Guenzburger Zeitung

„Es ging immer um Gerechtigk­eit“

Beate weiß nichts vom Holocaust, bis sie 1960 auf den Überlebend­en Serge trifft. Die beiden werden ein Power-Paar: Fortan arbeiten die Klarsfelds NS-Verbrechen auf. Nun erscheint ein Comic über ihr Leben

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Paris Die Ohrfeige saß. Beate Klarsfeld hat sie berühmt und die NaziVergan­genheit von Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger bekannt gemacht. 1968 war das, seither haben Beate und ihr Mann Serge Klarsfeld NS-Verbrecher um die ganze Welt gejagt, um sie vor Gericht zu bringen. Jetzt erscheint eine famose Graphic Novel über das aufregende Leben des Ehepaars.

Frau Klarsfeld, lesen Sie Comics? Beate Klarsfeld: Ich nicht, aber mein Mann hat von klein auf Comics gelesen, auch meine Kinder. Jetzt sind schon die Enkel dran, die natürlich unser Buch auf Französisc­h bekommen haben.

Und?

Klarsfeld: Sie finden es toll, dass ihre Großeltern Comic-Helden sind.

Mussten Sie nicht erst von den Autoren überredet werden?

Klarsfeld: Wir hatten Bedenken, dass unsere Geschichte plakativ verkürzt wird. Aber Pascal Bresson und Sylvain Dorange waren immer sehr an den Details interessie­rt. Und es gibt ja schon einige Bücher über Serge und mich, einen Spielfilm mit Franka Potente und Hanns Zischler, Dokumentat­ionen, ein Theaterstü­ck und sogar eine Oper. Warum also nicht auch einen Comic? Damit erreicht man noch mal ein anderes, jüngeres Publikum.

Sie sind mit der Ohrfeige in die Geschichte eingegange­n. Woher haben Sie den Mut genommen, jemandem quasi auf den Leib zu rücken? Und als Frau. Klarsfeld: Die Ohrfeige kam ja nicht aus heiterem Himmel, sie hatte eine lange Vorgeschic­hte, die letztlich mit meiner Ankunft 1960 in Paris begann: als ahnungslos­es Au-pairMädche­n, das weder von den Eltern noch von den Geschichts­lehrern etwas über den Zweiten Weltkrieg erfahren hatte. Dann lernte ich meinen Mann kennen, dessen Vater in Auschwitz ums Leben gekommen war, und begriff, welche historisch­e Schuld auf meiner Nation lastet. Als mit Kurt Georg Kiesinger im Dezember 1966 ein ehemaliger NaziPropag­andist aus dem Reichsauße­nministeri­um Bundeskanz­ler wurde, waren wir entsetzt und haben sämtliche Akten über ihn zusammenge­tragen.

Die Vergangenh­eit schien damals niemanden zu interessie­ren.

Klarsfeld: Nicht einmal die Historiker haben sich darum gekümmert! Wir informiert­en die Abgeordnet­en, aber niemand hat reagiert. Also musste ich für Öffentlich­keit sorgen. Ich habe Kiesinger bei seiner Rede am 2. April 1968 im Bundestag in Bonn mit „Nazi, tritt zurück!“unterbroch­en. Doch erst die Ohrfeige am 7. November 1968 auf dem Parteitag der CDU in Berlin hat Wirkung gezeigt. Dabei ging es um viel mehr: Stellvertr­etend für die jungen Deutschen habe ich ihre Nazi-Väter geohrfeigt.

Hatten Sie keine Angst, dass es schiefgeht?

Klarsfeld: Es war schwer, in die Kongressha­lle zu kommen, ich konnte dann auf dem Podium auch nur hinter ihm durchgehen. Das führte dazu, dass ich ihn am rechten Auge getroffen habe. Das wurde braun wie seine Vergangenh­eit. Natürlich war das gefährlich! In der ersten Reihe saßen Sicherheit­sleute, die mich hätten erschießen können, ja. Aber an das denkt man nicht.

Kiesinger ließ sich nicht einschücht­ern und ist 1969 noch einmal zu Wahl angetreten. Sie haben im selben Wahlkreis im badischen Waldshut für die Aktion Demokratis­cher Fortschrit­t kandidiert.

Klarsfeld: Damit hatte ich die Gelegenhei­t, den Wahlkampf ganz offen gegen ihn zu führen. Ich wurde von vielen jungen Leuten unterstütz­t, und überall, wo Kiesinger sprach, hörte er „Nazi abtreten!“. Jetzt konnte er seine Vergangenh­eit nicht mehr leugnen. Er wurde ja auch nicht mehr gewählt, sondern Willy Brandt, für den ich mich sehr eingesetzt hatte.

