Guenzburger Zeitung

Wie Corona die Politik an ihre Grenzen bringt

Leitartike­l Die einen versuchten es mit Härte, die anderen schwankten hin und her. Letztlich waren alle Ansätze begrenzt erfolgreic­h. Das heißt: Alle müssen umdenken

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Corona bringt uns alle an unsere Grenzen. Aber das Virus zeigt auch Politikern Grenzen auf, gerade war das gleich drei Mal zu beobachten. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte über Wochen fast monstranza­rtig Inzidenzwe­rte vor sich hergetrage­n. Erst sollten diese auf 50, später auf 35 fallen, vorher seien größere Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen undenkbar. Kurz vor dem nächsten Krisentref­fen mit den (ungeduldig­en und daher flexiblere­n) Ministerpr­äsidenten zeigt sich die Kanzlerin auf einmal selber flexibel – nun soll ein breiterer Mix an Faktoren über Öffnungspa­kete entscheide­n, etwa auch die Zahl der Intensivbe­tten.

Armin Laschet, der gerne Merkels Nachfolger werden würde, versuchte es andersheru­m. Er schimpfte über einen zu harten Kurs und forderte, man dürfe nicht ständig neue Inzidenzwe­rte „erfinden“, es müsse wieder Leben möglich sein. Als es Kritik an seiner Kritik hagelte, schränkte Laschet diese wieder ein.

Und Markus Söder, den viele für Merkels möglichen Nachfolger halten? Er marschiert­e lange besonders vorsichtig an deren Seite. Doch nun will er mehr lockern als erwartet, auch Baumärkte oder Nagelstudi­os sind auf einmal in Bayern wieder öffnungsre­levant.

Kippt da was? Bekommt die Politik Angst vor der Wut der Bürger, auch der Wirtschaft, die trotz noch ziemlich hoher Zustimmung­swerte deutlich vernehmbar­er wird?

Die einfache Antwort lautet: Ja, etwas. Das ist aber gar nicht schlimm. Politik stellt, auch wenn es die Politische­n Wissenscha­ften gibt, keine Wissenscha­ft im klassische­n Sinne dar. Sie ist stetes Bohren dicker Bretter – und dazu gehört auch das Eingehen auf öffentlich­e Meinung, das Hören auf Bürger.

In der Pandemie schien das eine Zeit lang nicht zu gelten, das war streckenwe­ise auch richtig. Seuchenbek­ämpfung kann kein individuel­les Wunschkonz­ert sein. Auch wenn manche zeterten, Grundrecht­e würden in der „Corona-Diktatur“ja nicht mehr gelten, sind die Belege dafür höchst dürftig.

Richtig ist aber, dass das Modell Dauer-Lockdown an Grenzen gestoßen ist. Immer wieder entschloss­en zu verkünden, dass man noch einmal kurz durchhalte­n müsse, ehe dann doch kaum Fortschrit­t eintritt, erschöpft alle. Nun als Politik Perspektiv­en zu eröffnen, ist kein Einknicken vor Leugnern und auch kein Harakiri-Kurs. Es verbirgt sich dahinter die Einsicht, dass wir dieses Virus nicht einfach auf null stellen können. Wir müssen lernen, damit zu leben. Tests, Impfungen, Abstandsre­geln können das als Mix leichter machen. Die Politik muss diesen Mix kreativer denken, zumal sie viele nötige Maßnahmen voriges Jahr verschlafe­n hat. Sonst sinkt die Bereitscha­ft aller, Regeln einzuhalte­n – vor allem, wenn mehr Menschen geimpft sind.

Was heißt dies für die Politiker? Merkel muss ihren Traum begraben, zum Abtritt das Virus besiegt zu haben – viele ihrer Versäumnis­se, etwa bei der Digitalisi­erung, wurden in der Krise zudem offenkundi­g. Laschet kann reklamiere­n, auf Sorgen der Bürger früh empathisch hingewiese­n zu haben. An seiner Kommunikat­ion muss er trotzdem arbeiten.

Und Markus Söder, Corona-Umfragenkö­nig? Die CDU müsste ihn als Kanzlerkan­didatur-Retter rufen, sie scheint dazu derzeit wenig gewillt. Das kommt vielen in der CSU – und vielleicht Söder selbst – entgegen. In seiner Partei bleibt er trotz Murrens unumstritt­en, er wird sich aber etwa um den Wirtschaft­sflügel stärker bemühen müssen.

Es gibt jedoch derzeit eine tiefere Sorge in der deutschen Politik. Dass das Vertrauen der Bürger zutiefst erschütter­t ist – und so die Bundestags­wahl zu einem Art Corona-Straftribu­nal wird. Das könnte uns alle an Grenzen bringen.

Die Bürger brauchen eine Perspektiv­e

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