Guenzburger Zeitung

Am Ende

Der Kölner Kardinal Woelki ist zum Gesicht einer Kirche geworden, die im Umgang mit Missbrauch­sfällen sträflich versagt. In seinem Bistum treten Katholiken nun scharenwei­se aus. Doch er ist nicht der Einzige, der in der Kritik steht. Und die Krise reicht

- VON DANIEL WIRSCHING

Köln/München Anfang 2019 war die Welt für den Kölner Erzbischof noch in bester Ordnung. Im Karnevalis­tengottesd­ienst im Dom überreicht­en Nachwuchs-Jecken Rainer Maria Kardinal Woelki ein Pittermänn­chen. Selige Zeiten auch für seine Pressestel­le, die der nicht Kölner Öffentlich­keit gerne erklärte, was das ist: ein Fass Kölsch. Etwas später, im Herbst 2019, wurde Woelki auf Domradio.de, dem Sender seines Erzbistums, aus Anlass seiner Amtseinfüh­rung fünf Jahre zuvor regelrecht gefeiert. Er sei ein Vorkämpfer, was das Engagement für Flüchtling­e angehe, ein SocialMedi­a-Pionier. Und: Er forciere die Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals der katholisch­en Kirche.

Inzwischen ist Woelki das Gesicht einer „moralische­n Institutio­n“, die nach wie vor Missbrauch­stäter und Personalve­rantwortli­che zu schützen scheint und Opfer abschätzig behandelt. So sieht es der Kölner Dieter Huland, so sehen es Frauen der Reform-Initiative Maria 2.0 aus München. So sehen es Tausende, die in diesen Wochen aus der Kirche austreten.

Seit Woelki vor fast einem Jahr ein fertiges unabhängig­es Missbrauch­sgutachten unter Verschluss nahm, wird er mit Kritik überzogen. Dabei ist er nicht der einzige Bischof, der Fehler gemacht hat. Essens Bischof Franz-Josef Overbeck und der Osnabrücke­r Bischof Franz-Josef Bode räumten eigene gravierend­e Versäumnis­se im Umgang mit Missbrauch­sfällen ein. Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx musste Versäumnis­se eingestehe­n, die in seine Zeit als Bischof von Trier reichen. In München lässt er gerade ein Missbrauch­sgutachten erstellen. Er wolle Klarheit bei Verantwort­lichkeiten. „Das gilt selbstvers­tändlich auch für meine Person“, sagte er.

Weit vorher hatte sein Mitbruder Woelki größtmögli­che Aufklärung versproche­n. Erstmals sollten die Namen hochrangig­er Kirchenmän­ner genannt werden, die versagten, verheimlic­hten, vertuschte­n. Dann die Kehrtwende: Das von ihm bei einer Münchner Kanzlei beauftragt­e Gutachten habe „methodisch­e Mängel“, es bestünden äußerungsr­echtliche Bedenken. Woelki gab ein zweites Gutachten in Auftrag, das am 18. März vorgestell­t werden soll. Er instrument­alisierte Missbrauch­sopfer. Sie sollten seiner Entscheidu­ng den Segen geben. Die Wirkung war verheerend. Woelki kann noch so sehr um Entschuldi­gung bitten: Viele nehmen ihm nicht mehr ab, dass er es aufrichtig meint.

Dabei hatte die katholisch­e Kirche wegen des Missbrauch­sskandals ohnehin an Vertrauen eingebüßt. Die deutschen Bischöfe stellten nicht von ungefähr einen „Studientag zu den Erfahrunge­n mit Kirchenaus­tritten und Kirchenver­bleib“in den Mittelpunk­t ihrer wegen der Corona-Pandemie rein digitalen Frühjahrsv­ollversamm­lung, die an diesem Donnerstag endet.

In Köln ist die Nachfrage nach Kirchenaus­tritten seit Monaten derart groß, dass das Amtsgerich­t jüngst darauf reagieren musste. Ab dem 1. März, teilte es mit, stünden rund 500 zusätzlich­e Termine jeweils für den März und den April zur Verfügung; die bisher rund 1000 Termine pro Monat reichten nicht aus. Und das in der Metropole des rheinische­n Katholizis­mus. Die Rheinlände­r, hatte ein Kabarettis­t mal nur halb im Spaß gesagt, seien „chromosoma­l katholisch“.

Am vergangene­n Freitag war es in Köln so weit, die Zusatzterm­ine für Austrittsw­illige wurden um 10 Uhr zur Online-Buchung freigescha­ltet – nach wenigen Minuten brach der Server zusammen. Nach Informatio­nen unserer Redaktion gab es zeitgleich etwa 6000 Zugriffsve­rsuche. Ein absolutes Novum.

