Muss man wegen ein paar nostalgisc­her Gefühle auf moderne Technik und zeitgemäße Sicherheit verzichten? Nein, manchmal sind Neuwagen im Retro-Look eine Alternativ­e zu richtigen Oldtimern. Preislich ist oft nicht viel um

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Wer auf die Optik alter Autos steht, muss nicht gleich zum Oldtimer greifen. Da gibt es praktische­re Alternativ­en der Neuzeit. Zwar haben alte Autos allemal ihren Charme, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverstä­ndigenvere­inigung KÜS. Doch handelt man sich im Alltag ein paar handfeste Nachteile ein. „Nicht nur die Komfortaus­stattung ist zumeist sehr viel dürftiger als bei modernen Autos, sondern vor allem bei der Sicherheit muss man dramatisch­e Abstriche machen“, sagt Marmit. Airbags sind bei Oldtimern noch eine Seltenheit und elektronis­che Assistenzs­ysteme völlige Fehlanzeig­e. Vom erhöhten Wartungsau­fwand und häufigeren Reparature­n ganz zu schweigen. „Tagein, tagaus einfach einsteigen und losfahren – das klappt nur bei den wenigsten Oldtimern“, so Marmit.

Vor diesem Hintergrun­d schauen viele Kunden nach sogenannte­n Retro-Modellen, mit denen die Hersteller den Geist der guten alten Zeit mit Design und Philosophi­e eines neuen Modells einfangen, bewahren oder in die heutige Epoche übertragen wollen. „Beispiele dafür gibt es viele“, sagt Frank Wilke von der Oldtimer-Preisbewer­tung Classic Analytics, „doch gelungen ist das bislang in den seltensten Fällen.“

Ganz gut zu gelingen scheint der Transfer noch bei neuen Kleinstwag­en wie dem Schweizer Microlino und dem ganz ähnlich gestrickte­n Karo von Artega, die beide die Isetta aus den 1950er Jahren zitieren: „Natürlich gibt es technisch keine Parallelen und statt des Zweizylind­ers nun einen E-Motor, aber damals ging es vor allem um minimalist­ische Mobilität und viel Platz auf wenig Raum“, sagt Wilke. „Zwei Anforderun­gen, die auch die Neuinterpr­etationen erfüllen. Und zudem noch Spaß bieten wollen und ein gutes Gewissen.“Wo es eine originale Isetta für knapp 20000 Euro gibt, sollen die Nachfolger bei Artega knapp 14000 und bei Microlino 12 000 Euro kosten.

Weniger zufrieden ist Wilke dagegen mit der Generation­enfolge beim Mini. Zwar loben Legenden wie der finnische Rennfahrer Rauno Aaltonen, der mit dem Original die Rallye Monte Carlo gewonnen hat, die Agilität des neuen Modells und schwärmen vom gleichen GokartGefü­hl. Doch für Wilke hat der aktuelle Mini mit seinem Vorgänger nicht viel mehr gemein als den Namen und die Glubschaug­en. „Wer echtes Mini-Feeling will, der muss auch einen echten Mini kaufen“, sagt der Experte und beziffert den Durchschni­ttspreis eines Erstlings als Cooper S auf 31500 Euro, während die Briten heute ihre Preisliste bei knapp unter 18 000 Euro starten.

Ähnlich kritisch fällt Wilkes Urteil über den Porsche 911 aus – selbst wenn der eigentlich kein Retro-Modell ist, sondern über die Jahrzehnte kontinuier­lich weiterentw­ickelt wurde. Ja, Typenkürze­l, Silhouette und Gesicht sind unveränder­t, räumt der Experte ein. „Doch aus einem leichten Sportwagen, der mit wenig Leistung viel Spaß geboten hat, ist jetzt ein schwerer Sportwagen geworden, der noch mehr Leistung hat und seine Punkte nach dem Motto ,viel hilft viel‘ macht“, sagt Wilke. Immer noch ein tolles Auto, nur nicht mehr die alte Idee. Auch bei dieser Paarung spricht der Preis allerdings fürs neue Modell, muss Wilke einräumen: Einen 911 S von 1967 führt er mit 148000 Euro, einen vergleichb­aren 911 S von 2020 mit 118751 Euro.

Besser gelungen ist die Generation­enpflege ausgerechn­et Ford. „Natürlich hat sich auch der Mustang deutlich weiterentw­ickelt, wovon man nicht zuletzt durch bessere Technik, liebevolle­re Verarbeitu­ng und ein ausgereift­eres Fahrwerk profitiert“, sagt Wilke.

Aber die Idee vom hemdsärmel­igen Sportwagen mit viel Leistung für wenig Geld sei über die Jahre erhalten geblieben. So nah, wie sich die Autos sind, sind sich dafür aber auch die Preise: 46000 Euro für einen Mustang GT von 1965 stehen 49 300 Euro für einen aktuellen GT gegenüber. Das macht die Entscheidu­ng nicht einfacher. T. Geiger, dpa

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Foto: BMW AG, dpa Ganz schön zugelegt: Beim Größenverg­leich mit der Neuauflage wirkt der klassische Mini fast wie ein Spielzeuga­uto.

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