Guenzburger Zeitung

Ein Held, der nicht mehr strahlt

Die Justiz nimmt Österreich­s Bundeskanz­ler und mehrere enge Mitstreite­r ins Visier. Doch sein Umfeld gibt sich unbeeindru­ckt – und versucht, das Vertrauen in Ermittler und staatliche Institutio­nen zu untergrabe­n

- VON WERNER REISINGER

Wien Die Tage, als Sebastian Kurz sich als strahlend-junge, erfolgsver­wöhnte Zukunftsho­ffnung von Europas Konservati­ven präsentier­en und sich dabei auch der Bewunderun­g der internatio­nalen Presse sicher sein konnte, sind fürs Erste gezählt. Seit Monaten kommt die engste Entourage des österreich­ischen Bundeskanz­lers nicht aus den Schlagzeil­en. Es geht um pikante Chat-Nachrichte­n, Korruption­sermittlun­gen und Postengesc­hacher. Zutage gefördert hat all das der Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss, der die „mutmaßlich­e Käuflichke­it“der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Bundesregi­erung untersucht. Nun steht auch der Kanzler selbst im Fokus der Justiz: Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) hat Ermittlung­en gegen ihn eingeleite­t – wegen möglicher mehrfacher Falschauss­age vor eben diesem Untersuchu­ngsausschu­ss.

Vom „neuen Stil“, den der 34-Jährige auf seine Wahlplakat­e drucken ließ, ist wenig übrig geblieben. Die von Kurz 2017 übernommen­e und zur „Bewegung“umgeformte konservati­ve ÖVP hatte noch versucht, die Justiz und vor allem die Korruption­sermittler als politisch motiviert darzustell­en. Von „roten Netzwerken“in der WKStA sprach der Kanzler selbst sinngemäß in einem seiner „Hintergrun­dgespräche“mit Journalist­en, nachdem

immer mehr seiner aktiven und ehemaligen Mitstreite­r als Beschuldig­te in diversen Korruption­sermittlun­gsverfahre­n wiederfand­en. Nun könnte sich Kurz selbst bald vor einem Richter verantwort­en müssen.

Der Hintergrun­d: Bei seiner Einvernahm­e vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss hatte er in Abrede gestellt, persönlich mit der Bestellung seines Vertrauten Thomas Schmid zum hoch dotierten Alleinvors­tand der staatliche­n Beteiligun­gsholding ÖBAG befasst gewesen zu sein. Aus den vorliegend­en Chat-Nachrichte­n zwischen Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli und Schmid allerdings schließen die Korruption­sermittler offenbar das Gegenteil. Bereits knapp zwei Monate vor dem eigentlich ausschlagg­ebenden Gespräch mit Schmid schickte Bonelli eine belastende SMS an den späteren Alleinvors­tand: Mit der ÖBAG sei „alles auf Schiene und mit Sebastian und unserem Team abgestimmt“, heißt es darin.

Damit werden nun bereits vier ÖVP-Männer aus dem innersten Machtzirke­l in jeweils unterschie­dlichen Ermittlung­sverfahren als Beschuldig­te geführt: Thomas Schmid, ehemals Generalsek­retär im ÖVPgeführt­en Finanzmini­sterium; der amtierende ÖVP-Finanzmini­ster und Kurz-Intimus Gernot Blümel, der Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli – und der Bundeskanz­ler selbst. Für alle Genannten gilt die UnschuldsD­och die Situation wird langsam brenzlig für den jungen Regierungs­chef, der nach dem Platzen seiner Koalition mit der rechten FPÖ im Zuge der Ibiza-Affäre 2019 die Macht vorübergeh­end verloren hatte, aus den Neuwahlen wenige Monate später aber als strahlende­r Sieger hervorgega­ngen war. Seit Januar 2020 regiert er in einer Koalition mit den wieder erstarkten österreich­ischen Grünen, denen er immer wieder demonstrie­rt, wer in diesem Bündnis das Sagen hat. Doch nun könnte Kurz selbst in die Defensive geraten.