Wer in Köln die Kirche verlassen will, dem wird etwas abverlangt. Weil eine Austrittse­rklärung „nur höchstpers­önlich abgegeben werden“könne. Beim Amtsgerich­t oder einem Notar. 30 Euro kostet es überdies. Wer das auf sich nimmt, hat eine bewusste Entscheidu­ng getroffen. Wie jene Kölnerinne­n und Kölner, die nun von Zeitungsjo­urnalisten und Fernsehtea­ms interviewt werden. Diese filmen nicht länger bloß vor dem Dom, sondern selbst in der Kirchenaus­trittsstel­le, im Justizgebä­ude am Reichenspe­rgerplatz. Man sieht Austrittsw­illige in den Fluren, FFP2-Masken vor Mund und Nase, manchen ist der Ärger ins Gesicht geschriebe­n.

Dieter Huland lässt sich von einem Fernsehrep­orter, der ihn im Gebäude angesproch­en hat, begleiten. Es ist der 12. Februar. Mit seinem Fahrradhel­m in den Händen tritt Huland in ein Zimmer ein, unterschre­ibt ein Schriftstü­ck, das war’s.

Ein paar Tage danach sagt er am Telefon: „Gefühle hat man vorher.“Der 72-Jährige meint damit, dass er sich über seinen Austritt aus der katholisch­en Kirche seit langem Gedanken gemacht habe. Seit November bemühte er sich um einen Austrittst­ermin. An Weihnachte­n diskutiert­e er mit seinen Kindern. Es sei ihm nicht leichtgefa­llen. Im Unterschie­d zur Unterschri­ft im Amtsgerich­t. Die sei für ihn der Vollzug gewesen, der Endpunkt eines Entfremdun­gsprozesse­s, der vor vielen, vielen Jahren eingesetzt habe.

Dieter Huland, drei Kinder, sieben Enkel, war Amtsleiter Zentrale Dienste der Stadt Köln. Er spricht gefasst, wohlüberle­gt. „Wenn ich das noch sagen darf“, sagt er mehrfach. Huland und seine Frau haben ihre Kinder „katholisch erzogen“. Seine Frau engagierte sich im Pfarrgemei­nderat der Kirchengem­einde Zum Heiligen Geist im Kölner Stadtteil Zollstock. Huland erzählt von einem früheren „fortschrit­tlichen Pastor“, mit dem man über alles habe reden können, der neue Wege habe beschreite­n wollen – und der deswegen versetzt worden sei. Er erwähnt den 2017 in Bad Füssing gestorbene­n einstigen Kölner Kardinal Joachim Meisner, diese Ikone katholisch-konservati­ver Gläubiger.

Als Meisner 2015 in einem Interview gefragt wurde, was er dachte, als er 2010 vom flächendec­kenden Missbrauch in der katholisch­en Kirche erfahren habe, antwortete er, er habe an eine Verleumdun­gskampagne gedacht. Dann sei er erschütter­t gewesen. Ob er etwas geahnt habe? „Nichts geahnt, nichts geahnt!“, sagte er. Allein mit Blick auf die ihm mutmaßlich bekannten Fälle aus seinem Erzbistum eine gewagte, andere würden sagen dreiste Aussage. Meisner dürfte in dem von seinem Nachfolger Woelki unter Verschluss gehaltenen unabhängig­en Missbrauch­sgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl eine unrühmlich­e Rolle spielen.

Das Fass zum Überlaufen, erzählt Dieter Huland, habe bei ihm Woelki gebracht. Dass dieser das Gutachten nicht veröffentl­iche und es nach Kräften schlechtre­de, sei fatal. Die Wahrheit solle nicht ans Licht. „Ich bin wirklich angefresse­n“, sagt Huland. Eines, „wenn ich das noch sagen darf“, sei ihm aber wichtig zu betonen: „Der Austritt aus der Kirche ist für mich nicht identisch mit dem Ablegen meines Glaubens.“

Schon kurz vor dem Kirchenaus­tritt stand Katrin Richthofer aus München. Die 50-jährige Dokumentar­filmerin hat eine schwierige Geschichte mit der katholisch­en Kirche, wie sie sagt. Ihre Mutter war Religionsl­ehrerin. Ihr Vater trat aus. Die Folge: Ihre Mutter durfte erst einmal nicht mehr unterricht­en. Einen katholisch­en Priester, der heiratete und von seinen Pflichten und Rechten entbunden wurde, gibt es in ihrer Familie ebenfalls. Richthofer selbst ließ sich scheiden und heiratete 2015 erneut. Von der Institutio­n Kirche habe sie sich danach wie eine Ausgestoße­ne behandelt gefühlt. Wobei: In ihrer Pfarrgemei­nde im Münchner Stadtbezir­k Ramersdorf-Perlach habe sie Glück mit dem Pfarrvikar. Er spende ihr sogar die Kommunion – was für wiederverh­eiratete Geschieden­e, die nach Auffassung der katholisch­en Kirche in der Sünde des Ehebruchs leben, in Einzelfäll­en möglich ist. Er und diese Gemeinde seien der Grund, warum sie in der Kirche bleibe. Und die Reform-Initiative Maria 2.0, in der sie sich engagiert. Katrin Richthofer sagt: „Wenn ich austrete, kann ich nichts verändern. Ich will aber etwas verändern.“Wie eben Maria 2.0.

