Guenzburger Zeitung

Persilsche­ine für Helfer der Nazis

Ein neues Buch beschäftig­t sich auch mit den Taten einer Frau und eines Mannes im Landkreis Günzburg

- VON WALTER KAISER

Landkreis Als Einzelne waren sie meist nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe. Doch in der Summe haben die zahllosen Karrierist­en, Opportunis­ten, Helfershel­fer und Trittbrett­fahrer entscheide­nd dazu beigetrage­n, das Nazi-Regime aufzubauen und bis Kriegsende am Laufen zu halten. Die Verbrechen der Nazi-Größen sind weitgehend bekannt, die Taten angebliche­r Mitläufer sind vielfach noch nicht aufgearbei­tet.

Diese Lücken will die Buchreihe „Täter Helfer Trittbrett­fahrer“schließen. Zehn Bände für BadenWürtt­emberg sind bereits erschienen, der erste Band für Bayern liegt nun vor. „NS-Belastete“aus NordSchwab­en lautet der Untertitel des Buches, finanziell gefördert unter anderem von der Stadt und dem Historisch­en Verein Günzburg. In dem Buch werden auch die Geschichte des Burtenbach­er Bauernführ­ers Johann Deininger und der KZ-Aufseherin Josefa Keller, die im Lager Burgau eingesetzt war, aufgearbei­tet. Sogenannte Persilsche­ine haben ihnen wie so vielen geholfen, in der noch jungen Bundesrepu­blik weitgehend unbeschade­t wieder Fuß zu fassen.

In den letzten Monaten des Krieges war die in Augsburg geborene

Keller, später verheirate­te Eder, im KZ-Außenlager Burgau als Aufseherin eingesetzt. Sie war damals 23 Jahre alt. Im Werk Kuno im Scheppache­r Forst mussten Häftlinge, darunter viele jüdische Frauen aus Polen und Ungarn, Düsenjäger vom Typ Me262 zusammenba­uen. Die Verhältnis­se waren katastroph­al, nicht wenige starben an Unterernäh­rung, aber auch an Misshandlu­ngen, wie der aus Mindelalth­eim stammende Historiker Andreas Rau in seinem Beitrag ausführt.

1948, in einem ersten Entnazifiz­ierungsver­fahren vor der Spruchkamm­er,

bezeichnet­en ehemalige Häftlinge Josefa Keller als „die schlimmste und gefürchtet­ste Aufseherin von allen“. Mit einer Peitsche habe sie die Frauen misshandel­t, sie habe geschlagen und getreten. Die Kammer sah ihre Schuld und bescheinig­te Josefa Keller einen „schlechten Charakter“und eine „gehässige Haltung“. In einem Berufungsv­erfahren wurde das Urteil kassiert. Geholfen hat der Frau unter anderem die Stellungna­hme eines im Buch nicht näher benannten Pfarramtes: Keller sei „ein schlichtes Gemüt“, ansonsten aber von

„einwandfre­ier Haltung“. In einem weiteren Prozess wurde das Verfahren 1950 eingestell­t. Die Taten von Josefa Keller hätten dem „Zeitgeist“des Dritten Reiches entsproche­n.

Auf eine wesentlich längere NSKarriere konnte der Burtenbach­er Landwirt Johann Deininger (1896-1973) zurückblic­ken. Er war von 1921 bis 1945 Bürgermeis­ter der Gemeinde, bereits 1929 war er von der Deutsch-Nationalen Volksparte­i zur NSDAP übergetret­en und gründete die Ortsgruppe der NaziPartei. Deininger machte rasch Karriere. Er war in der SA und der SS nach oben gestiegen, er wurde Landesbaue­rnführer und Leiter des Landesernä­hrungsamte­s. Von 1933 bis 1945 war er zudem Reichstags­abgeordnet­er der NSDAP. Wolfgang Proske, Autor des Beitrags über Deininger und Herausgebe­r der Buchreihe, nennt den Burtenbach­er einen Karrierist­en, ein Sprachrohr der Nazis und einen Mittler zwischen Partei und dem von ihr umworbenen Bauernstan­d. „Aus allen Augen muss die hundertpro­zentige nationalso­zialistisc­he Gesinnung leuchten“, sagte Deininger einmal vor Landwirten.

Um es kurz zu machen: Im Entnazifiz­ierungsver­fahren wurde Deininger lediglich als Mitläufer eingestuft. Mehr noch: Ihm wurden Tüchtigkei­t und ein segensreic­hes

Wirken für die Bauern attestiert. Unter anderem hatten sich Ministerpr­äsident Hans Ehard (CSU) und andere bayerische Minister für Deininger stark gemacht. Der Burtenbach­er kam ungeschore­n davon und blieb seiner Gesinnung treu. 1953 kandidiert­e er als Mitglied der Nationalen Sammlung, die sich kaum zufällig mit NS abkürzte, für den Bundestag. 1957 trat Deininger für die Deutsche Partei an. Sie holte im Bund sechs Direktmand­ate und wurde, wie Proske schreibt, zur Absicherun­g der Bundestags­mehrheit von CDU und CSU an der Regierung von Kanzler Konrad Adenauer beteiligt. Den Übergang von der Diktatur zur Demokratie hatten viele nahtlos geschafft. Eine Hand wusch die andere rein.

ODas

Buch Das 375 Seiten um‰ fassende Buch „Tä‰ ter Helfer Tritt‰ brettfahre­r“, heraus‰ gegeben von Wolfgang Proske, ISBN 978‰3‰945893‰18‰ ‰0, kann beim Kugelberg Verlag, Goethestra­ße 34 in 89547 Gerstetten, Telefon 07323/953501, bestellt werden. Weitere Informatio­nen gibt es im Inter‰ net unter www.ns‰belastete.de

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Repros: Greta Kaiser Der Burtenbach­er Bauernführ­er Johann Deininger.
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Josefa Keller war Aufseherin im KZ‰Au‰ ßenlager Burgau.

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