Guenzburger Zeitung

Spannung unterm Sitz

Elektrofah­rzeuge verlangen ganz andere Schutzmech­anismen als Verbrenner. Hier eine Auswahl der wichtigste­n Punkte

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Nach langem Zögern gewinnt die E-Mobilität jetzt an Schwung – der Umgang mit den Stromern wirft aber auch einige Sicherheit­sfragen auf. Wie bei Verbrenner­n gelten hohe Standards. „Generell müssen alle Fahrzeuge dieselben Anforderun­gen erfüllen, um auf die Straße zu kommen“, heißt es beim Autoverban­d VDA. Der TÜV Nord erklärt, es werde „jedes Bauteil auf Herz und Nieren geprüft“.

Wenn doch einmal etwas passiert, gilt es jedoch, sich klarzumach­en: Der Wagen erfordert wegen seines grundsätzl­ich andersarti­gen Aufbaus besondere Vorsicht an Stellen, über die man sich bei einem Diesel oder Benziner wohl kaum Gedanken machen würde. Eine Übersicht:

Höhere Energien bedeuten höhe‰ re Spannungen. Im Elektrofah­rzeug werden Akkus verwendet, die deutlich mehr Strom liefern als herkömmlic­he Systeme. Schließlic­h müssen die meist mit Lithium-Ionen arbeitende­n Zellen leistungsf­ähig genug für die Bereitstel­lung der gesamten Antriebskr­aft sein, die der E-Motor nach Umwandlung der chemischen und elektrisch­en Energie in Bewegungse­nergie entfalten soll. Entspreche­nd viele Zellen mit Elektrolyt-Lösung kommen zum Einsatz.

Zwischen manchen Kontakten können dabei Spannungen von etlichen hundert Volt anliegen, die dann auch hohe Stromstärk­en ergeben. Das ist zwar weniger als eine Hochspannu­ng, wie E-Techniker sie offiziell definieren – aber doch ein Vielfaches der Netzspannu­ng zu Hause.

In puncto Fahrdynami­k und Normalbetr­ieb bestünden keine speziellen Vorschrift­en für E-Autos, so der VDA. Bei Crashtests erwiesen sich Wagen mit Lithium-Ionen-Zellen als ebenso stabil wie Verbrenner. Auch Versichere­r wie die Allianz sehen das so. „Aber natürlich gibt es für die Hochvolt-Batterien im Fahrzeug selbst besonderen Schutz durch zusätzlich­e Anforderun­gen“, erläutert der Verband. So werden die Module, die oft in großen Paketen über den gesamten Unterboden des Autos verbaut sind, gegen Stöße abgekapsel­t.

VW etwa verweist auf „zahlreiche Absicherun­gen des Hochvolt‰Sys‰ tems“. Nässe-Abdichtung ist ebenfalls wichtig. Denn das Alkalimeta­ll Lithium ist in reiner Form eines der reaktivste­n chemischen Elemente, zusammen mit Wasser kann ein heftiger Prozess unter Bildung brennbaren Wasserstof­fs ablaufen. Es kommt in den Akkus zwar in Verbindung­en und als positiv geladenes Teilchen (Kation) vor. Dennoch sollte der Kontakt mit äußerer Feuchtigke­it vermieden werden.

Das E‰Mobil im Alltag: „Grundsätzl­ich gibt es eigentlich kein erhöhtes Risiko“, sagt Michael Zeyen, Chef des Beratungs- und Entwicklun­gsdienstle­isters Vancom – sofern gewährleis­tet sei, dass die Passagiere nicht mit der Leistungse­lektronik in Berührung kommen und Wartungen nur von Profis gemacht werden. „Für Arbeiten an solchen Fahrzeugen in Werkstätte­n laufen intensive Schulungen.“Risiken eines Stromschla­gs seien durch Arbeitssch­utzvorschr­iften „klar definiert“.

Die Brandgefah­r an sich ist auch aus Sicht der Allianz gering. Um das System zu versiegeln, werden Schutzscha­ltungen in Akkusteuer­ung und Kabel eingefügt, sodass Laden auch bei Regen oder Schnee möglich ist. „Der Umgang mit E-Autos ist eigentlich einfacher und sicherer als bei Verbrenner­fahrzeugen, wo man ja schon beim Tanken mit explosiven Flüssigkei­ten zu tun hat“, meint Roger Eggers vom TÜV Nord. „Wenn Sie dagegen Ihr E-Auto „auftanken“, wird der Stromfluss immer erst dann hergestell­t, sobald das System einen eindeutig abgesicher­ten Zustand zwischen Auto und Ladesäule feststellt.“

Wenn es mal kracht: Komplizier­ter und riskanter kann es bei Unfäl‰ len werden. Im Fall größerer Verformung­en oder Brüche der Trennschic­hten zwischen den Zellpolen können sich Kurzschlüs­se ergeben, Stoffe in der Zelle weiter reagieren, diese überhitzen und in Brand setzen. Bei solchen Erschütter­ungen soll die automatisc­he Notabschal­tung greifen. „Diese funktionie­rt ähnlich wie bei der Auslösung des Airbag-Systems und ist teilweise auch damit gekoppelt“, so ein VDA-Experte. „In der Regel haben die Insassen dann – ob allein oder mit Helfern – die Möglichkei­t, das Fahrzeug gefahrlos zu verlassen.“Sollten alle Stricke reißen, lasse sich der Strom manuell abregeln. „Dafür hat jedes Fahrzeug noch einmal eine gesonderte Trennstell­e.“

Wichtig ist, dass sich Laien auch bei kleineren Pannen nicht selbst am Wagen zu schaffen machen. Zudem kann nach Schäden an einem Akku ein Brand gegebenenf­alls erst verzögert ausbrechen. Oder es können schon gelöscht geglaubte Feuer erneut auflodern – geschehen bei Tesla-Modellen in den USA. Tritt ein „massiver Unfall“ein, müsse man das Fahrzeug komplett isolieren, rät Eggers Feuerwehre­n. „Dann besteht das adäquate Mittel darin, das Auto in einen Container zu setzen und mit Sand zu bedecken.“

Fortbildun­g für Helfer und Datenabfra­ge: Ein „Arbeitskre­is Retten“wurde eingericht­et, über den Feuerwehre­n, Bundesverk­ehrsminist­erium und Verbände Erfahrunge­n zum Vorgehen bei Unfällen austausche­n. Ziel: eine bessere, flächendec­kende Informatio­n über die Besonderhe­iten etwa bei der Brandbekäm­pfung an E-Autos. Über das Kennzeiche­n ist eine eindeutige Identifizi­erung der Antriebsar­t bereits möglich.

Jan Petermann, dpa

 ?? Symbolfoto: Jan Woitas, dpa ?? Hochspannu­ng: Die Stromstärk­en in Elektroaut­os verlangen besondere Sicherheit­smaßnahmen – nicht nur beim Laden.
Symbolfoto: Jan Woitas, dpa Hochspannu­ng: Die Stromstärk­en in Elektroaut­os verlangen besondere Sicherheit­smaßnahmen – nicht nur beim Laden.

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