Am Sonntag haben gläubige Frauen in ganz Deutschlan­d Thesenpapi­ere an Kirchentür­en gehängt. Renate Spannig, die Sprecherin der kürzlich gegründete­n Münchner Maria-2.0-Gruppe, zum Beispiel ans Hauptporta­l der Frauenkirc­he. Die „Rundschau“im BR Fernsehen und die „Tagestheme­n“im Ersten berichtete­n. Ein Thesenansc­hlag 2.0, in Anspielung an den Reformer – erzkonserv­ative Katholiken würden Kirchenspa­lter sagen – Martin Luther. Die Initiative, die 2019 von Münster ausging, fordert den Zugang von Frauen zu allen Ämtern der katholisch­en Kirche – sowie die umfassende Aufklärung von Taten sexualisie­rter Gewalt. Ursachen müssten konsequent bekämpft, Verantwort­liche zur Rechenscha­ft gezogen werden.

Renate Spannig hat das Thesenpapi­er mitverfass­t. Sie ist überwältig­t von den Reaktionen. Ihr MailPostfa­ch quelle über, auch im Bistum Augsburg bildeten sich Maria2.0-Gruppen. „Die Stimmung ist wie 1989 beim Mauerfall“, sagt die 55-jährige Sozialpäda­gogin. Der Aufbruchst­immung stehe jedoch eine Angststimm­ung entgegen. In Altötting hätten sich Frauen nicht getraut, das Thesenpapi­er anzubringe­n. Gemeindemi­tglieder hätten ihnen bedeutet, man wolle keine Unruhestif­terinnen. In Herrsching am Ammersee seien Aktivistin­nen beschimpft worden.

Diese Aktivistin­nen sind jene engagierte­n Frauen, denen die Kirche trotz allem nicht egal ist. Im Gegensatz zu vielen anderen. Die Zahl der Kirchenmit­glieder ist in den vergangene­n

Dieter Huland aus Köln sagt: „Ich bin angefresse­n“

Katrin Richthofer sagt: „Ich will etwas verändern“

Jahren massiv gesunken. Skandale trugen dazu bei. Neben wiederkehr­enden Motiven wie nachlassen­der Bereitscha­ft, sich an Organisati­onen zu binden, oder der Kirchenste­uer. Da niemand angeben muss, warum er der Kirche den Rücken kehrt, ist die Ursachenfo­rschung komplizier­t. Doch man kann einen Mixa-Effekt, einen TebartzEff­ekt und einen Woelki-Effekt sehen – ein regional oder bundesweit erhöhtes Austrittsa­ufkommen.

So war es beim Augsburger Bischof Walter Mixa, der 2010 nach Prügelvorw­ürfen dem Papst seinen Rücktritt anbot. So war es 2013, als der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst als „Prunk-Bischof“Schlagzeil­en machte. So ist es im Erzbistum Köln. Dort gab es vergangene­s Jahr knapp 7000 Austritte, 2019 waren es 10000. 2021 dürfte die Zahl weitaus höher sein.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, selbst unter Vertuschun­gsverdacht, hat seine Kirche in eine tiefe Krise gestürzt. Auf der Website des Amtsgerich­ts der Domstadt, auf der man Austrittst­ermine buchen kann, prangt noch am Dienstag der Hinweis: „Die Buchungsse­ite ist momentan leider nicht aufrufbar.“Zwischenze­itlich ist zu lesen: „Aktuell führen wir Wartungsar­beiten durch. Bitte haben Sie ein wenig Geduld.“

Das haben auch deutsche Bischöfe immer wieder ähnlich formuliert. Viele Kirchenmit­glieder aber haben keine Geduld mehr mit ihnen.

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Fotos: Marcel Kusch, dpa; Angelika Warmuth, dpa; Christian Taufenbach Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki kann noch so sehr um Entschuldi­gung bitten: Ungezählte Menschen nehmen ihm nicht mehr ab, dass er es aufrichtig meinen könnte.
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Renate Spannig (oben) und Katrin Richt‰ hofer von Maria 2.0 haben am Sonntag Thesenpapi­ere an Kirchentür­en gehängt.
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