Haben Sie jemals versucht, mit Kiesinger zu diskutiere­n?

Klarsfeld: Wir standen uns in den Demonstrat­ionen gegenüber, aber man kann nicht mit einem Mann diskutiere­n, der sich ständig rausgerede­t hat. Auch als wir Kurt Lischka, der für die Deportatio­n von 75 000 Juden aus Frankreich verantwort­lich war, die beweisende­n Dokumente vorgelegt haben, kam es zu keinerlei Bedauern. Was wollen Sie mit solchen Leuten besprechen?

Wie sehr hat diese Politisier­ung mit Ihrem Mann Serge zu tun? Klarsfeld: Jeder von uns hatte seinen Kampf zu führen. Mein Vater war in der Wehrmacht gewesen, meine Eltern haben sicherlich Hitler gewählt. Serge war ein jüdischer Junge, der wie ein Wunder der Deportatio­n entging. Meine Eltern hatten es sehr schwer nach dem Krieg, aber es war kein Schuldbewu­sstsein da, es hieß nur „Wir haben den Krieg verloren“. Dass ihn die Deutschen angezettel­t haben, kam nie zur Sprache.

Man wollte vergessen und das Land aufbauen. So konnten die alten Nazis wieder in Amt und Würden kommen oder einfach da bleiben, wo sie vor 1945 waren. Aber hätte ich Serge nicht kennengele­rnt, würden Sie mich heute nicht anrufen.

Die Geschwiste­r Scholl spielen eine wichtige Rolle in Ihrem Engagement. Kann man von Vorbildern sprechen? Klarsfeld: Sie sind das sogar für meinen Mann. Wenn er mich kritischen Freunden vorstellte, hat er immer auf Hans und Sophie Scholl und die anderen Deutschen verwiesen, die sich aufgelehnt haben und ihr Leben lassen mussten. Die Geschwiste­r Scholl haben auch gezeigt, dass wir Jungen uns nicht schuldig fühlen müssen.

Wie hält man es aus, ständig mit den grausigen NS-Verbrechen konfrontie­rt zu sein?

Klarsfeld: Das Grausame haben wir vor allem in den Dokumenten gesehen. Uns ging es einfach um Gerechtigk­eit. Kurt Lischka, Klaus Barbie oder der SS-Obersturmf­ührer Kurt Asche, der in Belgien die Deportatio­n von 25000 Juden und Sinti nach Auschwitz veranlasst hatte, mussten sich für ihre Verbrechen vor Gericht verantwort­en – damit hatte unsere Arbeit einen Sinn. Das hilft, diese fürchterli­chen Geschichte­n zu verkraften. Aber wir haben immer ein normales und gutes Familienle­ben geführt, diese Aktionen waren ein Teil, doch nicht das ganze Leben.

Kann man aus der Geschichte überhaupt lernen?

Klarsfeld: Sie sehen die Entwicklun­gen, die rechten Parteien werden stärker. Als wir in den 1960er Jahren gegen die NPD demonstrie­rten, hatten die sechs oder sieben Prozent, dann ging es unter die FünfProzen­t-Marke. Aber die AfD kommt inzwischen spielend in die Parlamente. Auch in Frankreich waren die Rechtsextr­emen mal klein und haben stark zugenommen. Ich bin jetzt 82 und weiß, wohin das führen kann. Aber die Jungen wissen nicht, was Krieg und Entbehrung­en bedeuten, was es heißt, für eine Einstellun­g getötet zu werden. Darin liegt eine große Gefahr. Und es genügt nicht, Gedenkstät­ten zu besuchen, es braucht jemanden, der erzählt und erklärt, was passiert ist, also eine echte Auseinande­rsetzung.

Interview: Christa Sigg

» Pascal Bresson, Sylvain Dorange: Beate & Serge Klarsfeld. Die Nazijä‰ ger, Carlsen, 208 Seiten, 28 Euro

Die deutsch‰französi‰ sche Aktivistin Bea‰ te Klarsfeld, Jahrgang 1939, aus Berlin hat mit ihrem Mann Serge NS‰Verbre‰ chen im Bereich des Holocaust aufgeklärt und Täter wie Kurt Lischka und Klaus Barbie aufge‰ spürt.

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Foto: Pascal Bresson, Sylvain Dorange, Carlsen Die Graphic Novel über Beate Klarsfeld handelt auch von der berühmten Ohrfeige.
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