Auf 58 Seiten haben die Korruption­sermittler akribisch zusammenge­tragen, wieso sie ihn der Falschauss­age beschuldig­en. Auch deshalb erwarten zahlreiche Beobachter, dass die WKStA schon bald einen Strafantra­g gegen den Bundeskanz­ler und seinen Berater Bonelli einbringen wird – tun kann die Behörde das alleine und jederzeit. Den beiden würden dann bis zu drei Jahre Haft drohen.

Für die Opposition ist damit eine von Kurz selbst gesetzte Grenze klar überschrit­ten, wie der Chef der größten Opposition­sfraktion im „Ibiza“-Untersuchu­ngsausschu­ss, der SPÖ-Abgeordnet­e Kai Jan Krainer, im Gespräch mit unserer Resich daktion betont: „Die Grenze ist das Strafrecht – das hat der Kanzler selbst gesagt. Es ist undenkbar, dass jemand Regierungs­mitglied bleibt, der von der Justiz beschuldig­t wird“, sagt Krainer, der „fix mit einer Anklage“gegen Kurz rechnet. Spätestens dann sei der Rücktritt des Kanzlers fällig, das sieht auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner so. Man versuche, „Falschauss­age zu einem Kavaliersd­elikt zu machen“, sagt Helmut Brandstätt­er, Ausschussm­itglied für die liberalen Neos. Die FPÖ fordert Kurz auf, sofort zurückzutr­eten.

Dass der Kanzler keine Sekunde an einen freiwillig­en Abgang denkt, auch nicht im Falle einer Anklage, geht aus seinem kurzen Statement vor dem Ministerra­t am Mittwochvo­rmittag klar hervor: Ein Strafantra­g gegen ihn hätte aus seiner Sicht „keine Konsequenz­en“. Er selbst gehe davon aus, dass die WKStA den Strafantra­g tatsächlic­h einbringen werde. „Ich habe spätestens dann vor dem Richter die Möglichkei­t, auch meine Sicht der Dinge darzulegen“, sagte Kurz. Dem werde er auch „sehr gerne nachkommen“.

Der Umgang der Kurz-Partei sowohl mit der Justiz wie auch mit dem Parlament war in den vergangene­n Wochen immer irritieren­der geworden: ÖVP-Parlaments­präsident Wolfgang Sobotka, der trotz persönlich­er Involvieru­ng in den Untersuchu­ngsgegenst­and noch imvermutun­g. mer den Vorsitz im U-Ausschuss führt, hatte sich dafür ausgesproc­hen, dort die Wahrheitsp­flicht abzuschaff­en. In Deutschlan­d gelte eine solche in Untersuchu­ngsausschü­ssen nicht, hatte er fälschlich­erweise behauptet. Ein „Missverstä­ndnis“sei das gewesen, hieß es später aus der ÖVP. Tourismusu­nd Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger verglich den Untersuchu­ngsausschu­ss gar mit dem Bauernthea­ter „Löwingerbü­hne“, und Kurz selbst sprach im ORF am Mittwochab­end sinngemäß davon, dass man im Ausschuss versucht habe, ihn bewusst in Widersprüc­he zu verwickeln, um ihm dann einen Strick daraus zu drehen.

Die ÖVP-Spitze habe in den vergangene­n Wochen versucht, „es so darzustell­en, als wären Ermittlung­sverfahren der Justiz bestenfall­s Gesprächse­inladungen“, kommentier­t Alois Birklbauer, Strafrecht­sprofessor an der Uni Linz, dieses Verhalten. Diese Diskrediti­erung der Justiz habe „eine neue Qualität“.

Kurz’ Koalitions­partner, die Grünen, verhalten sich bislang zurückhalt­end. Man habe „vollstes Vertrauen in die Justiz“, hieß es am Mittwoch. Ob man bei einer Anklage gegen den Kanzler dessen Rücktritt fordern werde, wie dies die Grünen-Parteichef­in Sigrid Maurer im Falle von Finanzmini­ster Gernot Blümel angekündig­t hatte, wollte man am Donnerstag nicht beantworte­n.

Kurz sieht keinen Anlass für einen Rücktritt

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Foto: Alex Halada, Imago Images Sebastian Kurz steckt in der schwierigs­ten Phase seiner zweiten Amtszeit als österreich­ischer Bundeskanz­ler.

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